Europa ist ein schwer durchschaubares Gebilde. Die jüngste Osterweiterung der EU hat diese Situation zunächst noch verschärft. Illusionslos konstatiert deshalb Dirk Schümer, Europa-Korrespondent der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung", im Vorwort zu seinen Streifzügen durch die Abenteuergeschichte unseres Kontinents: "Europa ist nicht sexy". Glücklicherweise aber sei das für das Gelingen dieses einmaligen politischen Experiments völlig gleichgültig.
Von Schauplatz zu Schauplatz führt Schümer seine Leser, um sie mit der atemberaubenden Geschichte der friedlichen Integration und manch grotesken Defiziten der EU vertraut zu machen. Ungeschönt ist dabei von Agrarsubventionen, Abschlachtprämien und Milchquoten ebenso die Rede wie von Steueroasen, organisierter Kriminalität und der demokratisch kaum kontrollierten Brüsseler Bürokratie. Angesichts unterschiedlicher Behördenkulturen erweist sich Europa selbst in seinen Kernregionen als mühselige Kleinarbeit, was in visionären Sonntagsreden zur Europaidee gern übersehen werde. Mit Nachdruck fordert Schümer neben der Reform der Institutionen eine gemeinsame europäische Verkehrspolitik, da die Europäische Union andernfalls an ihren Idealen von Freizügigkeit und Mobilität kollabiere. Schon jetzt drohe der Infarkt durch donnernde Vierzigtonner auf den Alpentransitrouten.
Schümers kritische, aber nie larmoyanten Beiträge illustrieren pointiert den Status Quo Europas und bestechen durch ihren hintergründigen Humor. Zudem sind sie kenntnisreich und stilistisch glänzend formuliert. Getragen werden sie von der Überzeugung, dass wir Europa als Chance begreifen und als Akteure mit Optimismus an diesem Integrationsprojekt mitwirken sollten. Ein beispielhaftes Lesevergnügen, das manche Wissenschaftsprosa ziemlich alt aussehen lässt!
Albrecht Weisker
Dirk Schümer
Das Gesicht Europas.
Ein Kontinent wächst zusammen.
Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2004;
312 S., 11,50 Euro