Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 31-32 / 26.07.2004
Bert Schulz

...aufgekehrt

Eigentlich hat es dieses Land nicht so mit Nationalflaggen: Während in vielen europäischen Nachbarländern (wie der Schweiz oder auch Frankreichs, ganz zu schweigen von den USA) das Hissen der eigenen Farben schon Volkssportcharakter besitzt, ist der schwarz-rot-goldene Anblick in hiesigen Schrebergärten, auf Balkonen oder vor der Haustür eher die Ausnahme. Öfter schon sieht man die rote Ferrari-Fahne - Zeichen der Loyalität zu Michael Schumacher.

Umso erstaunlicher ist das Drama um die einstige Flagge des Bundestages - ja, just jene, welche ein paar Monate auf dem Reichstag vor sich hin flatterte, ausgemustert im Internet eine neue Hüterin ergatterte, die für die stolze Summe von 3.350 Euro das Glanzstück leider auch beruflich einsetzen wollte. Über Kreuz kamen dabei die grundsätzlich vertikale Ausrichtung der Flagge und die grundsätzlich horizontale Ausrichtung des Gewerbes der neuen Besitzerin. Erregte Bürger protestierten: ein Bordell mit Nationalflagge, das sei unanständig.

So entschloss sich die hallensische Rotlichtdame, das delikate Stück Stoff wieder ins Netz der Netze zu stellen, wo die Auktion nach astronomischen Geboten kurz vor ihrem Ende jetzt von Hackern illegal beendet wurde. Jene störten sich nach eigener Aussage an dem Medienrummel um die Auktion - den sie mit ihrer Aktion gleich ein bisschen anheizten. Nun steht die Ex-Reichstagsdekoration erneut zum Verkauf; das Topgebot liegt über 15.000 Euro. Wo soll das bitte enden?

Die anfängliche Euphorie des ursprünglichen Verkäufers, selbst eine ausgefranste Flagge noch für gutes Geld unter's derzeit so konsumkritische eigene Volk zu kriegen, dürfte sich angesichts der im Spiel befindlichen Geldbeträge langsam zur Sorge wandeln. Wer zahlt solche Preise? Ein Fernsehsender, der seinen Containerbewohnern eine neue, publikumswirksame Dekoration bieten will? Obskure nationalistische Zirkel? Oder Zocker, vielleicht überbezahlte Firmenchefs, die völlig emotionslos nur nach einer Geldanlage suchen und auf weitere Wertsteigerungen hoffen (inzwischen ist in dieser Hinsicht ja nichts auszuschließen)?

Letzteres könnte dazu führen, dass ähnlich dem von der Telekom mit ihrem Börsengang mit eingeleiteten Aktienfieber (wer hatte vorher was von Aktien wissen wollen?) ein Flaggenfieber losbricht, die Konjunkur mit sich reißt und ein (schwarz-rot-)goldenes Zeitalter einläutet. Motto: In dieser Saison zeigen wir Flagge! Oder sind das nur die altmodischen Signale des Sommerlochs? Fortsetzung folgt. Bestimmt. Bert Schulz


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2006.