Bisher gibt es keine Darstellung der Wirtschaftsgeschichte der DDR über den gesamten Zeitraum von den Anfängen bis zum Jahr 1989. André Steiner versucht mit der vorliegenden Publikation diese Lücke zu schließen. Er gliedert sein Buch in sechs Hauptkapitel, entsprechend den einzelnen Entwicklungsphasen der DDR-Wirtschaft, eine Periodisierung, wie sie auch schon von anderen getroffen wurde.
Unterteilt wird nach folgenden Zeiträumen: Ausgangsbedingungen der SBZ; Etablierung der Planwirtschaft 1948 - 1953; Planung zwischen Mangel und Wachstum 1953 - 1961; Wirtschaftsreform zwischen Aufbruch und Krise 1961 - 1971; Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik 1971 - 1982 und Fortgesetzter wirtschaftlicher Niedergang 1982 - 1989. Innerhalb der Hauptkapitel wird jeweils am Anfang eine zusammenfassende Darstellung über das gesamte Geschehen der nachfolgend im Einzelnen behandelten Zeit gegeben. Das erweist sich als sehr hilfreich, um den roten Faden bei den detaillierten, kenntnis- und faktenreichen Ausführungen zu behalten.
Das Buch ist flüssig und leicht lesbar geschrieben, aber was wichtiger ist, der Autor bedient sich einer wohltuenden differenzierten Darstellung der Abläufe in der DDR. Beispielsweise räumt er gleich zu Anfang mit der nach wie vor verbreiteten Ansicht auf, die DDR sei permanent durch die Sowjetunion ausgebeutet worden. Stattdessen wird belegt, dass sie von ihr über weite Strecken subventioniert wurde.
Die einzelnen Aspekte der Entwicklungen werden von verschiedenen Seiten aus beleuchtet. Alles gipfelt im Resümeé (S. 226), wo konstatiert wird, dass "die Unfähigkeit des sozialistischen Wirtschaftssystems, strukturellen sowie technisch-innovatorischen Wandel systemimmanent hervorzubringen, ... die entscheidende Ursache für die wirtschaftliche Schwäche der DDR" gewesen sei. Dem ist uneingeschränkt zuzustimmen.
Das gilt generell für den Duktus des Werkes. Gleichwohl kann man manche der Aussagen hinterfragen. So wird die entscheidende gesamtwirtschaftliche Effizienzkennziffer, die Arbeitsproduktivität der DDR für 1989, nur mit einem Drittel von der der Bundesrepublik angegeben (S. 207). Das ist umstritten, andere Wissenschaftler beziffern sie mit etwa der Hälfte.
Ähnliches gilt für die Verschuldung im Westen. Wird zunächst in einem eigenen Unterkapitel ihre Dramatik ausgebreitet, kommt der Autor später zu dem Ergebnis, dass die kumulierte Verschuldung der DDR zur Zeit des Mauerfalls in konvertiblen Währungen nur bei 8,2 Milliarden US-Dollar lag und dass "diese Größenordnung … durchaus beherrschbar gewesen" sei. "Insofern war die DDR im engeren Sinne tatsächlich (noch) nicht pleite". Letzteres ist sicher richtig, denkt man zum Vergleich daran, dass allein die Neuverschuldung im Nachtragshaushalt (zusätzlich zu der im regulären Etat) des Bundes für 2003, also nur für ein Jahr, mehr als doppelt so hoch ist.
An mehreren Stellen finden sich solche Passagen, die nicht direkt miteinander kompatibel erscheinen. Das ist vermutlich der Tatsache geschuldet, dass der Autor - sinnvoller Weise - überwiegend auf Sekundärliteratur zurückgreift, wo es dann aber gegolten hätte, daraus einen Text aus einem Guss zu machen. Überhaupt hätte dem Buch eine stärkere Verdichtung und Strukturierung (in den Unterkapiteln) gut getan.
Sehr positiv ist die Beigabe eines ausführlichen Quellenverzeichnisses zum Beleg der Aussagen (meist der Daten) und einer kommentierten Bibliographie zu weiterführender Literatur. In beiden Fällen liegt der Schwerpunkt der genannten Arbeiten auf Quellen nach der Wende. Das ist auch vernünftig; denn durch die Öffnung der Archive der DDR gibt es vielfach eine verlässlichere Datenbasis und Informationen über interne Vorgänge aus der damaligen Partei- und Staatsführung.
Außer acht gelassen
Auffällig ist indes, dass Arbeiten der westdeutschen DDR-Wirtschaftsforschung vor 1990 nahezu ausgeblendet werden; dies gilt nicht so sehr für die Anfänge, aber für später. Über die Motive kann man nur spekulieren. Jedenfalls beraubt sich der Autor damit wichtiger Fundstellen zur Erkenntnisgewinnung; zu denken ist dabei an die sehr fundierten "Materialien zum Bericht zur Lage der Nation" von 1971 und von 1985.
Auch hätte der Autor vermutlich Aussagen wie "für die letzten drei Jahrzehnte der DDR ist der Forschungsstand zur Landwirtschaft äußerst unbefriedigend" (S. 262) so nicht getroffen. Hinzuweisen ist in dem Zusammenhang etwa auf das Buch von Horst Lambrecht (Die Landwirtschaft der DDR vor und nach ihrer Umgestaltung 1960. Berlin 1977). Schließlich wäre dem Verfasser wohl auch aufgefallen, dass es schon einmal eine - wenn auch weniger ambitionierte - Arbeit gleichen Titels zur DDR-Wirtschaft gegeben hat (Cord Schwartau: Von Plan zu Plan. Berlin 1974). Trotz solcher kleineren Einschränkungen ist die vorliegende Publikation alles in allem unbedingt zu empfehlen.
André Steiner
Von Plan zu Plan.
Eine Wirtschaftsgeschichte der DDR.
Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart/München 2004;
280 S., 19,90 Euro