Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 43 / 18.10.2004
Astrid Lorenz

In Zeiten des Umbruchs wächst der Wunsch nach der starker Führung

Die Rolle ehemaliger Monarchen in Osteuropa nach 1989

Im Juni 2001 merkten die Monarchisten in aller Welt auf: Simeon II. von Sachsen-Coburg-Gotha wurde neuer Ministerpräsident in Sofia. War dies der Beginn eines monarchistischen Revivals in Osteuropa? Tatsächlich kehrten seit dem Ende des Sozialismus Nachfahren mehrerer Königshäuser in ihre alte Heimat jenseits von Elbe und Donau zurück. Die royalen Traditionen der Vergangenheit sind dort allerdings unterschiedlich präsent.

In Ost- und Ostmitteleuropa war die Macht der Königshäuser bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts versiegt: Der autoritäre russische Zar Nikolaus II. dankte im Zuge der Februarrevolution 1917 ab. In den Bürgerkriegswirren von 1918 ermordeten die Bolschewiken den noch von den Bürgerlichen arrestierten Monarchen und seine Familie, um das mit der Oktoberre-volution angestrebte neue politische System unumkehrbar durchzusetzen. In etlichen Gebieten, die Moskau im 18. Jahrhundert erobert hatte, entstanden seit 1918 vorübergehend eigenständige Republiken, die später an das sowjetische Imperium angeschlossen wurden: (Ost-)Weißrussland bereits nach wenigen Monaten, die Ukraine 1922, die baltischen Staaten Estland, Livland (Lettland) und Litauen bis 1940. Moldova schloss sich 1918 Rumänien an, fiel aber 1924 (Transnistrien) beziehungsweise seit 1939 (Bessarabien) als Teilrepublik an die antimonarchistische UdSSR. Auch in der Tschechoslowakei wurde 1918 die Republik ausgerufen, ebenso in Polen, dem die Mittelmächte noch 1916 den Status eines Königreichs vermacht hatten. In Ungarn ersetzte zwar seit 1920 eine "Monarchie mit vakantem Thron" die 1918 proklamierte Republik, doch zwei Rückkehrversuche Kaisers Karls I. scheiterten unter dem Druck der Nachbarstaaten.

In Südmitteleuropa bis zum Balkan ist die Erinnerung an die monarchistische Vergangenheit etwas weniger verblasst, da sie bis zum Zweiten Weltkrieg währte: Im jungen Jugoslawien herrschte zuletzt bis 1941 Prinzregent Paul, den das Tito-Regime 1945 verbannte. Ein Jahr später verließ der bulgarische König Simeon II. seine Heimat - nach einem von den Kommunisten durchgeführten Referendum, in dem sich angeblich 92,72 Prozent für die Republik und lediglich 4,24 Prozent für die Monarchie aussprachen. Der großrumänische König Michael ging 1948 ins Exil, nachdem er bereits kurz vor Ausrufung der Republik 1947 von den Kommunisten zum Abtritt gezwungen worden war. Einen gewissen Sonderfall in Südeuropa bildet Albanien. Sein König Zog I. verließ 1939 sein Land, als Italien es besetzte. Der Bürgerliche hatte als autoritärer Präsident der 1925 gegründeten Republik überhaupt erst deren Umwandlung in eine (konstitutionelle) Monarchie betrieben.

Monarchistische Ideen treten häufig im Zusammenhang mit einem Weltbild auf, das Autorität und Volkstum hervorhebt. Gerade gesellschaftliche Umbrüche können angesichts der Unsicherheiten ethnisch-historische Nostalgie und den Wunsch nach einer starken Führungsfigur fördern. Doch obgleich dies theoretisch eine Remonarchisierung Osteuropas ermöglichte, variiert die Offenheit gegenüber solchen Ideen.

In der russischen Gesellschaft beispielsweise zeigen sich zwar ein Wunsch nach Rückkehr zu stabilen Verhältnissen sowie eine gewisse Nostalgie hinsichtlich der historischen Größe und Macht, doch weder interessiert die Zarenfamilie als solche besonders, noch gilt die Monarchie als Synonym für Blüte oder Wohlstand. Im Diskurs über Demokratie, nationale Identität oder Wirtschaftspolitik werden die russischen Eigenheiten, der Großmachtanspruch und der vergangene Ruhm des Landes zwar breit thematisiert, nicht jedoch automatisch mit der Forderung nach eine Rückkehr zur Monarchie verknüpft. Entsprechend sind monarchistische Gruppierungen weitere, nicht aber repräsentative Akteure im äußeren politischen Spektrum. Ähnlich wie die anderen ehemals sozialistischen Staaten geht Moskau daher inzwischen entspannter mit der monarchistischen Vergangenheit um. So wurden 1998 auf Beschluss einer Regierungskommission die sterblichen Überreste der Zarenfamilie in der Peter-Pauls-Kathedrale in St. Petersburg beerdigt.

Entsprechend den historischen Unterschieden könnten monarchistische Ideen in Südeuropa eine potenziell wichtigere Rolle spielen, obgleich nach 1989 nirgendwo die Einrichtung einer Monarchie geplant war. Vielmehr scheinen ehemalige Könige hier als Personen vorrangig in zwei Funktionen geschätzt zu werden: als Emigranten mit "Westexpertise", Netzwerken und teils Kapital sowie als integrierende Kräfte angesichts einer starken Zersplitterung des innenpolitischen Spektrums. Wie stark dieses Potenzial aktiviert wird, hängt von der Wahrnehmung der historischen Rolle der Königshäuser ab, von den Bestrebungen der innenpolitischen Kräfte, aber auch vom Verhalten der königlichen Nachfahren selbst.

In erstgenannter Funktion nutzt beispielsweise die rumänische Regierung den in der Schweiz lebenden Ex-König Michael, der 1997 die rumänische Staatsbürgerschaft zurückerlangte, sich bei einem Besuch des Landes 2001 mit dem ehemaligen kommunistischen Präsidenten Iliescu versöhnte, für Demokratie sowie wirtschaftlichen Aufschwung eintritt, sich aber neutral gegenüber der rumänischen Politik äußert. Vor dem Hintergrund einer nur kleinen Schar von Anhängern der Monarchie erfüllt er seither eine ähnliche Rolle wie rückgekehrte bürgerliche Emigranten in Ostmitteleuropa und den baltischen Staaten, von denen am erfolgreichsten die seit 1999 amtierende lettische Präsidentin Vaira Vike-Freiberga ist. Auch der 1945 im Exil geborene jugoslawische Kronprinz Alexander, mitlerweile wieder im Königsschloss in Belgrad wohnend, engagiert sich überparteilich für die Demokratisierung in seiner Heimat und wirbt für Investitionen.

Nicht gegen die Republik

Der Sofioter Ministerpräsident Saks-Koburggotski fiel seinerseits besonders als charismatische Integrationsfigur auf. Hintergrund sind die schwachen bulgarischen Parteien, die zahlreich und unübersichtlich über der Gesellschaft schweben. Die Gründung seiner Partei "Nationale Bewegung Simeons II." im April 2001 war einer der für Osteuropa typischen Akte vor Parla-mentswahlen, wo Neuschöpfungen, oft mit Prominenten an der Spitze, teils überwältigende Wahlerfolge feiern, aber auch rasch wieder von der Bildfläche verschwinden können. Simeon II., der einen Großteil seines Lebens in Spanien verbracht hat, erhielt 1991 die Staatsbürgerschaft zurück und genoss seit seiner erstmaligen Rückkehr in die Heimat 1996 eine hohe Popularität, weshalb viele Parteien den Kontakt zu ihm suchten. Die Union der Demokratischen Kräfte trieb als Regierungspartei die Rückgabe seiner Familienbesitztümer 1998 voran, und selbst die Sozialisten äußerten sich zwar prorepublikanisch, aber Simeon-freundlich.

Saks-Koburggotski entschloss sich so spontan, den Sympathiebonus in politischen Einfluss umzumünzen, dass seine Partei nur durch ein Bündnis mit der Frauenpartei und der Bewegung für Nationale Wiedergeburt überhaupt für die Parlamentswahlen im Juni 2001 zugelassen wurde. Sie erhielt 42,7 Prozent der Stimmen. Dennoch war ein monarchistischer rollback weder Ziel noch politisches Ergebnis der Simeon-Partei. Sie richtete sich mit klassischen populistischen Appellen wie Korruptionsbekämpfung und Elitenschelte an die breite Bevölkerung, setzt programmatisch auf eine wirtschaftliche Sanierung des Landes und den Beitritt zur Europäischen Union.

Im Gegensatz zum auffälligeren, da erfolgreichen Simeon ist der 1939 geborene albanische Thronerbe Leka Zogu eine wirkliche Besonderheit. Er strebt seit langem offen nach Weiterführung einer "echten" Monarchie in Albanien. 1993 wurde er wegen seines selbst hergestellten "königlichen Passes" des Landes verwiesen. Obwohl die Bevölkerung im selben Jahr in einem Referendum die Wiedereinführung der Monarchie ablehnte und von den über 50 nach 1989 gegründeten albanischen Parteien nur eine Kleinstpartei, die PLL, monarchistische Ideen verbreitet, ließ sich Zogu nicht entmutigen. 2002 versprach er anlässlich seiner erneuten Rückkehr, die albanische Demokratie und den Staat zu respektieren, doch wenig später beschlagnahmte die Polizei bei ihm Dutzende Waffen. Im Mai dieses Jahres gründete er eine "Bewegung für Nationale Entwicklung", die ein ethnisches Großalbanien an-strebt und an den Wahlen 2005 teilnehmen soll.

Bislang ist Simeon II. der einzige ehemalige König, der in Osteuropa wieder eine Machtposition innehat, wobei die bulgarische Entwicklung viel stärker den postsozialistischen Eigenheiten entspricht, als dass sie selbst einen Trend der Remonarchisierung vorgibt.

Dr. Astrid Lorenz arbeitet als Politologin am Institut für Sozialwissenschaften der Humboldt-Universität zu Berlin.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
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