Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 45 / 01.11.2004
Hartmut Hausmann

Aufruf zur Pflege des kulturellen Erbes

Königin Beatrix in Straßburg

Beatrix, die Königin der Niederlande, hat die Bürger Europas am 27. Oktober bei einem Besuch in Straßburg zum Erlernen von mehreren Sprachen aufgefordert. Jeder Bürger sollte mindestens eine, wenn möglich mehrere zusätzliche Sprachen erlernen. Wenn die immer größer werdende Europäische Union kein neuer Turmbau zu Babel werden soll, müssten die Menschen einander möglichst gut verstehen können. Gerade in einem sich vereinenden Europa sei der direkte Kontakt zwischen den Menschen die beste Grundlage für gegenseitiges Verständnis. In der Einigung der 25 EU-Länder, in ihrer Vielfalt mit ihrer eigenen Identität und ihrer eigenen Sprache liege die eigentliche Kraft des Kontinents, erklärte die Königin vor dem Europäischen Parlament aus Anlass des niederländischen EU-Vorsitzes im zweiten Halbjahr 2004. Dieses kulturelle Erbe gelte es sorgsam zu hü-ten und zu bewahren. Die ständige Begegnung mit der Kultur der Nachbarn mache die Europäer auch widerstandsfähiger gegen den Geist des Materialismus und die sich immer bedrohlicher ausweitende Massenkultur.

Auf dieser festen Grundlage, so zeigte sich die Königin überzeugt, werde die EU zusätzlich Kraft gewinnen, wenn sie sich für weitere Länder öffne, womit sie - ohne das Land namentlich zu nennen - auf die Diskussion um den Türkei-Beitritt einging, "die unsere Rechtsnormen teilen und sich anstrengen, die Kriterien zu erfüllen". Sie ermutigte die Verantwortlichen in der Union, den Dialog mit den beitrittswilligen Ländern offen, ehrlich und unvoreingenommen zu führen.

Beatrix bedauerte, dass viel von der Begeisterung und dem Idealismus für die europäische Einigung aus der Gründerzeit verloren gegangen und einer weit verbreiteten Skepsis gewichen sei. Dabei sei enorm viel von dem, was früher als eine unerreichbare Vision erträumt worden sei, inzwischen verwirklicht worden - allen voran die Rechtsgemeinschaft als Grundprinzip der EU. Auch die traditionell mächtigen Staaten hätten sich im Interesse ihrer gemeinsamen Zukunft dieser Herrschaft des Rechts untergeordnet. Europa habe so den Krieg von seinem Territorium verbannt und den Mitgliedstaaten nie gekannten Wohlstand gebracht.

Die Länder der Europäischen Union, die den Frieden untereinander gewahrt hätten, unterstützen jetzt Friedensaktionen in andern Teilen der Welt. In dem neuen Verfassungsvertrag bringe die Union auch klar zum Ausdruck, dass sie ihrer Verantwortung gegenüber der Welt wahrnehmen und den Kampf gegen Armut, Ungleichgewicht und Unrecht unvermindert fortsetzen wolle. Der Verfassungsvertrag dokumentiere aber auch ein Zusammengehörigkeitsgefühl, das alle Bürger unverwechselbar zu Europäern mache. In den Verträgen sei klar beschrieben worden, wie sich die europäischen Bürger eine zivilisierte Gesellschaft vorstellten, in der sie leben wollten.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2006.