Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 38 / 13.09.2004
Ernst Klee

In brauner Zeit

Die Universitäten Jena und Halle

Die Universität Jena ist die einzige, die von Hitler freiwillig aufgesucht wurde. Das war 1930. In Thüringen amtierte damals als Minister für Inneres und für Volksbildung Wilhelm Frick (ab 1933 Reichsinnenminister). NSDAP-Minister Frick zwang der Jenaer Universität Hans Günther auf, genannt Rassen-Günther, Autor des Bestsellers "Rassenkunde des deutschen Volkes". Zur überfüllten Antrittsvorlesung des neuen Professors erschienen neben Frick auch Göring und Hitler. Die Geschichte der Universität Jena im Dritten Reich ist geprägt von dem ehemaligen Sportarzt und späteren SS-Standartenführer Karl Astel.

Astel, ab 1934 Professor für Züchtungslehre, wollte die Hochschule in Absprache mit Reichsführer-SS Heinrich Himmler zur braunen Universität hochrüsten. Himmlers Mann in Jena wird 1939 Rektor und bleibt es bis zum Suizid 1945.

So wurde Jena zum Sammelbecken von braunen Di-lettanten. Einer von ihnen ist SS-Sturmbannführer Falk Ruttke ("Die Verteidigung der Rasse durch das Blut"), der Rasse und Recht lehrte. Ein anderer ist der Jurist Johann von Leers, NSDAP-Mitglied ab 1929, Autor des Werkes "Odal. Das Lebensgesetz eines ewigen Deutschland". Leers lehrte Rechts-, Wirtschafts- und politische Geschichte auf rassischer Grundlage. Nach dem Krieg arbeitet er als Propagandist in Ägypten. Unter dem Namen Omar Amin von Leers ist er 1965 in Kairo gestorben.

Im Oktober 1945 begann die "antifaschistisch-demokratische Neugeburt" der Universität Jena. Anerkannte Wissenschaftler, so die Universitätsgeschichte der Alma Mater Jenensis, wurden berufen. Einer von ihnen ist der Anatom Hermann Voss, der mit der Gestapo in Posen kooperiert hatte. Er lauerte bei Exekutionen nahe der Guillotine, um die Ermordeten sofort verarbeiten zu können (Handel mit Polenskeletten und Judenschädeln). 1959 erhielt er den Titel Hervorragender Wissenschaftler des Volkes.

Zur antifaschistischen Neugeburt zählt auch der Pädiater und Ex-SA-Sanitätssturmführer Erich Häßler. Er hatte während der NS-Zeit in der Leipziger Uni-Kinderklinik - ein Zentrum des NS-Kindermordes - als zweiter Mann fungiert. Häßler, einst Obmann des NS-Dozentenbunds, Inhaber eines Schulungsausweises des Rassenpolitischen Amts der NSDAP, wird 1953 Ordinarius. Im Januar 2004 solidarisierte er sich mit seiner Kollegin Rosemarie Albrecht, nachdem die Staatsanwaltschaft Gera gegen die ehemalige Hals-Nasen-Ohren-Professorin Mordanklage erhoben hatte: Frau Albrecht leitete von 1940 bis 1942 die Frauenseite der psychiatrischen Anstalt Stadtroda.

Just zur Zeit, da in Jena die Vergangenheit Gegenwart wurde, stellte die Universität einen Sammelband zur NS-Zeit vor. Es sind lesenswerte Beiträge darunter. Problematisch ist der Titel, weil ein NS-Begriff: Kämpferische Wissenschaft. Die Herausgeber wollen damit herausstellen, dass sich Wissenschaftler freiwillig als braune Dienstleister verstanden. Leider ist das Buch eine editorische Katastrophe. Das monströse Werk umfasst nämlich 1.160 Seiten. Allein 121 Seiten verschlingt der Einleitungstext (vieles wird doppelt und dreifach erzählt). Das Monstrum kostet die irrwitzige Summe von 154 Euro.

Ein Beispiel hätten sich die Autoren an der Universität Halle nehmen können. Dort ist die NS-Vergangenheit vorbildlich und lesbar aufgearbeitet worden. Es ist ein Verdienst des Historikers Henrik Eberle. In Halle - gelegentlich als "akademisches Workuta" bespottet - amtierte der Paläontologe Johannes Weigelt von 1936 bis 1945 als Rektor. Weigelt war beseelt von dem Gedanken, "uns als Gebrauchsuniversität für den nationalsozialistischen Staat zur Verfügung zu stellen". So wurden wissenschaftliche Institute zu Rüstungsbetrieben, beteiligten sich Professoren an der Ausplünderung besetzter Länder.

Der Historiker Eberle hat die Universitätsgeschichte mit einem beispielhaften biographischen Lexikon versehen. Es bietet etwa 450 Lebenssabrisse und listet die NS-Mitgliedschaften des Lehrkörpers penibel auf. Ein exzellentes Werk. Leider haben dies die Rezensenten nicht wahrgenommen. Das Buch blieb nahezu unbesprochen. Hoffentlich nicht, weil es die NS-Vergangenheit so sorgfältig bearbeitet. Ernst Klee

Uwe Hoßfeld, Jürgen John, Oliver Lemuth, Rüdiger Stutz (Hrsg.)

"Kämpferische Wissenschaft".

Studien zur Universität Jena im Nationalsozialismus.

Böhlau Verlag, Köln/Weimar 2003; 1160 S., 154,- Euro

Henrik Eberle

Die Martin-Luther-Universität [Halle] in der Zeit des Nationalsozialismus 1933 - 1945.

Mitteldeutscher Verlag, Halle 2002; 539 S., 29,50,- Euro


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