Die Hoffnung, am Reißbrett der Wissenschaft entworfene Instrumentarien und Institutionen politisch wirkungsgenau einsetzen zu können, führt in der Praxis regelmäßig zu Enttäuschungen. Damit sind aber Auftrag und/oder Impuls, es dennoch zu versuchen, nicht aus der Welt. Im Bereich des "Constitutional Engineering", der planvollen Architektur von Strukturen und Prozessen der Politik, scheinen die Erwartungen besonders hoch geschraubt, wenn es um das Wahlrecht geht. Deshalb ist gerade hier Vorsicht angebracht.
Peter Lösche kommt im neuen Heft der ZParl zu dem Schluss, dass "Wahlsysteme einen Unterschied machen, aber keinen allzu großen". Zu diesem Befund gelangt er durch die Untersuchung der Wahlrechtsreform in Neuseeland. Ihre Folge waren durchaus die erwarteten Veränderungen im Parteiensystem und die Stärkung des Parlaments gegenüber der Regierung. Bei genauem Hinsehen handelt es sich dabei allerdings um die Beschleunigung von Entwicklungen, die schon zuvor in Gesellschaft und Politik des Landes angelegt waren. Dies gilt gewiss nicht für die in Deutschland geführte Diskussion um ein "Familienwahlrecht", die nun auch mit einem entsprechenden Antrag im Bundestag die Ebene der Politikgestaltung erreicht hat. Höchst strittig ist, ob die mit einem "Wahlrecht von Geburt an" verfolgten Absichten - größere Nachhaltigkeit der Politik und die Annäherung des Wahlvolkes an das Staatsvolk - tatsächlich verwirklicht würden. Allzu hypothetisch erscheint vielen die Annahme, ein durch Eltern für ihre Kinder ausgeübtes Wahlrecht würde Anderes als eine Mehrfachgewichtung der elterlichen Stimmen bewirken. Die verfassungsrechtlichen Dimensionen dieser Frage untersucht Franz Reimer. Von den verschiedenen Modellen kommt das "derivative Elternwahlrecht" in Betracht. Ob die dafür nötige Grundgesetzänderung bei ungewissem Ertrag und hoher Streitbefangenheit in Angriff genommen werden sollte, bleibt der politischen Auseinandersetzung überlassen.
Die Wirkung von TV-Debatten
Ein weiteres Beispiel für den Zusammenhang von Wahlsystemen mit anderen Faktoren des politischen Systems liefert Markus M. Müller. Die spezifische Kombination von Mehrheits- und Verhältniswahlrecht in Baden-Württemberg nimmt den Parteiorganisationen und Fraktionen einen guten Teil ihres Einflusses auf die Kandidaten(-aufstellung), verstärkt den Wettbewerb unter den Kandidaten derselben Partei und erzwingt eine striktere Orientierung am Wählerwillen als das Bundestagswahlrecht; allerdings erlaubt es wegen fehlender Möglichkeit des Stimmensplittings den Wählern nicht, ihre Präferenz für eine Koalition auszudrücken.
Einen nach wissenschaftlichen Maßstäben insgesamt gelungenen Fall politischer Kommunikation dokumentieren Andrea Römmele und ihre Mitautoren. Sie untersuchen die 2002 zum ersten Mal in der Geschichte bundesdeutscher Wahlkämpfe veranstalteten TV-Debatten der beiden Kanzlerkandidaten und stellen sowohl den fragenden Journalisten als auch Gerhard Schröder und Edmund Stoiber ein überwiegend gutes Zeugnis aus.
Der Frage, ob die Wähler der PDS in der vereinigten Bundesrepublik "angekommen" seien, geht Jörg Jacobs nach. Umfragedaten weisen aus, dass etwa ein Drittel von ihnen explizite Systemgegner sind. Da viele sich schon in fortgeschrittenem Alter befinden, dürfte die Ablehnungsquote der politischen Ordnung beim Generationenwechsel deutlich sinken. Während also die PDS-Wähler keine Gefahr für die Systemstabilität darstellen, ist die Partei mit dem Dilemma konfrontiert, dass "sich das Gefühl der Zurücksetzung in den neuen Bundesländern überleben könnte und gleichzeitig die ideologisierte Wählerschicht ausstirbt".
Als Partei ist die PDS im Westen jedenfalls nicht angekommen. Bei der Wahl in Hamburg in diesem Februar trat sie gar nicht erst an; in Bremen blieb sie Splitterpartei. Das Ergebnis der dortigen, das Drei-Parteien-System festigenden Bürgerschaftswahl analysiert Reinhold Roth. Die erstaunlich erfolgreiche, auch von der Wählerschaft offenbar für gut befundene Große Koalition im Stadtstaat geht nun in ihre dritte Legislaturperiode, ist aber dennoch nicht zum Exportmodell in andere Länder oder gar den Bund geworden. Die ganz andere Situation in Hamburg stellt Patrick Horst dar. Erst vor zweieinhalb Jahren war die SPD nach 44 Regierungsjahren durch eine Koalition aus CDU, FDP und der rechtspopulistischen Schill-Partei ersetzt worden, deren zahlreiche Krisen schließlich nur durch eine vorgezogene Neuwahl überwindbar schienen. Außerordentlich starke Wählerfluktuationen resultierten nun auch hier in einer Drei-Parteien-Bürgerschaft mit einer absoluten (Sitz-)Mehrheit der CDU. Mit dem Scheitern Schills ist in der Hansestadt wieder (westdeutsche) Parteiennormalität eingekehrt.
Am Beispiel der Schill-Partei beleuchtet Julia von Blumenthal, was die Beteiligung an einer Regierung für rechtspopulistische und andere Protestparteien bedeutet. Gerade jene Eigenschaften, die den Wahlerfolg der Schill-Partei ausmachten, wurden zu schweren Bürden für das Regieren wie für die innere Einheit der Partei selbst. Hochgradige Personenzentrierung, Provokation im Politikstil, "Anderssein" als die Etablierten lassen sich schwerlich vereinbaren mit den Anforderungen an Kompromiss und Moderation, die Koalitionen stellen.
Auch Rechtsfragen entstanden mit dem politischen Agieren des Innensenators Ronald Schill. Florian Edinger bespricht ein Urteil des Hamburgischen Verfassungsgerichts, in dem die Verweigerung der Landesregierung, einem Abgeordneten Auskunft über die angebliche Bewaffnung des Innensenators zu erteilen, für rechtens erklärt wurde. Joachim Lang nimmt den Eklat, den Schill mit seinem Auftritt im Bundestag verursachte, zum Anlass, die Geltung parlamentarischer Ordnungsmaßnahmen für Bundesratsmitglieder rechtlich zu prüfen.
Einen weiteren parlamentsrechtlichen Beitrag leistet Hermann Bachmaier. Das Bundesverfassungsgericht hatte zu entscheiden, ob die Durchsuchung des Büros eines Abgeordnetenmitarbeiters und die Beschlagnahme von Unterlagen durch die Staatsanwaltschaft gegen das in Artikel 47 GG garantierte Zeugnisverweigerungsrecht verstoßen hatte. Bachmaier begrüßt das Urteil, das die Rechtsverletzung bejaht hatte, als Bestätigung der parlamentarischen Autonomie und Sicherung der Funktionsfähigkeit des Bundestages.
Ähnlich wie die Landtagswahlanalysen ist mittlerweile die Dokumentation der Parteimitgliedschaften zur Chronistenpflicht der ZParl geworden. Für dieses Heft hat Oskar Niedermayer die Entwicklung im Jahre 2003 in sieben Tabellen zusammengestellt. Im Diskussionsteil bestimmt Romy Messerschmidt in Reaktion auf Adolf Kimmel noch einmal aus ihrer Sicht den Wandel des Präsidentenamtes in Frankreich. Und pünktlich zum 55. Geburtstag des Grundgesetzes hat Michael F. Feldkamp dem Verbleib des Originalexemplars sowie der Faksimileausgaben und ihrer symbolischen Funktion nachgespürt.