Die Angst hat viele Gesichter. Es gibt Flugangst, Platzangst, Höhenangst. Im schlimmsten Fall zieht die Angst um die von ihr besetzten Orte einen unsichtbare Linie, die der Ängstliche nicht mehr überschreitet. Also keine Flugzeuge, keine Menschenmengen, keine Höhen mehr. Aber was tut eine Stabhochspringerin, die Angst vor dem Sprung hat? Sie springt weiter.
Heute sagt Monika Götz: "Ich weiß, dass ich nie wieder springen werde." Inzwischen ist sie Maschinenbau-Stundentin in Gummersbach und trainiert eine Jugendgruppe. Ab und an macht sie ihren Mädchen einen Sprung vor, "aber nur einen kleinen mit vier Schritten Anlauf". Ein paar Schritte mehr, und "dann könnte es wieder losgehen. Nie wieder möchte ich mich in so eine Situation bringen."
Wann die Angst in ihr Leben trat, sagt Monika Götz, kann sie nicht genau sagen. Sicher, Angst kannte sie vorher auch: Prüfungsangst und natürlich auch Angst im Sport, die positive. Wenn vor einem wichtigen Sprung die Hände schwitzig werden, der Körper hibbelig wird, weil der Adrenalinpegel steigt, dass der Sportler die Aggressivität spürt, "wenn es hart wird zu beißen". Aber Angst zu springen? Nein, sagt Monika Götz, die hatte sie nie. Warum auch? Nach den Weltmeisterschaften schien das Leben wie ein goldenes Buch vor ihr zu liegen, in das sie sich nur noch eintragen musste: "Ohne protzig klingen zu wollen: Ich wurde als das hoffnungsvollste Talent gehandelt. Damals gab es Springerinnen, die waren technisch besser als ich, aber ich kam trotzdem
20 Zentimeter weiter." Als sie den Juniorenweltrekord aufstellte, waren es 4,31 Meter, und jeder neue Sprung war ein Versprechen darauf, dass die Latte ein Stückchen höher in Richtung Himmel steigt.
Monika Götz ist nicht so abgehoben, das Stabhochspringen mit dem Fliegen zu vergleichen. Wenn sie darüber spricht, ist das eher ein technischer Vorgang: Anlaufen, einstechen, einrollen, aufrollen und dann über die Latte. Ein Vorgang so normal wie das Kuppeln im Auto. Sie weiß nicht genau, wann der Punkt war, an dem die Angst ihren Traum in einen Alptraum verkehrte, aber sie weiß, dass bevor die Angst kam, das Gefühl ging. "Ich hatte kein Gefühl mehr für das Einstechen", versucht sie das ihr Unerklärliche zu beschreiben, "und dann Angst, dass ich den Stab nicht mehr richtig halten kann." So etwas kann passieren. Bei Gegenwind oder, wenn sich die Geschwindigkeit ändert, in einer schlechten Trainingsphase.
Die unsichtbare Hürde
Bei Monika Götz hörte es nicht mehr auf. Die Stelle, an der Stab den Boden berührt, war für sie verschwunden, und sie hat sie nie wieder gefunden. Stattdessen wuchs eine unsichtbare Hürde aus dem Stadionbelag, die sie nicht mehr über-, sondern nur noch unterschreiten konnte: "In der Mehrzahl der Sprünge lief ich unter der Latte durch." Und dort, wo das verloren gegangene Gefühl einmal saß, wuchs die Angst, die ebenso ungreifbar war wie die imaginäre Hürde: Unsichtbar, grundlos, nicht zu überwinden und nicht zu fassen.
Es war keine körperliche Angst, sagt Monika Götz. Kein Herzflattern, kein rasender Atem, keine heißen Hände: "Das war nur im Kopf." Schon beim Loslaufen dachte sie an den Sprung, dass sie ihn nicht schafft und dass der Stab zu hart ist. Irgendwann fragte ihr Trainer, was los sei. Monika Götz sprach nicht von Angst: "Ich habe Ausreden gesucht, dass der Wind Schuld sei oder mir etwas wehtut." Was hätte sie auch sagen sollen? Dass eine Stabhochspringerin sich vor dem Sprung fürchtet? Er hätte es nicht verstanden, so wie es keiner verstanden hat. "Spring doch, du kannst das", sagte der Trainer. Und stellte das Training um auf kürzere Anläufe und weichere Stäbe, umsonst. "Du bist doch so gut", sagte ihr Freund, auch ein Stabhochspringer. Ja, sie war gut und wurde immer besser: immer stärker, immer schneller, immer besser von den Turnwerten, nur ihre Sprünge wurden schlechter und schlechter. Die 4,27 Meter waren trotz intensivstem Training alles, was sie noch schaffte. Auch der Sportpsychologe verstand das nicht und riet ihr, sich die Bewegungsabläufe und den Stab vorzustellen. Nur ein Mädchen aus Cottbus verstand sie. Aber die hatte sich einmal das Handgelenk gebrochen, die hatte einen Grund für ihre Angst. Monika Götz hatte den nicht: "Da gab es einfach nichts."
Monika Götz steht noch immer vor diesem Nichts: "Ich weiß immer noch nicht warum." Sie weiß nur, dass mit dem letzten Sprung die Angst aus ihrem Leben verschwunden ist. Und das war wohl auch notwendig, denn die Angst wuchs über den Sportplatz hinaus in das Leben der jungen Frau hinein, beschränkte ihre Persönlichkeit: Sie, die immer viel ausgegangen und lebenslustig war, verkroch sich im Bett. Hatte keine Lust mehr zum Training, war wie gelähmt vor Anstrengung. "Beim Einspringen habe ich einen Stress gehabt wie bei der Olympiade. Irgendwann war ich so fertig, dass ich beim Krafttraining mit Kniebeugen nicht mehr 40, sondern nur noch 20 Kilo geschafft habe." Irgendwann wurde sie krank. Die Lymphknoten schwollen an, die Ärzte diagnostizierten erst Borreliose, dann die Katzenkratzkrankheit. Man nahm an, dass ihr Immunsystem so schwach sei, dass sie die Keime von den Kratzern ihrer Katze nicht mehr abwehren konnte. So etwas passiert nach Chemotherapien oder bei HIV-Infektionen. Bei Monika Götz war die Angst die Ursache. Das war der Zeitpunkt, an dem sie aufgab: "Nach der Krankheit hätte ich noch einmal ganz von vorne anfangen müssen, da hatte ich nicht mehr die Kraft zu." Die deutsche Hoffnung im Stabhochsprung hatte sich selbst besiegt.
Andere scheitern an ihrem Talent, an ihrem Fleiß, an ihrem Körper. Monika Götz sagt, dass sie an ihrem Kopf gescheitert ist: "Ich hatte eine Kopfverletzung." Vier Jahre hat der Kampf gegen den Kopf gedauert. Vier Jahre lang ist sie gegen eine innere Wand gelaufen, die nicht durchlässig war. Sie hat sich davon erholt, auch wenn das eine Weile gedauert hat. Am Anfang konnte sie ihren Sport nicht mal im Fernsehen sehen: "Ich hatte Angst, dass die Springerinnen den Stab nicht halten können." Inzwischen freut sie sich ganz angstfrei für ihre Konkurrentinnen und sagt: "Ich habe auch andere Talente. Ich bin auch als Maschinenbauerin nicht schlecht, wenn auch nicht so gut wie als Stabhochspringerin." Monika Götz träumt nicht mehr von Olympia und Weltmeisterschaften, sondern von einem guten Abschluss, einem guten Job und Kindern. Ihren wohl größten Traum hat sie sich schon erfüllt: ein Leben ohne Angst. Deshalb sagt sie heute: "Ich weiß, dass ich nie wieder springen werde, und das macht mich glücklich."
Susanne Balthasar arbeitet als freie Journalistin in Berlin.