Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 31-32 / 26.07.2004
Claudia Heine

Teures Plauderstündchen

...vor 40 Jahren am 29. Juli 1964: Sondersitzung des Bundestages zur Erhöhung der Telefongebühren

Kein Telefonanruf, sondern ein Telegramm holte die Abgeordneten des Bundestages aus ihrer Sommerpause zurück nach Bonn. Die oppositionelle SPD-Fraktion hatte eine Sondersitzung wegen der für den 1. August 1964 geplanten Erhöhung der Telefon- und Fernschreibegebühren beantragt. Damit die Parlamentarier am 29. Juli nicht im Stehen debattieren mussten, begannen die Handwerker eiligst damit, die bereits für eine Renovierung entfernten über 500 Sitzplätze des Plenarsaals provisorisch neu zu aufzustellen. Prominent und keinesfalls "provisorisch" besetzt präsentierten sich Regierung und Opposition an diesem Tag und unterstrichen damit die Bedeutung der Sondersitzung. Bundeskanzler Ludwig Erhard (CDU), Postminister Richard Stücklen (CSU), Finanzminister Rolf Dahlgrün (FDP) und alle Fraktionsvorsitzenden beteiligten sich, mit verschiedenen Argumenten, an der Debatte über Plauderstunden am Telefon.

Seit Monaten schon sah sich die christlich-liberale Koalition wegen ihrer Pläne massiver öffentlicher Kritik ausgesetzt. Die Bundespost, damals noch ein staatliches Unternehmen, erwartete für 1964 ein Defizit von rund 380 Millionen Mark, dem ein enormer Investitionsdruck gegenüberstand: Von 100 Haushalten hatten gerade 13 ein Telefon, die Wartelisten waren entsprechend lang. Mit ihren Plänen, die Grundgebühr für einen Telefon- oder Telexanschluss um 50 Prozent, die Gesprächsgebühr von 16 auf 20 Pfennig je Einheit und die Nachttarife für Ferngespräche um bis zu 150 Prozent zu erhöhen, erregte die Regierung jedoch den allgemeinen Volkszorn. Von der Rentnerin bis zum Mittelständler, von Gewerkschaften bis zu Unternehmerverbänden: Alle waren sich einig in ihrem Widerstand. Von moralischen Begründungen ("Ich kenne eine schwer kranke alte Dame, für die ein Telefon lebenswichtig ist") bis hin zu Zahlenbeispielen ("Bei einem großen Warenhaus kassiert Stücklen 25.000 Mark mehr im Jahr") reichten die Argumente in den Leserbriefen der Zeitungen. Gewohnt drastisch sprach es ein Boulevardblatt aus, indem es forderte: "Schluss mit der Postdiktatur." Mit einer Politik des Maßhaltens, wie sie die Koalition propagierte, hätten die Erhöhungen nichts zu tun, so der einhellige Tenor.

Allen Proteststürmen zum Trotz hielt die Regierung an ihren Plänen fest, obwohl auch innerhalb der Koalitionsparteien Differenzen herrschten. Der Sprecher der Bundesregierung, Staatssekretär Karl-Günther von Hase (CDU), erzürnte die Volksseele mit seiner Vorstellung vom "Maßhalten" zusätzlich: "Der private Telefonbenutzer kann ja mit einem Konsumverzicht antworten", erklärte er vor der Presse.

Zur Sondersitzung am 29. Juli lagen dem Plenum Anträge von SPD und FDP vor, in dem die Bundesregierung aufgefordert wurde, auf die Gebührenerhöhung zu verzichten. Da sich im Vorfeld auch der CSU-Vorsitzende Franz-Josef Strauß sowie zahlreiche Abgeordnete aus CDU und FDP gegen die Erhöhung ausgesprochen hatten, schien es nicht unmöglich, eine Mehrheit gegen den Kabinettsbeschluss vom Juli zustande bringen zu können.

Fritz Erler, Vorsitzender der SPD-Fraktion, warf der Regierung vor, das Parlament "hinter's Licht" geführt zu haben. Der Bundestag hatte schon im April eine Gutachter-Kommission gefordert, nach deren Bericht über eine Erhöhung entschieden werden sollte. Eingesetzt wurde sie jedoch erst nach der beschlossenen Gebührenerhöhung Ende Juli, so der Vorwurf Erlers. Nicht nur die Wirtschaft, auch Alte, Schwerbeschädigte und jene, die mit ihren Verwandten in der DDR nur über's Telefon Kontakt halten können, würden nun von diesen Plänen benachteiligt. Auf den Vorschlag von Hases, einfach weniger zu telefonieren, reagierte Erler mit einem Vergleich: "Das wäre so, als wenn Sie die Kuh umbringen würden, die man eigentlich melken will."

Bundeskanzler Ludwig Erhard ließ sich von der Dramatik der Telefon-Affäre nicht anstecken: "Sie tun wirklich so, als wenn durch diese Gebührenerhöhung die Welt unterginge", befand er an die Opposition gerichtet. Es gäbe, so Erhard weiter, nur eine Möglichkeit, sie zu vermeiden: vom Bundeshaushalt jene Millionen "abzuzweigen", um das Defizit der Bundespost auszuglei- chen. "Wo aber sollen die herkommen?", fragte der Kanzler. Bundespostminister Richard Stücklen stellte fest, dass eine solche Maßnahme keine Dauerlösung sein könne, verteidigte sie jedoch wie Erhard mit dem Hinweis auf die Haushaltslage des Bundes.

Am Ende entging die Bundesregierung knapp einer Abstimmungsniederlage: Die Abgeordneten entschieden sich mit 201 gegen 194 Stimmen gegen die Anträge von SPD und FDP. Schon am 1. Dezember 1964 wurde die Gebührenerhöhung teilweise wieder rückgängig gemacht. Claudia Heine


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