Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 31-32 / 26.07.2004
Christian Hauck

Zwischen Minderheiten hindurch: Der Weg nach Dänemark

Grenzbesuch

Grenzbesuch

Zwischen Minderheiten hindurch: Der Weg nach Dänemark

So kompliziert wie die Geschichte Schleswig-Holsteins ist, so kompliziert ist auch das Verhältnis der Menschen im Norden zur deutsch-dänischen Grenze. Über Jahrhunderte hinweg war der südliche Teil der jütischen Halbinsel Spielball von Großmächten. Dänemark, Deutschland, Russland und sogar England machten hier ihre machtpolitische Interessen geltend. Um die Geschichte abzukürzen: als Folge des Versailler Vertrages kam es durch eine Volksabstimmung 1920 zu der bis heute geltenden Grenzziehung. Zurück blieben Minderheiten - eine dänische in Deutschland und eine deutsche in Dänemark.

Willkürlich ist die Grenze mit dem Lineal gezogen worden. Für einen Kieler, Lübecker oder Hamburger ist sie eine normale Grenze. Ebenso für Kopenhagener oder Aalborger. Für nicht wenige Menschen in der Region ist sie dagegen bis heute Ausdruck verletzten Nationalstolzes - für Deutsche und Dänen gleichermaßen. Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es von dänischer Seite Bestrebungen zu einer Revision der Grenzziehung, was zu erheblichen Spannungen führte. Ziel einiger Kopenhagener Politiker war die Verschiebung der Grenze um 80 Kilometer nach Süden bis an den Fluß Eider, der traditionell die Herzogtümer Holstein und Schleswig voneinander trennte. Letztlich scheiterten diese Bemühungen nicht nur am Widerstand der Deutschen, sondern vor allem an der britischen Besatzungsmacht in Schleswig-Holstein. Da die weitere politische Entwicklung im Nachbarland unmittelbar nach Kriegsende (Allparteienregierung unter kommunistischer Beteiligung, Bornholm sowjetisch besetzt) nicht absehbar war, wollten die Briten den strategisch wichtigen Nord-Ostsee-Kanal keinesfalls dänischer Kontrolle überantworten.

Heute leben etwa 50.000 Dänen in Deutschland und 20.000 Deutsche in Dänemark. Trotz Minderheitenpolitik und EU bleibt vieles im Grenzland für Fremde immer noch unverständlich. Abhängig von der Marktlage bei Benzin, Bier und Lebensmitteln floriert zwar der Grenzhandel. Und auch die Bingo-Hallen im Nachbarland erfreuen sich bei deutschen Rentnern großer Beliebtheit. Nicht so der Kulturaustausch. Ein Däne, der etwas über das Kulturangebot südlich der Grenze wissen möchte, schaut statt in seine dänische Zeitung besser in den "Nordschleswiger", das Organ der deutschen Minderheit. Wegen unterschiedlicher Rahmenbedingungen entwickelt sich auch die Wirtschaft auf beiden Seiten nicht im Gleichklang. Das dänische Sonderjylland brummt, während sich das deutsche Südschleswig um seine Zukunft ernste Sorgen machen muss.

Die Minderheitenpolitik im Grenzland gilt in Europa als vorbildlich. Mit Mitteln der beiden Nationalstaaten werden deutsche beziehungsweise dänische Einrichtungen im jeweils anderen Land gefördert. Es gibt dänische Kindergärten und Schulen in Deutschland, deutsche Kindergärten und Schulen in Dänemark. Der Südschleswigsche Wählerverband SSW ist als Partei der dänischen Minderheit von der Fünf-Prozent-Hürde befreit, während für die Schleswigsche Partei die in Dänemark übliche Zwei-Prozent-Sperrklausel gilt.

Trotzdem - oder gerade weil man die jeweiligen Minderheiten stark unterstützt -, scheinen sich Deutsche und Dänen im Grenzland noch immer fremd zu sein. Zwischen offizieller Politik und Heimattümelei brechen regelmäßig Ressentiments aus. Als deutsche und dänische Kommunen sich vor einigen Jahren in einem Regionalrat grenzüberschreitend organisierten, entluden sich in Dänemark heftige Proteste. Unbekannte zündeten das Auto des Bürgermeisters des dänischen Amtes Sonderjylland an. Der Flensburger Oberbürgermeister musste sich aus dem Nachbarland den Vorwurf gefallen lassen, nach "Lebensraum im Norden" zu streben.

Für großes Aufsehen sorgte auch der Fall eines Flensburgers, der fünf Kilometer nördlich im dänischen Krusau seine große Liebe fand. Dass der Deutsche gelegentlich bei seiner Herzensdame im Königreich übernachtete, passte den Nachbarn nicht. Sie zeigten den Fall bei den lokalen Behörden an, deren Mitarbeiter sich nachts auf die Lauer legten und spitzelten. Verfahren wegen illegalen Aufenthalts und Steuerhinterziehung waren die Folge. Das Auto des Deutschen wurde konfisziert. Am Ende zog es dessen Freundin vor, lieber fünf Kilometer nach Süden umzuziehen. In Kiel wie in Kopenhagen löste der Vorgang nur noch Kopfschütteln aus. Christian Hauck

Der Autor ist Redakteur im Büro Landeshauptstadt des Schleswig-Holsteinischen Zeitungsverlages.


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