Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 20 / 17.05.2005
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Barbara von der Lühe

Hoffnung auf eine neue Gesellschaft unter rotem Banner

Jüdischer Widerstand in Berlin - die "Gruppe Baum"

Gestorben, gestorben, gestorben muss sein", hatte Herbert Baum zu Silvester 1941/42 gesungen. Zu diesem Zeitpunkt waren er und seine Freunde bereits zur Deportation vorgesehen. Ihnen ist dieses Buch gewidmet, das den Leser nicht mehr loslässt, so unmittelbar und zugleich informativ ist die Spurensuche der Berliner Historikerin Regina Scheer. Es sind Spuren der Lebenswege von 28 meist sehr jungen Leuten, deren Namen in einen schwarzen Gedenkstein auf dem jüdischen Friedhof Berlin-Weißensee gemeißelt sind.

Die bekanntesten sind Herbert und Marianne Baum. Die "Baum-Gruppe" war besonders in der DDR, aber auch in der Bundesrepublik ein Begriff. Unter der Nazidiktatur als Juden und Kommunisten zweifach geächtet, wagten sie und ihre Freunde Protest und Widerstand gegen das Regime. Sie hofften auf einen revolutionären Kampf gegen Hitler und auf ein politisches System wie in der Sowjetunion, das ihnen als Juden ein friedliches und gerechtes Leben in Gleichberechtigung ermöglichen sollte.

Anschlag auf NS-Schau

Ein fast folgenloser Brandanschlag auf die Ausstellung "Das Sowjetparadies" im Berliner Lustgarten am 18. Mai 1942 wurde sowohl den direkt als auch den nur mittelbar Beteiligten und sogar engsten Familienangehörigen zum Verhängnis. Von 1942 bis 1943 wurden sie nach einer akribischen Hetzjagd gefangen genommen, zum Tode verurteilt und hingerichtet; andere starben 1944 in Konzentrationslagern.

Dass in Weißensee nicht alle Mitglieder der Widerstandsgruppe um Herbert Baum genannt werden und dass einige Namen seit der Aufstellung des Gedenksteins 1951 ausgewechselt wurden, gehört zur deutsch-deutschen Erinnerungskultur und den dazugehörigen Ritualen vor und nach der Wiedervereinigung.

In der Bundesrepublik sträubte man sich lange, den kommunistischen Widerstand gegen das Nazi-Regime überhaupt zu würdigen. Regina Scheer gelingt es eindrucksvoll, aus Zeitzeugen-Interviews, zahlreichen Briefen, Verhörprotokollen sowie Material der DDR-Sicherheits-Organe das Geschehen um diesen Anschlag zu rekonstruieren.

Im Mittelpunkt stehen die Schicksale der einzelnen Menschen, ihre Haltung zum Judentum, ihr Weg zum Kommunismus und schließlich in den Widerstand. Ausführlich stellt die Autorin die Freundes- und Liebesbeziehungen der überwiegend 20- bis 30-jährigen Gruppenmitglieder dar. Dieser für ein so politisches Thema eher ungewöhnliche Blickwinkel erlaubt es, die vielschichtigen Handlungsmotive erklärbar zu machen, selbst die Taten des oder der vermutlichen Denunzianten, die so vielen den Tod brachten.

Den Widersprüchen, die in den verschiedenen Quellenmaterialien offenbar werden, geht Regina Scheer intensiv nach, einige "Heldenbilder" werden zurechtgerückt. Nicht ohne Bitterkeit registriert die Autorin die Wechselfälle des offiziellen Umgangs in der DDR mit der NS-Zeit. So wurden die wenigen Überlebenden der Baum-Gruppe während der antisemitischen Säuberungen in Osteuropa Ende der 40er- Jahre als Juden und Verräter denunziert und wiederum verfolgt. Ende der 60er-Jahre wurden sie Helden des antifaschistischen Widerstands; freilich wurde ihre jüdische Herkunft meist verschwiegen.

Regina Scheer rekonstruiert diese Vorgänge aus vielen Aussagen, die sich in ehemaligen DDR-Archiven fanden. Sie reflektiert auch ihre eigene Betroffenheit angesichts der historischen Ereignisse, die in ihren langjährigen Recherchen immer deutlicher wurden. Ein Mitglied der Widerstandsgruppe kam ihr dabei besonders nahe: Edith Fraenkel, die wahrscheinlich 1944 im Alter von 22 Jahren in Auschwitz ermordet wurde. Mit dem früherem Verlobten führte sie intensive Gespräche, er wurde zu einer wichtigen Bezugsperson. Das heutige Berlin wird zur Folie der Ereignisse, die 60 Jahre zurückliegen. Überall finden sich im Stadtbild Spuren - auf Straßen, in Gebäuden, in Ruinen. Schließlich nimmt sie Abschied: "Edith Fraenkels Geschichte ist aufgeschrieben. Ich muss aufhören, nach Spuren zu suchen." Für den Leser fängt die Erinnerungsarbeit jetzt erst an.


Regina Scheer

Im Schatten der Sterne.

Eine jüdische Widerstandsgruppe.

Aufbau Verlag, Berlin 2004; 478 S., 24,90 Euro


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
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