Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 23-24 / 01.06.2004
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Fritz-Jochen Kopka

Die Prosa der Dienstboten

Das Politbüro der SED ganz privat

Die Politik des Politbüros, des engen Zirkels der Macht in der DDR, war gewiss unzureichend. Ihre Charaktere versteckten die obersten Funktionäre hinter pathetischen Reden, ihr Privatleben verbargen sie in der abgeschlossenen Waldsiedlung zu Wandlitz. Die Diener von damals - Köche, Förster, Gärtner und Putzfrauen - sind noch da. Sie waren verpflichtete Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit, trugen militärische Ränge und durften nicht über ihre Arbeit reden. Jetzt dürfen sie, und so gibt es ein Buch über das Privatleben des Politbüros, Dienstbotenprosa von der ersten bis zur letzten Seite.

Die Domestiken berichten nichts von den politischen Ambitionen ihrer Herren, nichts von deren Denkleistungen, aber einiges von Ess- und Trinkgewohnheiten und vor allem davon, ob die Mächtigen bei ihrem Aufstieg Mensch geblieben sind oder eben nicht. Keine Überlegung, welcher Funktionär Konzepte oder Gestaltungswillen besaß. Die anspruchsvollste Unternehmung war die Jagd.

Wenn in Berliner Partei- und Regierungsstuben der Hammer gefallen war, machten sich die Mächtigen aus dem Staub. Vor der Nähe der Kampfgefährten ihrer Tage schirmten sie sich abends und an Wochenenden durch Fichten und Rhododendronbüsche ab. Prinzipiell mochten sie einander nicht. Einzig Günter Mittag fand Gnade vor Honeckers kühlen Augen, der in ihm "nicht nur den erfahrenen Wirtschaftsfachmann, sondern auch den geübten Jäger und Skatspieler schätzte". In einer besonders erfolgreichen Saison töteten die Würdenträger Honecker und Mittag, so berichtet der Interviewer Thomas Grimm, "80 bis 100 Geweihträger". Dass Honecker ausgerechnet im August 1989, als die Massenflucht aus der DDR in vollem Gange war, den größten Hirsch schoß, der je in der Schorfheide erlegt wurde, bezeichnet Grimm in einem Anfall von Deutungswahn als "eine Parabel von Machtfülle und politischem Versagen".

Honeckers Liebe zur Jagd, mit der er das gesamte Politbüro paralysierte, bleibt angesichts dieses trockenen Politbürokraten ein Rätsel, zumal der Genosse Generalsekretär nichts aß, was aus dem Walde kam, kein Wild und noch nicht einmal Pilze. Diente ihm die Jagd als Revolutionsersatz? Bescherte ihm der finale Schuss symbolische Erfolge, die ihm im politischen Leben versagt blieben? Oder nutzte er die Jagd dazu, sich gegen seinen Konkurrenten Ulbricht, der ein braver Ski- und Schlittschuhläufer war, zu profilieren, um Männer- und Machtbünde zu schließen? Alles möglich. Aber allzuviel Kompensation schadet dem Kerngeschäft. Der Rest ist ein schnöder Satz wie dieser: "Honecker und Mittag waren jagdliche Autodidakten, die ständig bemüht waren, ihre Kenntnisse zu vervollkommnen…"

Wenn das Buch überhaupt einen Schluss nahe legt, dann vielleicht den, dass die DDR-Funktionäre nicht an einer durchgreifenden, aber unpraktikablen Gesellschaftstheorie, sondern an limitierten Fähigkeiten und eklatanten Charakterschwächen gescheitert sind. Doch warum sind ausgerechnet diese Durchschnittsmenschen nach oben gespült worden und haben etwas praktiziert, was sie permanent überforderte?

Das politische Versagen spiegelt sich in der Sprache wider. In der DDR hatte sich ein Versehrten-Deutsch herausgebildet, das aus dem Versuch resultierte, den Marxismus auf die geänderten Verhältnisse anzuwenden. Jeder Bürger wurde geschult, und dies meistens durch Leute, die von Marx' Lehre nur verstanden hatten, dass sie allmächtig sei, weil sie wahr ist (oder umgekehrt). Das diffuse Schulungsdeutsch hat zu irreparablen Kommunikationsschäden geführt, dessen Ergebnisse dem Werk spröden Charme verleihen:

"Für Ulbricht war Essen sozusagen Nebensache. Man konnte ihm vorsetzen, was man wollte, er nahm nicht wahr, was er aß… Lotte unterstand ein persönlicher Fahrer, denn sie war auch im Alter noch sehr agil… Mielke verlangte von allen - auch von den Hausangestellten - ein sehr hohes Niveau… Honecker war sehr, sehr bescheiden. Was Genossin Honecker ihm kaufte, das zog er eben an… Mittag hat zum Schluss nur noch Westprodukte benutzt, bis hin zu Selterswasser. Mit der Zeit, vor allem nachdem er beide Beine verloren hatte, wurde er griesgrämiger und heimtückischer…"

Die bitterste Lektion des Buches ist diese: Wenn man anfängt, seinen Dreck von anderen Leuten wegmachen zu lassen, wenn man das Vertrauen zu seinen Händen verliert, dann hört man auf zu leben, existiert als eine Art Gespenst. Diese Gefahr droht allen reichen und mächtigen Leuten, die glauben, sie wären zu schade für den banalen Alltagskram, weil sie immerfort verhandeln, entscheiden, in Salonwagen fahren und große Töne spucken. Der Alltag ist nicht banal, nicht einmal langweilig. Banal sind die, die nichts mit ihm anzufangen wissen.

Thomas Grimm

Das Politbüro privat.

Aufbau-Verlag, Berlin 2004; 263 S., 17,90 Euro


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