Vor Kriegsbeginn hatte Weber offensichtlich ein untrügliches Gefühl für die kommende Leistung, schrieb er doch an seinen Tübinger Verleger Siebeck im Februar 1913: "Der große Artikel: ?Wirtschaft, Gesellschaft, Recht und Staat' wird das systematisch Beste, was ich bisher geschrieben habe." Diese Arbeiten entstanden im geplanten "Grundriss der Sozialökonomie", dessen Herausgeberschaft Weber übernommen hatte.
Allerdings zeigt der Briefwechsel mit seinem Verleger Paul Siebeck auch, dass Weber diese Arbeit zunehmend als Bürde empfand und schließlich bedauerte, sie je angefangen zu haben. Bei Kriegsausbruch wurde die Fertigstellung auf unabsehbare Zeit vertagt. Erst nach Webers Tod wurden fragmentarische Teile seiner Manuskripte von Marianne Weber als zweiter und dritter Teil von "Wirtschaft und Gesellschaft" publiziert.
Die Briefe bestätigen Max Webers streitbaren, um nicht zu sagen bisweilen cholerischen Charakter. Selten ließ er eine Gelegenheit aus, sich mit Anderen anzulegen, suchte das Duell oder führte Prozesse - natürlich selbst -, weil er Anwälte für unfähig hielt und selbst mit seiner juristischen Ausbildung gerne glänzte. Entsprechend intensiv und selbstbewusst war Webers Rechtsberatung gegenüber Frieda Gross, die, mit dem berühmten, aber rauschmittelabhängigen Psychoanalytiker Otto Gross verheiratet, um das Sorgerecht für die Kinder rang. Interessant sind in diesem Zusammenhang auch Webers Reisen nach Ascona, zum Wohnort von Frieda Gross, wo er in eine "Welt voller Zauberweiber, Anmuth, Tücke und Glücksbegier" eintauchte, aber grundsätzlich Distanz hielt.
Liebesbeziehung zu Else Jaffe
Die gedrechselte Sprache seiner Briefe mit Blick auf die "erotische Bewegung" lässt ahnen, dass Max Weber sich im selbstverordneten stahlharten Gehäuse seiner Verantwortungsethik nicht immer wohl fühlte. Die Briefe deuten an, dass er "Frau Frieda" nicht nur gerne half, sondern darüber hinaus von ihr angezogen war, gleichzeitig aber Annäherung fürchtete. Max Weber war gerade in diesen Jahren tief zerrissen: Ein Mann, der in der Arbeitswut seine erotischen Begierden und emotionalen Sehnsüchte zu verdrängen suchte. 1910 hatte er sich von Else Jaffe zurückgezogen; erst 1919/20 sollte diese Liebesbeziehung eine Erfüllung finden. Die Reisen nach Ascona dienten Weber also auch der Flucht und Erholung, aber auch der Entwöhnung von Beruhigungs- und Schlafmitteln.
Der vorliegende Briefband ist vorbildlich herausgegeben, doch hätte viel Banales ausgelassen werden können. Trotzdem gibt es Trouvaillen, also Wertvolles: Die Briefe an seinen Kollegen Werner Sombart, vor allem über dessen Buch "Der Bourgeois", geben einen glänzenden Einblick in das vertraute und zugleich rivalisierende Verhältnis der beiden herausragenden Repräsentanten deutscher Soziologie in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Von Interesse sind auch die Briefe und Streitigkeiten mit den Kollegen Ferdinand Tönnies und Robert Michels. Bewegend und aufschlussreich auch der Brief an seine Mutter vom 12. April 1914.
Webers Einstellung zum Ersten Weltkrieg zeigt sich am treffendsten in seinem Brief an Paul Siebeck vom 7. September 1914, als dessen Sohn Robert gefallen war: "Nun ist er mit der gleichen Begeisterung wie für seine Kunst für die Existenz unseres Staates und unserer Kultur in die Schranke getreten und durch den schönsten Tod, den das Schicksal an uns, die wir alle sterben müssen, zu vergeben hat, abgerufen worden."
Für Max Weber war wie für die überwältigende Mehrheit der Deutschen dieser Krieg groß und wunderbar. Doch auch diese Einschätzung sollte Weber, wenn auch nach langem inneren Ringen in den folgenden Jahren, unter dem Eindruck der Ereignisse modifizieren.
Max Weber
Gesamtausgabe II/8, Briefe 1913 bis 1914.
Herausgegeben von M. Rainer Lepsius und Wolfgang Mommsen in Zusammenarbeit mit Birgit Rudhard und Manfred Schoen.
Verlag Mohr Siebeck, Tübingen 2003; 901 S., 279,- Euro