"Deutschland ist auch weiterhin ein Aufklärungsziel für die Nachrichtendienste einer Reihe fremder Staaten." Eigentlich kein aufregender Satz aus dem Verfassungsschutzbericht 2003 der Bundesregierung, den dieser Tage Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) der Öffentlichkeit übergeben hat. Doch der Nachsatz beinhaltet einige Brisanz.
Denn es sind vor allem die Nachrichtendienste der befreundeten Russischen Föderation, die zwischen Rhein und Oder ihre Agenten einsetzen: "Der Anteil der Nachrichtendienstangehörigen am Gesamtpersonal der russischen Auslandsvertretungen in Deutschland lag auch im Jahr 2003 auf unverändert hohem Niveau, zeigte sogar eine geringfügig ansteigende Tendenz. Im europäischen Vergleich sind die russischen Aufklärungsdienste damit im Legalresidenturbereich in Deutschland deutlich überrepräsentiert. Ihren größten Geheimdienststützpunkt auf deutschem Boden unterhalten die russischen Dienste in der Botschaft der Russischen Föderation in Berlin. Die dortige Personalkonzentration macht deutlich, dass SWR (ziviler Auslandsnachrichtendienst) und GRU (militärischer Auslandsnachrichtendienst) ein besonderes Augenmerk auf die Aufklärung der deutschen und ausländischen Institutionen in der Bundeshauptstadt gerichtet haben."
Das sind zugleich deutliche Hinweise an die Russen, dass die Bundesregierung die unerlaubte Nachrichtenbeschaffung genau beobachtet. Und diese beschränkt sich nicht nur auf politische und militärische Vorgänge, sondern auch auf wirtschaftliche Bereiche. Angewandt werden die unterschiedlichsten Methoden - von der "Abschöpfung" von Kontaktpersonen bis zur Verwendung "toter Briefkästen", von der Teilnahme an Seminaren bis zur Auswertung des Internet, von Einladungen in Restaurants bis hin zur Gewährung materieller Vorteile.
Offen verweist der Verfassungsschutzbericht 2003 auf die Diskrepanz zwischen der positiven Entwick-lung des politischen Verhältnisses zwischen beiden Ländern und der unverändert großen Spionagetätigkeit der russischen Dienste, die auch erhebliche wirtschaftliche Schäden zur Folge hat. Auch die russischen Medienagenturen bieten laut Verfassungsschutzbericht den Geheimdiensten "eine große Anzahl von Stellen für den verdeckten Einsatz von Nachrichtendienstangehörigen".
Was der Spionage der Russischen Föderation recht ist, ist den anderen GUS-Staaten offensichtlich billig. Sie bedienen sich häufig der deutschstämmigen Aussiedler, die zunehmend wieder ihre alte Heimat besuchen. Auch die ausländischen Hilfsorganisationen in den GUS-Staaten sind ein "Ausspähziel" der dortigen Nachrichtendienste. Namentlich wird die Gesellschaft für technische Zusammenarbeit (GTZ) genannt.
Sehr aktiv sind in Deutschland auch die chinesischen Nachrichtendienste. Ihr vorrangiges Ziel ist es, den technologischen Abstand zu den führenden Industriestaaten zu verringern. Sowohl Diplomaten als auch Journalisten werden zur Nachrichtenbeschaffung herangezogen. Sehr aktiv ist in dieser Hinsicht auch die nordkoreanische Botschaft in Berlin. Zahlreiche Nachrichtendienste aus dem Nahen Osten und Nordafrikas haben vorrangig die Aufgabe, in Deutschland lebende Oppositionelle zu unterwandern.
Im Verfassungsschutzbericht: PDS
Traditionell wird der jährliche Verfassungsschutzbericht mit einer Übersicht über rechts- und linksextremistische Bestrebungen eingeleitet. Aber auch die PDS, die in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern Regierungspartei und darüber hinaus in den Landtagen von Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen vertreten ist und im Bundestag über zwei Direktmandate verfügt, steht weiterhin unter Beobachtung des Verfassungsschutzes. Dabei wird darauf hingewiesen, dass die PDS nach wie vor den Sozialismus als ein notwendiges Ziel anstrebt. Ein besonderes Augenmerk lenkt der Verfassungsschutzbericht 2003 auf die "Kommunistische Plattform" der PDS mit rund 1.500 Mitgliedern sowie einiger anderer partei-interner Gruppen, die als linksextrem eingestuft werden.
Kommunistische Parteien und Gruppen (von den trotzkistischen Gruppen über den Linksruck bis hin zur Sozialistischen Alternative, von der Marxistisch-Leninistischen Partei Deutschlands bis zur Kommunistischen Partei Deutschlands) spielen im politischen Leben der Bundesrepublik Deutschland keine Rolle. Zusammengenommen verfügen sie über einige Tausend Mitglieder. Allerdings neigen zahlreiche Mitglieder zu extremistischen Handlungen. Freilich tun sich auf diesem Feld vor allem die "Autonomen" (schätzungsweise 5000 Anhänger) hervor.
Die Autonomen zielen wie alle linksextremistische Organisationen letztlich auf eine Überwindung des "herrschenden Systems". Sie halten die Anwendung von Gewalt für legitim, weil nur mit ihr die strukturelle Gewalt der herrschenden Klasse überwunden werden kann. Zu den Aktionsformen der Autonomen gehören Brand- und Sprengstoffanschläge, gewalttätige Demonstrationen mit Steinen und anderen Wurfgeschossen. Außerdem haben sich innerhalb der militanten autonomen Szene Strukturen verfestigt, die bei ihren Anschlägen die Grenze zu terroristischern Gewalttaten überschreiten.
In Zahlen ergibt für den organisierten Linksextremismus im vergangenen Jahr folgendes Bild: 31.300 Personen gelten als linksextrem, davon 5.400 als gewaltbereit. Gegenüber 2002 haben sich diese Zahlen nicht wesentlich verändert. Von den 3.614 linksextremistischen Straftaten entfallen 803 auf linke Gewalttaten (darunter ein versuchtes Tötungsdelikt, 192 Körperverletzungen, 36 Brandstiftungen, 29 gefährliche Eingriffe in den Bahn-, Luft-, Schiffs- und Straßenverkehr).
Rechtsextremismus
"Das rechtsextremistische Weltbild wird von nationalistischen und rassistischen Anschauungen geprägt." So leitet der neue Verfassungsschutzbericht das Kapitel über rechtsextremistische Bestrebungen ein und ergänzt: "Rechtsextremisten treten in aller Regel für ein autoritäres politisches System ein, in dem Staat und Volk - nach ihrer Vorstellung ein ethnisch geschlossenes Volk - als angeblich natürliche Ordnung in einer Einheit verschmelzen."
Unter den gewaltbereiten Rechtsextremisten spielen die Skinheads eine besondere Rolle. Ihr Weltbild wird als "diffus" beschrieben. Sie treten mit spontanen Gewalttaten und aggressiver, volksverhetzender Musik in Erscheinung. Der Verfassungsschutzbericht: "Die Skinhead-Musik ist nach wie vor für viele Jugendliche attraktiv. So erhalten diese Jugendlichen Kontakt zur rechtsextremistischen Szene. Skinhead-Musik hat damit eine bedeutende Funktion bei der Entstehung und Verfestigung von Gruppen rechtsextremistischer gewaltbereiter Jugendlicher."
Insgesamt zeigte sich die rechtsextremistische Szene aus der Sicht des Verfassungsschutzes für terroristische Strategien "wenig empfänglich". Innerhalb der rechtsextremistischen Szene war keine intensiv geführte Gewaltdiskussion festzustellen: "Ein Klima, das die Entstehung terroristischer Strukturen begünstigen würde, bestand nicht." Der Waffenbesitz wird als "abstrakte Gefahr" bezeichnet. Viele Rechtsextremisten verfügen über eine "hohe Affinität zu Waffen und Sprengstoffen". Immer wieder werden bei Hausdurchsuchungen Waffen und Sprengstoffe sichergestellt.
Gefährlicher wird vom Verfassungsschutz wie bereits erwähnt die rechtsextremistische Skinhead-Musik eingeschätzt. Entsprechende Konzerte bilden zugleich die Möglichkeit zum Treffen der Szene. Insgesamt wurden 2003 in Deutschland 119 solcher Konzerte registriert. 2002 waren es 112. Allerdings kamen nur zu zwei Konzerten mehr als 500 Besucher. Die durchschnittliche Teilnehmerzahl lag also bei 160. 22 Veranstaltungen dieser Art konnten verhindert werden, weitere 17 wurden von der Polizei aufgelöst.
Wie volksherhetzend und damit strafbar solche Musik-Texte sind, zeigt beispielsweise das Lied "Volk steh auf": "Jeder Neger ist dann zu Haus in Afrika oder hängt an einem Baum, und Europa ist dann wieder weiß, denn für Affen ist hier kein Raum...Wir brennen alle Judaskirchen ab, denn wir brauchen hier kein Christentum...Schwarz-rot-gold wird abgeschafft und das Hakenkreuz wird wieder wehen ... Die Bundesregierung stürzen wir und das Kanzleramt wird in Flammen stehen."
An zwölf Konzerten nahmen auch rechtsextremistische Musikgruppen aus dem Ausland (vor allem Großbritannien und Österreich) teil. Aber auch deutsche Bands wurden ins Ausland eingeladen. Ausgemacht hat der Verfassungsschutz ferner 18 rechtsextremistische Liedermacher, die bei unterschiedlichen Veranstaltungen auftraten. Vertrieben wird die Musik, die im Handel verboten ist, über etwa 50 Versandhäuser und zahlreiche Szeneläden.
Weniger Mitglieder
Und wie sehen die Zahlen aus? Ende 2003 gab es in Deutschland 169 (2002: 146) rechtsextremistische Organisationen und Personenzusammenschlüsse (Kameradschaften). Die Zahl ihrer Mitglieder sowie der nichtorganisierten Rechtsextremisten ist von 45.000 im Jahr 2002 auf 41.500 im vergangenen Jahr zurückgegangen. Dazu kommen weitere 10.000 gewaltbereite Rechte, unter anderem solche, die Gewaltanwendung befürworten. Im Jahr 2003 wurden 10.795 rechte politische Straftaten registriert. Dazu kommen noch 1.473 politisch motivierte Straftaten gegen Ausländer, die nicht eindeutig einem politischen Lager zuzuordnen sind. Die Statistik weist in der Rubrik rechter politisch motivierter Kriminalität vor allem 7.554 Propagandadelikte auf. Dazu kommen sieben versuchte Tötungsdelikte, 637 Körperverletzungen, 24 Brandstiftungen, zwölfmal Raub, 45 Widerstandsdelikte, 225 Sachbeschädigungen. Die meisten Gewaltdelikte richteten sich gegen Fremde.
Übrigens ereigneten sich 2003 in absoluten Zahlen die meisten Gewalttaten mit rechtsextremistischem Hintergrund in Nordrhein-Westfalen (95 Delikte). Bezieht man diese allerdings auf je 100.000 Einwohner, belegt das bevölkerungsreichste Bundesland einen Platz im Mittelfeld der Statistik. Bezogen auf die Einwohnerzahl liegt Brandenburg bei rechtsextremistischen Gewalttaten mit 87 an der Spitze: "Nach wie vor ist ein deutlicher Schwerpunkt in den östlichen Ländern festzustellen. Im Durchschnitt wurden dort mit 2,08 Gewalttaten je 100.000 Einwohner mehr als dreimal so viele Gewalttaten registriert wie in den westlichen Bundesländern."
Neben rechtsextremistischen Skinheads, Kameradschaften und andere Gruppen (die zum Teil verboten sind) spielen selbstverständlich auch die Neonazis eine wichtige Rolle, deren Zahl von 2.600 im Jahr 2002 auf 3.000 im vergangenen Jahr gestiegen ist. Die Zahl der Gruppen stieg auf 95 (in denen die 160 Kameradschaften enthalten sind). Die Mitgliederzahl der rechtsextremistischen Parteien sank im vergangenen Jahr um knapp 4.000 auf 24.500 (darin sind die Mitglieder der Republikaner enthalten, von denen der Verfassungsbericht feststellt, dass nicht jedes einzelne Mitglied rechtsextremistisch sei). Vor allem die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) und die Deutsche Volksunion (DVU) verloren viele Mitglieder.
Nach Überzeugung der Verfassungsschutzbehörden hält die NPD - das von Bundestag und Bundesrat sowie Bundesregierung angestrengte Verbotsverfahren wurde vom Bundesverfassungsgericht eingestellt - unverändert an ihrer "offenen, aggressiv-kämpferischen Feindschaft gegenüber der freiheitlichen demokratischen Grundordnung" fest. Ihre Mitgliederzahl beträgt nur noch rund 5.000. Von den Republikanern (rund 8.000 Mitglieder) heißt es, dass sie weiterhin "tatsächliche Anhaltspunkte für rechtsextremistische Bestrebungen" aufweisen. Mit 11.500 Mitgliedern ist die Deutsche Volksunion weiterhin die größte Organisation im rechtsextremistischen Parteienspektrum. Ihre Schwerpunkte: Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und Antiamerikanismus.
Insgesamt blieb das Niveau der rechtsextremistischen Straf- und Gewalttaten aus der Sicht der Verfassungsschutzbehörden auch 2003 - trotz eines gewissen Rückgangs - "weiterhin hoch". Also bleiben dem Rechts- und Linksextremismus die ungeteilte Aufmerksamkeit des Verfassungsschutzes erhalten. Weiterhin wird auch die Scientology-Organisation (SO) beobachtet, deren Mitgliederzahl mit rund 3.000 angegeben wird. Nach wie vor richte sich die Lehre dieser Organisation, die sich gern als "Kirche" bezeichnet, gegen die freiheitliche Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland.
Islamismus hat Fuß gefasst
Wenn von links- oder rechtsextremistischen Straftaten die Rede ist, darf man die Gewaltbereitschaft beispielsweise linksextemistischer Türken nicht außer Acht lassen. Gemeinsames Ziel der unterschiedlichsten Gruppen ist die Überwindung der bestehenden Gesellschaftsordnung in der Türkei. Dazu gehören unter anderem die Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front (DHKP-C) mit 700 Mitgliedern, die Türkische Kommunistische Partei/Marxisten-Leninisten mit 850 Anhängern, die Marxistisch-Leninistische Kommunistische Partei (MLKP) mit 600 Mitgliedern.
Von den rund 500.000 in Deutschland lebenden Kurden werden vom Verfassungsschutz rund 12.000 extremistischen Organisationen zugerechnet. Unter ihnen verfügte der Freiheits- und Demokratiekongress Kurdistans (KADEK), der im Frühjahr 2002 aus der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) hervorgegangen ist, nach wie vor über die größten Mobilisierungsfähigkeiten. Ende vergangenen Jahres löste sich KADEK auf. Kurze zeit später wurde der Volkskongress Kurdistans (KONGRA GEL) gegründet.
Im Jahr 2003 wurden von extremistischen Ausländergruppierungen 70 regelmäßig erscheinende Zeitschriften herausgegeben, von denen 47 linksextremistische, 21 islamistische und drei nationalistische Positionen vertraten. 24 dieser Titel wurden von türkischen Linksextremisten herausgegeben. Das Internet spielt für die Extremisten - ob deutsche oder ausländische - eine zentrale Rolle. Es wird nicht nur für die Propaganda, sondern vor allem auch für die Organisation genutzt.
Der Islamismus hat längst in Deutschland Fuß gefasst, wo Ende 2003 rund 7,3 Millionen Ausländer, darunter mehr als drei Millionen Muslime (meist türkischer Herkunft) lebten. Die meisten von ihnen leben nach dem Verfassungsschutzbericht ihren Glauben im Rahmen der freiheitlichen Gesellschaftsordnung. Lediglich rund ein Prozent habe sich einer oder mehrerer der 24 islamistischen Organisationen angeschlossen. Diese konnten auf knapp 31.000 Mitglieder bauen. Allerdings ist der Wirkungskreis dieser Orga- nisationen wesentlich größer. Über die von ihnen betriebenen Moscheen und Islamischen Zentren erreichen sie nicht nur ihre Mitglieder, sondern auch mehrere Tausend Muslime, die diese Einrichtungen regelmäßig besuchen.
Terrorismus: Keine Entwarnung
Im Blick auf die Ereignisse vom 11. September 2001 in New York und Washington sowie vom 11. März 2004 in Madrid gilt auch in Deutschland ein besonderes Augenmerk möglichen islamistischen Terroristen. Dazu stellt der Verfassungsschutzbericht 2003 nüchtern fest: "Auch in bezug auf Deutschland kann trotz hohen Fahndungsdrucks und Erfolgen der Sicherheitsbehörden keine Entwarnung gegeben werden. Die zahlreichen Festnahmen mutmaßlicher islamistischer Gewalttäter in Westeuropa, auch in Deutschland, verdeutlichen vielmehr den Grad der Präsenz und der Vernetzung von Strukturen arabischer Mujahedin in Europa. Bei den Ermittlungen aufgefundene Dokumente und Materialien deuteten immer wieder auf Anschlagplanungen und Vorbereitungen hin. Auch in Deutschland ist weiterhin von einem - zahlenmäßig nicht konkret zu beziffernden - Potenzial arabischer Mujahedin mit internationalen Verbindungen auszugehen."
Deutschland kommt nicht nur als Vorbereitungsraum für Anschläge in anderen Ländern in betracht, sondern auch Einrichtungen in der Bundesrepublik selbst können nach Meinung der deutschen Sicherheitsbehörden Ziel von Anschlägen werden. Denn in den Augen von Islamisten gehört Deutschland wegen seines Engagements in Afghanistan zu den sogenannten Kreuzzüglern, zu den Helfern Israels und der USA: "Die hohe Gefährdung für US-amerikanische, israelische und jüdische sowie britische Einrichtungen in Deutschland besteht fort. Einrichtungen anderer westlicher Alliierter der USA sowie prowestlich ausgerichteter muslimischer Staaten müssen ebenfalls als gefährdet angesehen werden."
Viele Jahre warf der Verfassungsschutz zwar ein Auge auf islamistische Organisationen wie Milli Görüs, mit knapp 30.000 Mitgliedern die größte extremistische, oder den Kalifstaat (über 1.000 Anhänger), drückte aber in der Regel beide Augen zu. Denn die Sicherheit der Bundesrepublik war nicht unmittelbar betroffen. Auch andere arabische oder palästinensische Organisationen konnten von Deutschland aus operieren. Etwa gegen Israel. Inzwischen hat sich viel geändert. Es wurde auch höchste Zeit. Neben dem Kalifstaat sind weitere islamistische Organisationen verboten worden, werden mögliche islamistische Gewalttäter streng beobachtet und im Verdachtsfall von Gewalttaten oder der Mitwisserschaft von Terroranschlägen verhaftet. Das alles ist auch mit "erhöhtem Fahndungsdruck" gemeint.
Freilich sind der Regierung oft auch die Hände gebunden. Etwa bei der Ausweisung von Metin Kaplan, dem "Kalifen von Köln", der wegen Mordaufrufs an seinem Berliner Konkurrenten zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt worden war. Ein Gericht setzte die Ausweisung außer Kraft, weil auf Kaplan in der Türkei ein Hochverratsprozess wartet. Die Bundesregierung geht davon aus, dass die Ausweisung bald mit richterlicher Erlaubnis der nächst höheren Instanz vollzogen werden kann.
Heute weiß man, dass auch in zahlreichen Moscheen und Koranschulen von Mili Görüs gegen die Integration der Türken in die deutsche Gesellschaft Stellung bezogen wird. Zunehmend versuchen islamistische Gruppen, die sich gern auf die vom Grundgesetzt gewährte Religionsfreiheit berufen, Parallelgesellschaften aufzubauen. Auch wollen sie in Deutschland Freiräume schaffen, die eine Anwendung der Scharia langfristig ermöglicht.
Der Verfassungsschutzbericht 2003: "Auch 2003 setzte die IGMG (also Milli Görüs) ihre faktisch desintegrative islamische Bildungsarbeit fort, die sich schwerpunktmäßig an türkische Kinder und Jugendliche richtet. Mit ihrem Gesellschaftsmodell, das letztlich auf eine einheitlich religiös formierte Gesellschaft hinausläuft, fördert sie die Entstehung und Ausbreitung islamischer Milieus in Deutschland. Gleichzeitig versucht sie sich als auf dem Boden der freiheitlichen demokratischen Grundordnung stehende Organisation darzustellen, die sich um Integration bemühe."
Die Zahl der Anhänger islamistischer Organisationen aus dem arabischen Raum stieg gegenüber 2002 im vergangenen Jahr leicht auf insgesamt 3.300 an. Der ägyptische und der syrische Zweig der Muslimbruderschaft (MB) verfügten zusammen über 1.300 Mitglieder. Die Anhängerschaft der libanesischen Hizb Allah (Partei Gottes) umfasste weiterhin rund 800 Personen. Nicht bezifferbar ist die Mitgliederzahl der Netzwerke Arabischer Mujahedin.
Hinter dem Netzwerk Arabischer Mujahedin verbirgt sich die Organisation Al Qaida (zu Deutsch: Die Basis) mit Usama Bin Laden an der Spitze. Propagiert wird die Verteidigung der muslimischen Welt gegen Ungläubige, die mit einer militanten Ablehnung der westlichen Gesellschaft verbunden ist. Zahlreiche in Deutschland lebende Mitglieder dieser Netzwerke wurden im Zusammenhang mit verschiedenen Terroranschlägen (darunter auch denen des 11. September) verhaftet.
Die Zahl der Anhänger anderer islamistischer Gruppen in Deutschland reicht von einigen wenigen (Jihad Islami) bis zu einigen Hundert (Islamische Heilsfront). Auf rund 300 Mitglieder kann sich die radikale Islamistische Widerstandsbewegung (HAMAS) in Deutschland stützen, die für viele Anschläge in Israel verantwortlich ist. Die pan-islamische Bewegung Partei der Befreiung (HuT) mit 200 Anhängern will unter Ablehnung nationalstaatlicher Strukturen die Einigung der islamischen Gemeinschaft (Umma) in einem weltweiten islamischen Staat unter der Führung eines Kalifen verwirklichen. Die HuT unterliegt in Deutschland einem Betätigungsverbot durch den Bundesinnenminister.
Der Verfassungsschutzbericht 2003 zeigt, dass die demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland nach wie vor von zahlreichen Seiten bedroht wird - von Rechts- und Linksextremisten ebenso wie von Islamisten und dass Deutschland nach wie vor ein Tummelplatz für ausländische Nachrichtendienste mit den unterschiedlichsten, allesamt aber mit dem Grundgesetz nicht vereinbaren Tätigkeiten ist. Deshalb ist Verfassungsschutz auch weiterhin eine notwendige Aufgabe des Bundes und der Länder.
Das Bundesamt für Verfassungsschutz zählte im vergangenen Jahr rund 2.400 Bedienstete und erhielt einen Zuschuss aus dem Bundeshaushalt von knapp 145 Millionen Euro. Im Nachrichtendienstlichen Informationssystem (NADIS) von Bund und Ländern waren immerhin rund 985.300 personenbezogene Eintragungen enthalten.