Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 25 / 19.06.2006
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Alexander Weinlein

Editorial


Europa blickt auf das Meer - und es hat allen Grund dazu: Trotz der wichtigen Rolle der Meere für die Europäische Union hat sich eine gemeinsame Meerespolitik der EU-Staaten bislang nur marginal herausgebildet. Dieser Vorwurf wird nicht etwa von den nimmermüden Euro-Skeptikern geäußert, sondern von der EU-Kommission in Brüssel - und sie gelobt zugleich Besserung. Am 7. Juni legte die Kommission ihr Grünbuch mit dem viel versprechenden Titel "Die künftige Meerespolitik der Europäischen Union: eine europäische Vision für Ozeane und Meere". Dass die von der Kommission geforderte, koordinierte Politik für die Meere eine Priorität für die Europäer darstellen muss, lässt sich anhand einiger Zahlen zeigen:

Die Hoheitsgewässer der 25 Mitgliedstaaten der Europäischen Union nehmen eine größere Fläche ein als all ihre Festlandsgebiete. Die Küsten der europäischen Kontinents und seiner Inseln erstrecken sich über Tausende von Kilometern entlang von Nord- und Ostsee, des Schwarzen- und des Mittelmeeres, des Atlantiks und des nördlichen Polarmeeres. Sie bilden zwei Drittel der EU-Außengrenzen. Doch vor allem stellen die europäischen Meere und die Küstenregionen einen gewaltigen Wirtschaftsraum dar: 40 Prozent des europäischen Bruttoinlandsprodukt werden an den Küsten erwirtschaftet, 90 Prozent des Außenhandels und 40 Prozent des Binnenhandels auf dem Seeweg abgewickelt. Europa stellt 40 Prozent der Welthandelsflotte und in seinen Seehäfen werden jährlich 3,5 Milliarden Tonnen Fracht umgeschlagen. Und an den Küsten erwirtschaftet die Tourismusbranche

72 Milliarden Euro. Die EU ist zudem der weltgrößte Absatzmarkt für Fischerzeugnisse, allein im Fischereisektor haben 526.000 Menschen einen Arbeitsplatz. Aber die Meere liefern nicht nur Fisch: Die Nordsee ist weltweit eine der größten Quellen für Energie, Gas und Öl.

Soweit die nackten Zahlen. Sie klingen beeindruckend und vermitteln eine recht gute Vorstellung von der Bedeutung, die das Meer für die Wirtschaft der EU spielt. Über die damit verbundenen Probleme, etwa im Umweltbereich, sagen sie allerdings wenig aus. Und hinter solchen Statistiken verbirgt sich ein wahrer Ozean von Geschichten über das Meer, seine Tier- und Pflanzenwelt und "seine" Menschen. In dieser Ausgabe des "Parlaments" wollen wir einige wenige dieser Geschichten erzählen.

Es sind Geschichten von Menschen, für die das Meer zu einer lebensbedrohenden Gefahr wurde - wie in Indonesien durch den verheerenden Tsunami des Jahres 2004 - oder deren Lebensräume durch den steigenden Meerespiegel bedroht sind, wie im Fall vieler Inseln in der Südsee. Es sind aber auch Geschichten von Menschen, die ihre Lebensgrundlage dem Meer verdanken - Schiffbauer und Fischer zum Beispiel - oder die sich dem Schutz der Ozeane und seiner tierischen Bewohner verschrieben haben. Und es sind Geschichten von den Schätzen, die das Meer zu bieten hat: Bodenschätze wie Öl und Gas, das Potenzial zur Gewinnung alternativen Energien und Stoffe, aus denen Medikamente hergestellt werden können.

Zwei Drittel unserer Welt sind von Wasser bedeckt, der überwiegende Teil von den Ozeanen. Der blaue Planet im schwarzen All. So unermesslich groß uns diese Wassermassen erscheinen, so zahlreich sind auch die menschlichen Probleme, die sich in ihrer Oberfläche spiegeln: Piraterie und Streitigkeiten zwischen Staaten über Hoheitsgewässer sind nur zwei Beispiele, über die wir in dieser Ausgabe berichten. Es soll aber auch von den Mythen und Träumen die Rede sein, die der Mensch seit jeher mit dem Meer verbindet.

Kommissionspräsident Manuel José Barroso forderte bei der Vorstellung des Grünbuchs die Bürger Europas auf, ihre Meinung über die zukünftige Meerespolitik der EU zu äußern. Vielleicht ist diese Ausgabe ein kleiner Beitrag zur Meinungsbildung, um sich in diese Debatte einschalten zu können.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2005.