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Nr. 25 / 19.06.2006
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Jarmila Bugala

Pompeji unter Wasser

Zwischen Wissenschaftlern und Schatzjägern

Zufälle sind in der Wissenschaft nichts Ungewöhnliches. Bereits Alexander von Humboldt sagte, dass "die Wissenschaft eben dann ihren wohltätigen Segen ausgießt, wenn sie ihren Nutzen gewissermaßen vergisst". So ist es auch in der Archäologie, wo sich spektakuläre Funde häufig als Produkt des Zufalls ergeben - wie bei der Entdeckung von Herakleion.

Herakles ist einer der bedeutendsten Helden der griechischen Sagenwelt. Er galt in der Antike als Verkörperung von Kraft, Mut und Tapferkeit. Als Sohn des Gottes Zeus und der mykenischen Prinzessin Alkmene war er eigentlich ein Halbgott, also sterblich. Wegen seiner außerordentlichen Heldentaten wurde er nach seinem Tod aber in den Olymp aufgenommen und damit unsterblich.

Jede Menge Tempel wurden zu Ehren des griechischen Gottes errichtet. Die ägyptische Stadt Herakleion verdankte ihrem sagenumwobenen Herakles-Tempel sogar ihren Namen. Lange Zeit war sie nur aus Mythen bekannt, über ihre tatsächliche Existenz gab es keine gesicherten Erkenntnisse. So lange, bis der französische Unterwasserarchäologe Franck Goddio den Beweis dafür lieferte, dass es die Stadt vor über 2.300 Jahren wirklich gab. Neben Herakleion entdeckte er auch die Überreste des antiken Hafens von Alexandria samt ihrem Königsviertel und Teilen der Stadt Kanopus.

Ein Zufall, wie er in der Archäologie oft vorkommt. Die Wiederentdeckung Pompejis geht beispielsweise auf Entwässerungsarbeiten im Samo-Tal zurück. Und Goddio war in der Bucht von Abukir ursprünglich auf der Suche nach einer untergegangenen Flotte Napoleons, als er auf Unregelmäßigkeiten im Meeresboden stieß, die sich als wahres "Pompeji unter Wasser" entpuppten. Denn die ägyptischen Städte wurden vor über 1.000 Jahren von einem ähnlichen Schicksal getroffen wie die altertümliche Stadt in Italien: verheerende Erdbeben erschütterten die seismisch sehr aktive Region. Aufgrund des allmählich nachgebenden Nil-Sedimentbodens sank das Festland stetig ab. Mächtige Flutwellen sorgten schließlich dafür, dass die Küs-te schrittweise vom Wasser erobert und die "Perle des Mittelmeeres", wie Alexandria genannt wurde, unter einer neun Meter hohen Schlammschicht begraben wurde.

Goddio fing vor zehn Jahren damit an, in dem insgesamt 100 Quadratkilometer großen Areal zu buddeln - letztes Jahr dann der große Erfolg: Da fand er Herakleion, die Vorgängerin Alexandrias und Ägyptens größte Hafenstadt der damaligen Zeit.

Insgesamt 18.000 Fundstücke hat der Franzose aus dem kaffeebraunen Wasser gezogen. Die starke Verschmutzung behindert die Arbeit erheblich. Bei Sichtweiten von einem halben Meter oder weniger lässt sich ein wertvolles, geschichtsträchtiges Fundstück nur schwer von einem Schlammbrocken oder einer falsch entsorgten Bierdose unterscheiden.

Ein Teil aus Goddios Fundgrube ist seit nunmehr einem Monat auch der Öffentlichkeit zugänglich. Insgesamt 498 archäologische Artefakte umfasst die Ausstellung "Ägyptens versunkene Schätze", die zurzeit im Berliner Martin-Gropius-Bau zu bestaunen ist. Viele davon hatten jahrelang in einem privaten Depot gelegen und auf die Finanzierung ihrer Präsentation gewartet. Diese wurde schließlich von einer Stiftung übernommen. Bereits im Vorfeld hatte die Ausstellung weltweit für Aufsehen gesorgt. Gespannt hatten Archäologie-Experten und -Interessierte auf die Weltpremiere gewartet. Über 100.000 Besucher haben sie mittlerweile besucht.

Unter den Exponaten befinden sich einzigartige Zeugnisse ägyptischer Geschichte. Sie liefern Erkenntnisse über einen Zeitraum von 1.500 Jahren: Von der Zeit der letzten Pharaonen über Alexander den Großen und die griechischen Herrscher am Nil bis hin zur römischen Zeit, die erst nach der Christianisierung des Landes mit der islamischen Herrschaft endete.

Zu den ausgestellten Schätzen gehören neben zahlreichen Skulpturen die bislang größte entdeckte Statue eines ägyptischen Königs, einer Königin und des Gottes Hapi. Darüber hinaus werden beeindruckende Sphinxe, Juwelen, Töpfereien, Münzen, zeremonielle Gegenstände und zahlreiche Amphoren gezeigt - die Transportbehälter der Antike.

Eine der Hauptattraktionen ist der "Naos der Dekaden", ein ägyptischer Kalender und eines der höchsten Heiligtümer der Pharaonenzeit. Zwei Fragmente dieses berühmten schwarzen Granitschreins waren bereits vor Jahren entdeckt worden. Eines beherbergt heute der Pariser Louvre, ein anderes gehört dem griechisch-romanischen Museum in Alexandria. Einzig während dieser Ausstellung wird der Schrein fast vollständig zusammengesetzt präsentiert.

Die Schau gewährt dem Besucher aber auch Einblicke in die Geheimnisse der Unterwasserarchäologie, einer Teilwissenschaft der klassischen Archäologie. Sie beschäftigt sich mit allen archäologischen Quellen, die sich auf dem Grund von Meeren und Seen, aber auch in Mooren befinden. Neben untergegangenen Schiffen werden auch deren Ladungen, historische Landeanlagen, Häfen und ganze Dörfer untersucht, die durch die Veränderung des Meeresspiegels unter die Wasserlinie geraten sind.

In den letzten Jahren ist der Sparte immer mehr Aufmerksamkeit zuteil geworden. Das liegt zum einen daran, dass organische Materialien wie Holz, Textilien oder Nahrungsmittel unter Wasserbedeckung und Luftabschluss besonders gut konserviert werden. Außerdem sind sie, wenn sie unter einer Sedimentschicht begraben sind, nur geringen Störungen ausgesetzt und daher häufig außerordentlich gut erhalten. Hat man Gefundenes erst mal als wertvolles Fundstück identifiziert, beginnt die Hauptarbeit: Die zentimeterdicke Patina muss entfernt werden, ohne die Kostbarkeit zu beschädigen. Außerdem befinden sich die Gegenstände durch das Salzwasser in einem chemischen Gleichgewicht. Um nicht binnen kürzester Zeit zu zerfallen, müssen sie nach ihrer Bergung weiterhin in Flüssigkeit verwahrt und einem äußerst aufwändigen Konservierungsprozess unterzogen werden.

Ausschlaggebend für den Bedeutungsaufschwung der Unterwasserarchäologie ist aber vor allem die erhebliche Verbesserung der zur Ortung erforderlichen Technik. Meeresarchäologen setzen heute modernste Instrumente für ihre Arbeit ein: Bodenscanner, Unterwassersonare, hoch empfindliche Gravimeter, Tiefsee-Echolote und bewegliche Tauchroboter. Zu Goddios Repertoire gehört sogar ein hochmodernes nukleares Resonanzmagnetometer, das gemeinsam mit der französischen Atomenergiekommission entwickelt wurde.

Derlei Technologie ist teuer. Meeresarchäologen sind aus diesem Grund häufig auf private Investoren angewiesen, die ihnen das Equipment für ihre Expeditionen sponsern. Nicht alle sind daher so gut ausgestattet wie der französische Unterwassermann. Außerdem werden die Gerätschaften nicht immer zu wissenschaftlichen Zwecken eingesetzt. Immer häufiger gründen sich kleine Gesellschaften, die mit dem Millionenkapital risikofreudiger Anleger ausgestattet sind und sich die Rechte an den Funden sichern. Ein lohnendes Geschäft, angesichts von drei Millionen Wracks, die nach wie vor auf dem Grund der sieben Weltmeere liegen und einen Wert von geschätzten 30 Milliarden Euro haben. Mit ihrer rabiaten Vorgehensweisen verwüsten die Geldhaie allerdings nicht nur den Fundort. Indem sie es aus dem Zusammenhang reißen, zerstören sie auch den wissenschaftlichen und historischen Wert des Gefundenen. Für Wissenschaftler ist es daher ein Graus, dass die Unesco-Konvention zum Schutz des Unterwasserkulturerbes, die den profitsüchtigen Jägern Einhalt gebieten soll, noch längst nicht von allen Küstennationen ratifiziert wurde. Nach wie vor gilt: Wer suchet und findet, der streicht auch ein. So ist ein regelrechter Wettlauf zwischen wissenschaftlich arbeitenden Archäologen und kommerziellen Schatzsuchern entbrannt.

Zu kämpfen haben Tauch-Archäologen aber auch noch gegen einen anderen Feind: den "Teredo navalis", den Schiffsbohrwurm. Wie sein Artgenosse an Land frisst sich der Schädling vorzugsweise durch Holz, und zwar meist dem unersetzbarer Schiffswracks. Er ist inzwischen auch in der Ostsee angekommen, obwohl diese mit ihrem geringen Salzgehalt kein idealer Lebensraum für den Wurm ist. Mehr als 100 Wracks hat er dort bereits befallen. Trotzdem ist die Ostsee für Unterwasserarchäologen geradezu eine Schatzkammer, denn sie gilt als weltweit wrackhaltigstes Meer. Die Überreste von rund 2.000 gesunkenen Schiffen werden vor der Küste Mecklenburg-Vorpommerns vermutet. Mehr als 500 Fundorte sind mittlerweile bekannt und werden vom dortigen Landesamt für Bodendenkmalpflege kartografiert. Nur das Landesamt besitzt die Lizenz, zu den

Wracks zu tauchen, sie zu untersuchen oder gegebenenfalls zu heben. In Deutschland sind Ausgrabungen unter Wasser nämlich ebenso wie an Land genehmigungspflichtig und dürfen nur von Fachleuten vorgenommen werden.

Auch Goddio braucht für seine Forschungen eine Lizenz des ägyptischen Kulturministers. Und er besitzt sie, was einigen seiner Kollegen gar nicht passt. Denn der Franzose ist in der Branche höchst umstritten. Viele halten ihn für einen geschickten PR-Mann, dem es an wissenschaftlicher Expertise genauso mangelt wie an einer professionellen Dokumentation und Erforschung von Fundstellen und Artefakten. In der Tat besitzt Goddio keinen akademischen Abschluss in Archäologie. Früher war er als Finanzberater für die Vereinten Nationen in Asien und für die Regierung in Saudi-Arabien tätig. Erst im Alter von 37 Jahren machte er sein Hobby zum Beruf und hat seither spektakuläre Entdeckungen gemacht, darunter einige südchinesische Dschunken aus dem 11. bis 15. Jahrhundert. Diesen Erfolg müssen wohl auch seine schärfsten Kritiker anerkennen.

Er selbst lässt sich durch die teils scharfzüngige Kritik nicht aufhalten. Dieses Jahr widmet sich Goddio mit seinem Team dem Nordosten des Areals, von dem erst ein Hundertstel erforscht ist. Noch 20 Jahre wird es Experten zufolge dauern, bis die Grabungsarbeiten dort beendet sind. Nicht nur zum Tauchen braucht man da einen langen Atem.

Jarmila Bugala ist Studentin und absolviert derzeit ein Praktikum bei der Wochenzeitung "Das Parlament".

Informationen im Internet: www.aegyptens-versunkene-schaetze.de


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