Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 10 / 01.03.2004
Steffen Wippel

Die Wüste als Brücke und Chance zwischen den Völkern in Nord und Süd

Die Wiederbelebung transsaharischer Beziehungen

In Medien und Fachwelt werden das nördliche und subsaharische Afrika meist getrennt betrachtet und die Sahara vor allem als Hindernis für Kontakte an-gesehen. Historisch bestanden jedoch enge politische, wirtschaftliche und kulturelle Beziehungen der nord-afrikanischen Länder in die Sahara hinein und über sie hinweg, die in letzten Jahren wieder an Bedeutung gewonnen haben. In erster Linie verband der Karawanenhandel mit Gold, Sklaven, Gewürzen oder Straußenfedern die beiden "Ufer" der Wüste Sahara.

Immer wieder gingen von Nordafrika Versuche aus, im Sahara- und Sahelraum Einfluss zu nehmen. Durch die Sahara gelangte der Islam in das subsaharische Afrika und Pilger- und Studentenströme durchquerten sie auf dem Weg in die religiösen Zentren des Nordens. Diese engen Bindungen wurden mit der kolonialen Aufteilung des Kontinents weitgehend unterbrochen. Erst in den ersten Jahren nach der Unabhängigkeit nahmen die Beziehungen zu Afrika in der Außenpolitik der nordafrikanischen Staaten wieder einen wichtigen Stellenwert ein. Sie unterstützten die Befreiungsbewegungen, und vor allem Marokko, Algerien und Ägypten ging es darum, politische Positionen zu markieren. Schließlich waren die 70er-Jahre von Versuchen zu einer umfassenden arabisch-afrikanischen Kooperation geprägt, die finanziert wurde von den rasch steigenden Einnahmen der Ölexportländer.

Nach dem weitgehenden Stillstand in den 80er-Jahren kam erst im folgenden Jahrzehnt erneut Bewegung in das nordafrikanisch-subsaharische Verhältnis. Nicht zuletzt der Wegfall des Ost-West-Gegensatzes und die Intensivierung der Globalisierung trugen dazu bei, dass herkömmliche Vorstellungen über regionale Aufteilungen der Welt aufgeweicht wurden und ein "Zwischenraum" wie die Sahara auch in der politischen Praxis mit Aufmerksamkeit bedacht wurde. Seit etwa 1997 engagieren sich besonders Ägypten, Libyen und Marokko beim Ausbau ihrer politischen und wirtschaftlichen Beziehungen zum subsaharischen Afrika. Die Anstrengungen umfassen nicht nur rein bilaterale Kontakte, sondern es lassen sich auch regionale Verdichtungen außenpolitischer und außenwirtschaftlicher Beziehungen beobachten, die bis zur Annäherung an subregionale Organisationen reichen.

In den genannten Ländern werden immer wieder die eigene Zugehörigkeit zu Afrika und die ethnische und historische Zusammengehörigkeit der beiden Seiten der Sahara betont. Man versteht sich als "Brücke" zwischen beiden Teilen des Kontinents und als "Scharnier" am Berührungspunkt mehrerer Weltregionen. Besonders augenfällig ist auf offizieller Ebene die zunehmende Zahl gegenseitiger Besuche, die in den Medien ausführlich gewürdigt werden. Schließlich unternahmen die nordafrikanischen Länder zahlreiche Vermittlungsbemühungen in regionalen Konflikten im subsaharischen Afrika.

Politische Motive spielten weiter eine Rolle bei der Neuorientierung in Richtung subsaharisches Afrika. So bemühte sich Muammar al Gaddafi, dort Unterstützung für die Aufhebung der internationalen Sanktionen zu erhalten. Das dauerhafte ägyptische Interesse liegt hingegen vor allem in der Sicherung des Zugangs zu den Wasserressourcen des Nil. Für die Führung Marokkos geht es darum, sich die Unterstützung in der Westsaharafrage zu sichern. Daneben bauten seit der zweiten Hälfte der 90er vor allem Ägypten und Marokko die wirtschaftliche Kooperation mit subsaharischen Ländern aus. Sie hoffen, die Ausfuhr von Produkten, die keinen Zugang zum europäischen Markt finden und zugleich den Qualitätsstandard vieler afrikanischer Waren übertreffen, ausweiten zu können. Noch behindern politische und wirtschaftliche Risiken, die geringe Kaufkraft und vor allem hohe Transportkosten den Warenaustausch. So ist zwar die Bedeutung des subsaharischen Afrikas für den Außenhandel der nordafrikanischen Staaten immer noch äußerst gering, aber seit Beginn der 90er lassen sich häufig überdurchschnittliche Zuwachsraten des Transsaharahandels beobachten. Hinzu kommt der informelle Handel über die kaum kontrollierbaren saharischen Grenzen hinweg, der vor allem mit den direkten Nachbarländern ein Vielfaches des offiziellen Umfangs erreichen kann.

Eindrucksvoller als der Handel ist das direkte Enga-gement nordafrikanischer Unternehmen in Form von Beteiligungen, Tochterfirmen und Unternehmensko-operationen. Dieses findet häufig auch in Schlüssel-sektoren wie im Bankenbereich, Luftverkehrswesen oder der Telekommunikation statt. Aufgrund ihrer strategischen Lage zwischen Europa, arabischer Welt und Afrika hoffen Länder wie Marokko oder Ägypten zugleich auf Niederlassungen internationaler Firmen, die auch die subsaharischen Märkte bedienen können. Damit verbunden sind Bemühungen um den Ausbau der saharaüberschreitenden Infrastruktur, insbesonde-re der Verkehrsverbindungen auf dem Land-, Luft- und Seeweg.

Die vermehrten Aktivitäten betreffen in erster Linie das nordöstliche und östliche Afrika für Ägypten, den Sahelraum und die südlich anschließenden Staaten für Libyen und das westliche und zentrale Afrika, vor allem die Küstenpartien im Falle Marokkos. Daneben wurden seit Ende der Apartheid die Kontakte mit der Republik Südafrika als neuem Partner auf dem Kontinent gestärkt. Die Länder versuchen auch auf gesamtafrikanischer Ebene an Statur zu gewinnen, beim Aufbau einer neuen Afrikanischen Union, als Vermittler zwischen dem Kontinent und Europa oder bei der Ausarbeitung eines Entwicklungsplans für Afrika. Auf regionaler Ebene berief Algerien bereits 1993 ein Treffen der Sahara- und Sahelstaaten ein, um in Sicherheits- und Entwicklungsfragen zu kooperieren. Schließlich wurde 1998 auf libysche Initiative die Gemeinschaft der Sahel- und Saharastaaten gegründet. Auf Dauer soll eine Wirtschaftsunion geschaffen werden; Kooperation besteht auch auf stabilitäts- und sicherheitspolitischem Gebiet. In den folgenden Jahren sind dem Bündnis von ursprünglich sechs Staaten weitere nord-, west-, zentral- und ostafrikanische Länder beigetreten, darunter 2001 Ägypten, Tunesien und Marokko. Heute umfasst es 18 Mitglieder und zählt zu den nach Fläche, Bevölkerung und Wirtschaftskraft größten afrikanischen Regionalorganisationen.

Ägypten trat 1998 dem bestehenden Gemeinsamen Markt für Ost- und Südafrika bei. Neun der heute 20 Mitglieder bilden seit 2000 eine Freihandelszone, der auch Ägypten angehört. Gerne würde das Land auch der Inter-Governmental Authority on Development im nordöstlichen Teil des Kontinents beitreten und mehr Einfluss am Horn von Afrika ausüben können. Deswegen arbeitet das Land auch intensiv mit den Mitgliedern der Nile Basin Initiative zusammen.

Mit der Westafrikanischen Wirtschafts- und Wäh-rungsunion, die seit 2000 eine Zollunion bildet, schloss Marokko im gleichen Jahr ein präferentielles Handels- und Investitionsabkommen, das die bilateralen Handelsvereinbarungen mit den meisten Mit-gliedsländern ersetzt. Auch mit der geographisch um-fassenderen und politisch aktiveren Wirtschaftsge-meinschaft westafrikanischer Staaten wird eine engere Zusammenarbeit angestrebt. Mauretanien hingegen, das im Übergangsbereich zwischen dem nord- und südsaharischen Afrika ethnisch und kulturell besonderen Spannungen ausgesetzt ist, wollte sich nicht an der weiteren Vertiefung der Integration der Gemeinschaft beteiligen; es trat 1999 aus und verstärkte statt dessen die Zusammenarbeit mit den Maghrebstaaten.

Vergleicht man die Wirtschaftskraft der nordafrikanischen Staaten mit derjenigen der jeweils bevorzugten Regionalorganisationen, stellt man fest, dass sie eine bedeutende ökonomische Macht darstellen. Auf sie entfällt jeweils ein Großteil des gemeinsamen Sozial-produkts und des Außenhandels. In den subsahari-schen Ländern stoßen daher auch der Freihandel und die Investitionen auf erhebliche Bedenken, aus Furcht vor wirtschaftlicher Dominanz und Einbußen für die eigenen Entwicklungsmöglichkeiten.

Zu den facettenreichen Beziehungen gehört die zu-nehmende Zahl von Migranten, die die Sahara über-queren. Gastarbeiter in Libyen kamen aus dem subsa-harischen Afrika, litten aber unter einem unsicheren Status und Übergriffen aus der Bevölkerung. In den letzten zehn Jahren versuchten immer mehr Schwarz-afrikaner über Marokko und Tunesien nach Europa zu gelangen. Die Überwachung der EU-Außengrenzen macht die Überfahrt jedoch immer schwieriger.

Zu den weiteren Besonderheiten des transsaharischen Verhältnisses zählen die Entwicklungshilfe der nordafrikanischen Staaten und der Austausch im Bil-dungsbereich. Zahlreiche Studenten aus dem subsaharischen Afrika studieren in Nordafrika, aber auch umgekehrt kommen inzwischen beispielsweise marokkanische Studenten nach Dakar, um Medizin oder Pharmazie zu studieren. Auf religiösem Gebiet haben Einrichtungen wie al-Azhar in Kairo großen Einfluss jenseits der Sahara; Anhänger des islamischen Ordens der Tijâniya pilgern noch heute zum Grab des Gründers in Fès und Länder wie Marokko helfen beim Bau von Moscheen im subsaharischen Afrika.

Die zunehmende Dichte der Kontakte verweist ein-deutig auf den Aufschwung der transsaharischen Verbindungen in den vergangenen Jahren. Dabei zeigen sich erhebliche Unterschiede in den Motiven und Herangehensweisen. So überwiegen bei Libyen die politi-schen Beweggründe, im Falle Ägyptens und Marok-kos zunehmend die ökonomischen. Ihre Zuwendung zum subsaharischen Afrika lässt sich vor dem Hinter-grund der anderen regionalen Orientierungen der nordafrikanischen Staaten erklären. Auch dort wuchs in jüngster Zeit die Einsicht in die Notwendigkeit regionaler Zusammenarbeit. Demgegenüber ist die wirtschaftliche Integration im Nahen Osten und Nordafrika nur wenig vorangekommen. Aber auch die Möglichkeiten der euro-mediterranen Beziehungen erwiesen sich als begrenzt. Vor allem bestehen Befürchtungen, dass Unternehmen eher in Europa investieren, um von dort die frei zugänglichen, untereinander kaum vernetzten nordafrikanischen Märkte zu beliefern. Deshalb suchen Staaten wie Marokko oder Ägypten nach Wirtschaftspartnern.

Die Wiederbelebung des übergreifenden transsaharischen "Zwischenraums", der auf der Ebene der Kleinhändler, Pilger oder Studenten nie aufgehört hatte zu existieren, erweitert die Handlungsmöglichkeiten der nordafrikanischen Staaten. Sie versuchen, ihre geographische Position zu nutzen und zu einer Drehscheibe zu werden. Aufgrund der begrenzten Aufnahmekapazität der subsaharischen Länder für Exporte werden aber auch in naher Zukunft diese Wirtschaftsbeziehungen im Vergleich zur Orientierung nach Norden letzten Endes ergänzenden Charakter behalten. Allerdings ist auch die Süd-Süd-Kooperation, auf die sie setzen, nicht konfliktfrei. Zudem bleibt der transsaharische Raum eine Zone erheblicher Spannungen, ohne deren Lösung eine Integration Afrikas über die Sahara hinweg kaum vorstellbar ist.

Steffen Wippel ist Fellow am ZMO in Berlin mit Forschungsschwerpunkt Nordafrika.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
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