Denn der junge Rathausregent, der die Herzen der Hamburger ganz ohne Allüren, mit lockeren Umgangsformen und einer besonnenen, völlig unaufgeregten, aber doch entschiedenen Art im Sturm erobert hat, blieb seiner Natur auch jetzt treu: Die 47,2 Prozent der Stimmen würden nichts daran ändern, dass "ich so bleibe, wie ich bin". Ole von Beust lehnte es rundweg ab, sich in übertriebenen Siegerposen auch nur fotografieren zu lassen.
Immerhin frohlockte er vor seinen jubelnden Anhängern später, dies sei ein großer Tag für Hamburg: "Wir können alle gemeinsam zeigen, was wir können, und wir können viel." Danach kannte die Ausgelassenheit der CDU-Fans keine Grenzen mehr. Manche von ihnen sind selbst Tage danach noch immer nicht ganz in der Lage, es wirklich zu begreifen, dass ihre Partei, die noch bis 2001 ein festes Abonnement auf die Oppositionsbänke im Rathaus hatte, nun tatsächlich die nächsten vier Jahre lang vollkommen auf sich allein gestellt die Geschicke der Stadt lenken soll.
Dem Ausgang des hanseatischen Urnengangs haftet jedenfalls schon jetzt das Etikett einer "historischen Begebenheit" an. Zu Recht. Die Bürgerschaftswahl bedeutet in der SPD-Hochburg einen Erdrutsch von gigantischen Ausmaßen, der in dieser Dimension nur einem Sieg der Sozialdemokraten im ewigen CSU-Land Bayern vergleichbar wäre. Denn obwohl Beust seit 2001 bereits als Bürgermeister amtiert, trauten ihm dennoch nur wenige zu, das CDU-Ergebnis mal eben, quasi im Handstreich, fast verdoppeln zu können.
Noch bei der Wahl 2001 hatte er nur 26,2 Prozent der Stimmen geholt und war lediglich durch das dann frühzeitig gescheiterte, skandalumwitterte Bündnis mit PRO (Partei Rechtsstaatlicher Offensive) und FDP an die Macht gekommen. Ein weiteres CDU-Fiasko folgte mit dem Ausgang der Bundestagswahl: Matte 28,1 Prozent aller Zweitstimmen waren 2002 bei der Elb-Union gelandet.
Wahlforscher sind sich in Anbetracht dieser Zahlen einig: Es ist das hohe Ansehen, die so besonders stark ausgeprägte Popularität Ole von Beusts, die ihm das überragende Plus von 165.500 hinzugekommenen Stimmen beschert hat. Für 74 Prozent aller Wähler war die Politik in der Hansestadt beim Kreuz in der Kabine ausschlaggebend, nicht aber die Situation in Berlin, ermittelte die Forschungsgruppe Wahlen. Die bundespolitische Aussagekraft der Rathauswahl darf deshalb nicht überschätzt werden, obwohl die schlechte Großwetterlage für die SPD natürlich zusätzlich ungünstig wirkte.
Für Hamburgs Sozialdemokraten mit ihrem gescheiterten Spitzenkandidaten, dem früheren Wirtschaftssenator und von der Wählerschaft überwiegend als spröde empfundene Unternehmensberater Thomas Mirow, bedeutet das zweierlei. Erstens: Sie können ihr schlechtestes Nachkriegsergebnis von 30,4 Prozent nicht allein auf die Unzufriedenheit mit dem Bundeskurs der Partei abschieben, sondern müssen im eigenen Lager auf Ursachenforschung gehen und Konsequenzen ziehen. Zweitens: Sie dürfen zumindest vage darauf hoffen, in ein paar Jahren mit einem als attraktiver wahrgenommenen Personalangebot künftig auch gegen Beust wieder besser zu bestehen.
Dies aber ändert für die Genossen nichts daran, dass nun harte Jahre auf den Oppositionsbänken bevorstehen, - ein emotional nur schwer zu akzeptierendes Schicksal für die Partei, in der man bis zuletzt die Niederlage von 2001 als einmaligen "Betriebsunfall" betrachtet und in der man sich nach dem Auseinanderbrechen des Bürgerblocks im November 2003 schon voreilig auf eine Rückkehr an die Macht gefreut hatte und für die Thomas Mirow mit der selbstbewussten Vorstellung "Guten Tag, ich bin Ihr neuer Bürgermeister" auf Marktplätzen und Straßen der Stadt für Irritationen und Erstaunen gesorgt hatte.
Denn einen neuen Bürgermeister wollten die Hamburger mehrheitlich auf gar keinen Fall. Der CDU-Wahlkampf, der inhaltsarm wie nie zuvor allein mit Beusts Konterfei geworben hatte, entsprach dieser Grundstimmung und verstärkte sie noch. Die Sozialdemokraten hatten den Hype um "Ole", wie er selbst von der auflagenstarken Boulevardpresse liebevoll tituliert wird, bis zuletzt unterschätzt. Und außerdem darauf gehofft, dass es gegen den großen Sympathieträger mit der in Hamburg traditionell starken GAL (Grün-Alternative Liste) vielleicht dennoch reichen könnte.
Doch auch das gute Ergebnis der Grünen, die bei 12,3 Prozent der Stimmen landeten und damit im Gegensatz zur FDP (2,8 Prozent) wieder in der Bürgerschaft vertreten sind, konnte den Machtwechsel zurück zu Rot-Grün nicht herbeiführen. Die Grünen sehen das Ergebnis deshalb mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Denn immerhin darf sich das Team um die Spitzenkandidatin und Fraktionsvorsitzende der Partei, Christa Goetsch, über einen beachtlichen Zuwachs von 2,9 Prozent im Vergleich zur Wahl von 2001 freuen. Das bedeutet eines ihrer besten Landtagswahlergebnisse überhaupt. Wir legen sofort los, kündigte Goetsch kampfeslustig an, während im Kurt-Schumacher-Haus, der Parteizentrale der Hamburger SPD, noch allgemeines Wundenlecken auf dem Programm stand.
Die "Teflon-Zeit" für Ole von Beust sei jetzt endgültig vorbei, bekräftigte die Politikerin: "Er kann Missstände jetzt nicht mehr auf kleinere Partner abwälzen, und das weiß er auch."
Noch schlimmer als für die SPD kam es beim Wahltag für die PRO (Partei Rechtsstaatlicher Offensive), die ohne ihre Gründungsfigur Ronald Schill vom Blockbuster- auf einen Splitterstatus abrutschte: Hatten 2001 noch 19,4 Prozent aller Hamburger PRO gewählt, so waren es jetzt nur noch 0,4 Prozent. Damit erreichte die Partei, die sich als konservative Kraft neben der CDU langfristig etablieren wollte und massiv mit Werbeplakaten Präsenz gezeigt hatte, sogar weniger Zuspruch als der Transvestit Olivia Jones (0,5 Prozent) und Miniparteien wie die Grauen (1,1 Prozent) oder der weit links positionierte GAL-Ableger Regenbogen (ebenfalls 1,1 Prozent).
Mehr als 82.500 ehemalige PRO-Wähler sind, so hat das Psephos-Institut ermittelt, auf direktem Weg zur CDU übergelaufen, während die SPD im Gegenzug nur 9.500 Wählerstimmen von der ehemaligen Schill-Partei ergattern konnte. Zu seiner neuen Formation ("Pro DM/Schill") wollten dem Ex-Amtsrichter und geschassten Innensenator nach all den Querelen der zurückliegenden Zeit nur noch wenig Hamburger folgen. Schill landete unsanft bei 3,1 Prozent, ein Niedergang, wie er deutlicher kaum ausfallen konnte.
Allerdings kam der Populist in mehreren sozial schwachen Stadtteilen mit hohen Ausländeranteilen und überdurchschnittlich ausgeprägten Kriminalitätsraten auf über fünf Prozent, so in Wilhelmsburg (8,2), Harburg (5,9) und Neuenfelde (6,1). Das ändert aber nichts daran, dass er in der neuen Bürgerschaft nicht vertreten sein wird und deshalb jetzt sein Versprechen wahr machen will, der Nordmetropole endgültig den Rücken zu kehren und ein neues Leben in Uruguay zu beginnen. Seine Wahlschlappe begründet er vor laufenden Kameras mit einer vermeintlich "beispiellosen Diffamierungskampagne", die gegen ihn inszeniert worden sei. Selbstkritik? Fehlanzeige.
Bitter für die Elb-Liberalen: Sie schnitten noch schlechter ab als "Richter Gnadenlos". Ihr Werben um Leihstimmen aus dem Lager der CDU-Wählerschaft misslang nach einer als schwach empfunden Vorstellung im Bürgersenat auf ganzer Linie; die FDP sprang nur noch in den noblen Elbvororten Blankenese und Othmarschen (wo sie früher sogar für 15 Prozent gut war) knapp über die fünf Prozent-Hürde und musste insgesamt deutlich Federn lassen, die sich die Union noch zusätzlich an den Hut stecken konnte.
Ein genauerer Blick in die Einzelergebnisse birgt noch andere Überraschungen. Besonders bemerkenswert ist vor allem der hohe CDU-Anteil in der einstigen roten Bastion der Stadt, dem von Arbeiterhaushalten geprägten Barmbek: Wo noch bei der Bundestagswahl Resultate von gerade mal rund 20 Prozent erzielt wurden, verbuchten die Christdemokraten jetzt mehr als 40 Zähler (Barmbek-Süd) und ließen alle Konkurrenten hinter sich. Auch die bisher ebenso wenig als CDU-Schwerpunkte geltenden Stadtteile Wandsbek (47,1) und Harburg (40,4) sind nunmehr felsenfest in deren Hand. Dem entsprechen auch die bei den Arbeitern erzielten Durchschnittswerte (CDU: 47, SPD: 32 Prozent). Klar, dass die Stimmenanteile in klassischen Hochburgen der konservativ-liberalen Großstadtpartei noch höher ausfielen; im Zentrum des feinen Elbvororts Blankenese holte sie gar 73,6 Prozent.
Exorbitant gute Einzelergebnisse erzielte allerdings auch die grüne Konkurrenz: Im alternativ geprägten Altona-Nord landeten sie mit 31,1 Prozent weit vor der CDU (22,8); in St. Pauli (Bezirk Hamburg-Mitte) votierten 39,4 Prozent für die GAL und machten sie damit zur stärksten Partei des Stadtteils. Doch auch in den gutbürgerlichen, von sozialen Problemen weitestgehend abgeschirmten Gegenden wie Eimsbüttel (28,4) und Rotherbaum (22,4) räumte die Partei ab. Als "Sprachrohr der Jugend" darf die GAL sich indes nur bedingt sehen, denn auch bei den unter 30-jährigen landete sie hamburgweit lediglich auf Platz Drei, wie die Forschungsgruppe Wahlen herausgefunden hat: Selbst hier dominiert die CDU mit 42 Prozent das Feld (SPD: 27) .
Eine sozialdemokratische Enklave im nun plötzlich so schwarz eingefärbten Hamburg stellt mithin fast nur noch die Elbinsel Veddel dar, ein alter Arbeiterbezirk, in dem noch aus Familientradition rot gewählt wird: Hier schaffte die SPD in bestimmten Wahllokalen bis zu 51,7 Prozent.
Als zusätzlicher Trost mag der Partei der Ausgang der gleichzeitig stattgefundenen Bezirkswahlen gelten. Zwar stellt die konservative Konkurrenz künftig in allen Bezirksfraktionen die meisten Abgeordneten, doch sieht sie sich aufgrund des Schwächelns der FDP in den vier Bezirken Mitte, Altona, Eimsbüttel und Nord dennoch klaren rot-grünen Mehrheiten gegenüber.
Bleibt die Frage nach der Zukunft der Wahlverlierer. Für Thomas Mirow ist klar, dass er sich aus der Hamburger Politik ohne Wenn und Aber zurückziehen wird. An der Wahlschlappe sei nichts schön zu reden, auch wenn er es nicht bedauere, angetreten zu sein. Über seine persönliche Lebensplanung will er sich in den nächsten Wochen Gedanken machen. Wahrscheinlich sei aber, dass er weiter als Unternehmensberater wirke.
Sogleich ins Kraut geschossene Spekulationen, Bundeskanzler Gerhard Schröder wolle den erfahrenen Wirtschaftspolitiker trotz der Niederlage nach Berlin holen, wies der einstige Bürochef von Willy Brandt inzwischen als "aus der Luft gegriffen" zurück. Die Suche nach einer neuen Führungsfigur für die Partei hält an, zumal auch der Landesvorsitzende Olaf Scholz sein Amt abgibt.
In Auflösung befindet sich bereits die "Partei Rechtsstaatlicher Offensive": Zwei Tage nach dem Desaster erklärte ihr Spitzenkandidat Dirk Nockemann den Austritt aus der Partei. Das Projekt sei gescheitert. Das Konkurrenzprodukt "PRO DM / Schill" wird sich mit einem in Südamerika lebenden Spitzenmann ebenfalls auf weniger Publicity einzustellen haben. In der Harburger Bezirksversammlung ist die Formation mit zwei Rentnern als Abgeordneten vertreten. Und die FDP? Sie will sich nach der Niederlage mit dem zweitschlechtesten Ergebnis ihrer Geschichte komplett neu aufstellen und sich ein klares Image nach außen zulegen. Vor ihr liegt, da sind sich Rathausbeobachter sicher, ein steiniger Weg.