Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 10 / 06.03.2006
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Helmut Lölhöffel

Trompeter, Gästeführer, Mars und Minerva

Sinnvolles und Kurioses aus den Selbstauskünften der Abgeordneten

Von Ackermann bis Zypries reicht das Alphabet der 614 Bundestagsabgeordneten. Wer sich ein näheres Bild von ihnen machen möchte und wissen will, wo sie ihre Arbeitsschwerpunkte haben, braucht das klassische Volkshandbuch Deutscher Bundestag, kurz "Der Kürschner" genannt, und das jetzt zum zweiten Mal erschienene Arbeitshandbuch Bundestag. Sie erschließen die Abgeordneten aus verschiedenen Blickwinkeln und vermitteln sich ergänzende Informationen.

Das Arbeitshandbuch ist ein Verzeichnis der Büroadressen und Funktionen aller Abgeordneten, angereichert mit Fotos und Zusammenstellungen brauchbarer Hinweise wie zum Beispiel einer Geburtstagsliste, damit jeder weiß, wem wann zu gratulieren ist. Die ansprechend aufgemachte neue Ausgabe dieses praktikablen Nachschlagewerks, herausgegeben von dem ehemaligen Abgeordneten-Mitarbeiter Thorsten Lüthke, ist werbefinanziert und wird kostenlos vergeben.

Wie in jeder neuen Wahlperiode stellen sich die Abgeordneten im rot-weiß gestreiften Kürschner mit Bild und biografischen Angaben vor. Die meisten beschränken sich auf Personaldaten und beruflichen Werdegang sowie auf politische Ämter. Viele jedoch geben auch allerlei Nebensächliches und Sonderbares, Unwichtiges und Kurioses preis. So erfahren wir, dass die Abgeordnete Christel Happach-Kasan (FDP) "Veröffentlichungen zu Themen der historischen Kartografie" vorzuweisen hat.

Wolfgang Börnsen (CDU) hat eineAbhandlung "Plattdeutsch im Dt. Bundestag" verfasst. Patrick Döring (FDP) erwähnt, dass er Vorstand einer Haustier-Krankenversicherung ist, Jan Mücke von der FDP hält für wichtig, dass er einmal stellvertretender Vorsitzender des Bürgerbegehrens Waldschlösschenbrücke e.V. in Dresden war und Dorothée Menzner (Die Linke) weist sich als Mitglied bei "xtausendmalquer" aus.

Den originellsten Beruf gibt der SPD-Abgeordnete Frank Schwabe an: "Gästeführer" - und zwar "an verschiedenen industriekulturellen Orten im Ruhrgebiet". Auffallend ist auch die Auskunft von Günter Baumann (CDU), der "Werkleiter in einem Posamentenbetrieb" war. Seine Fraktionskollegin Marie-Luise Dött ist "Gemmologin und Diamantgutachterin", Lena Strothmann (ebenfalls CDU) ist Damenschneidermeisterin und leitet ein Geschäft mit dem anspruchsvollen Namen "Die Couturiers".

Viele Bundestagsmitglieder stellen ihre Vereinsmitgliedschaften heraus, wobei manche, wie Veronika Bellmann (CDU) es bei der vagen Pauschalauskunft "Mitgl. in zahlr. örtl. Vereinen" belassen oder wie Sascha Raabe (SPD), der einfach hinschrieb, er sei "Mitgl. div. sozialer und kultureller Organisationen sowie Sportvereine" oder wie Sevim Dagdelen (Die Linke), die "aktiv in den sozialen Bewegungen und außerparlamentarischen Gruppen" ist - letztlich eine nutzlose Information.

Viele aber führen sämtliche Posten und Pöstchen, Ämter und Ehrenämter auf. Spitzenreiter sind hier die Stuttgarter SPD-Abgeordnete Ute Kumpf mit 18 Eintragungen von der Initiative "Mitmachen Ehrensache" bis zu den "Stuttgarter Junxx" und Lothar Mark (SPD) aus Mannheim mit Mitgliedschaften im badischen Rennverein bis hin zum Goethe-Institut. Auf 17 Mitgliedschaften bringt es Günter Gloser (SPD), Europa-Staatsminister im Auswärtigen Amt. Eine Art Postenkönigin ist Marianne Schieder (SPD), die in zwölf Zeilen 14 Mitgliedschaften, vier Parteifunktionen, drei kommunale Ämter und ein früheres Landtagsmandat sowie die allgemeine Angabe unterbringt, sie gehöre außerdem "diversen Kleintierzüchtervereinen" und "diversen Obst- und Gartenbauvereinen" an.

In der Spitzengruppe befindet sich auch Mechthild Rawert (SPD) mit zehn Mitgliedschaften und neun Parteiämtern. Rätselhaft erscheint, dass Bernd Siebert (CDU) sich als Vorsitzender der überparteilichen Parlamentariergruppe "Mars und Minerva" ausgibt, Uwe Beckmeyer (SPD) als Mitglied der "Männer vom Morgenstern". Eher merkwürdig ist die Anzeige von Gerold Reichenbach (SPD), der unter seinen 15 Mitgliedschaften dem "Katastrophen-, Erkundungs- und Koordinierungsteam der Vereinten Nationen (UNDAC)" angehört, allerdings, wie er ausdrücklich in Klammern anmerkt, "inaktiv". Daniela Raab (CSU) hingegen legt Wert darauf, "jüngstes Mitglied im Landesvorstand der Frauen-Union" Bayerns zu sein - und das nun schon "seit 2001".

Sehr beliebt ist es, die Mitgliedschaft im örtlichen Sportverein vom ESV Nürnberg-Rangierbahnhof (Martin Burkert, SPD) über den Basketball-Bundesligisten EWE Oldenburg (Gesine Multhaupt, SPD) bis zu Borussia Dortmund (Marco Bülow, SPD) anzugeben, wobei SPD-Fraktionschef Peter Struck seine BVB-Mitgliedschaft unterschlägt. Aber SPD-Generalsekretär Hubertus Heil stellt gerne heraus, dass er nicht nur dem VfB Peine, sondern auch dem TSV Bildung angehört, einem alten Arbeitertraditionsverein. Krista Sager von den Grünen ist stolz, beim FC St. Pauli zu sein. Carsten Schneider (SPD) ist Vorsitzender von "Erfurt rennt", Christian Freiherrr von Stetten (CDU) teilt etwas ungenau mit, er sei "aktiver Fußballer", der Grüne Winfried Hermann sitzt im Vorstand von "Straßenfußball für Toleranz", Detlef Parr (FDP) besitzt eine Fußballtrainerlizenz.

Ausgiebig machen Abgeordnete von der Möglichkeit Gebrauch, literarische und musikalische Vorlieben zu erwähnen. So hat Ilja Seifert (Die Linke) schon "mehrere Lyrik-Bändchen veröffentlicht", Florian Toncar (FDP) gehört zur Literarischen Gesellschaft Scheffelbund, Josef Philip Winkler (Grüne) aus Bad Ems ist Künstlerischer Beirat des Kellertheaters CasaBlanca. Klaus Brähmig aus der Sächsischen Schweiz ist Mitglied des Festivalvereins "Sandstein und Musik", Heinz-Peter Haustein bläst seit 1965 im Posaunenchor Deutschneudorf das Tenorhorn, Günther Krichbaum (CDU) bekennt sich zur Löblichen Singergesellschaft von 1501 Pforzheim. Lothar Mark sitzt im Trägerverein der Mannheimer Bläserphilharmonie, Rolf Stöckel ist Mitglied im Spielmannszug Nordbögge, der Zahnarzt Rolf Koschorrek (CDU) wirkt als "Trompeter und Arrangeur in Jazzbands" mit. Diether Dehm (Die Linke) stellt sich als "Songautor und Komponist" vor.

Manche Abgeordnete protzen mit Auszeichnungen wie zum Beispiel Peter Gauweiler (CSU), der seine Medaillen und Orden aufzählt und darüber informiert, dass er Ehrenoffizier der Gebirgsschützenkompanie Traunstein ist; Elvira Drobinski-Weiß (SPD) gibt an, Trägerin des italienischen Ordens "Stella della Solidarieta" zu sein.

Viele dieser Selbstauskünfte sind unvergleichbar, weil die Abgeordneten unterschiedliche Gewichte setzen. Ungleich ist im Kürschner - anders als im Arbeitshandbuch, das ein durchgehendes Schema einhält - auch die Datenmenge. So benötigt der Abgeordnete Norbert Geis (CSU), der seit 23 Jahren im Parlament sitzt, gerade einmal fünf Zeilen; Ex-Minister Otto Schily (SPD) kommt mit acht Zeilen aus. Die Parlamentsneulinge Edmund Peter Geisen (FDP) mit 23 Zeilen und Monika Grütters (CDU), mit 27 Zeilen Rekordhalterin, haben erheblich mehr über sich mitzuteilen.

Spezialkenntnisse von zwei der neuen Bundestagsabgeordneten sind in Zeiten von Finanzkrise und Vogelgrippe möglicherweise nutzbringend für das Parlament. Axel Troost (Die Linke) hat über das Thema "Staatsverschuldung und Kreditinstitute" promoviert. Kirsten Tackmann (ebenfalls von der Linkspartei) hat jahrelang an Instituten für Tierseuchenbekämpfung und Epidemiologie gearbeitet.

Kürschners Volkshandbuch Deutscher Bundestag (16. Wahlperiode). Neue Darmstädter Verlagsanstalt, Rheinbreitbach 2006; 320 S., 9,80 Euro

Arbeitshandbuch Bundestag 2006. Verlag für Berlin und Brandenburg, Berlin 2006; 414 S., 19,50 Euro


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
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