Mit der Einsetzung der neuen Kommission durch das Europäische Parlament ist automatisch die Amtszeit der Prodi-Kommission beendet worden. Zu den herausragenden Punkten ihrer Bilanz gehören die Einführung der Euro-Gemeinschaftswährung, die Erarbeitung des Verfassungsvertrages, die erfolgreiche Osterweiterung, die Agrarreform, die Liberalisierung des Energiemarktes, die Förderung des Finanzbinnenmarktes und eine strikte Wettbewerbspolitik. Zusammengefasst lautete das Urteil in den europäischen Medien unter Anspielung auf die Führungsschwäche von Kommissionspräsident Romano Prodi: eine respektable Bilanz guter Solisten in einem mäßigen Orchester.
Schon vor dem ursprünglich für den 1. November vorgesehenen Amtswechsel hatte Prodi in einer Bilanzdebatte zur Arbeit der EU-Kommission in den vergangenen fünf Jahren von allen größeren Fraktionen uneingeschränktes Lob für die erfolgreich bewältigte Erweiterung der EU erhalten. Ebenfalls für die gute Zusammenarbeit mit dem Europäischen Parlament, die Europa demokratischer gemacht habe. Größere Kritik kam nur von den Konservativen und der Ver-einigten Linken. Der Fraktionsvorsitzende der Liberalen, Graham Watson, fasste die vergangenen fünf Jahre mit den Worten zusammen: "Prodis Kommission hinterlässt ein großes und weiseres Europa."
Für den Vorsitzenden der Konservativ-christdemokratischen EVP, Hans-Gert Poettering (Deutschland), war die Prodi-Mannschaft eine Kommission mit Licht und Schatten. Die interinstitutionelle Vereinbarung mit dem Parlament habe die Demokratie und den Parlamentarismus gestärkt. Auch bei dem historischen Anliegen der Erweiterung sei man gemeinsam sehr erfolgreich gewesen. Nicht zu den Glanzpunkten zähle Prodis Handeln im Zusammenhang mit dem Stabilitätspakt. Fast schon auf die aktuelle Tagespolitik eingehend kritisierte Poettering die Vorschläge zur Chemiepolitik. Europa müsse wettbewerbsfähig gemacht und dürfe nicht deindustrialisiert werden. Auch die Umsetzung der Lissabon-Strategie gehöre nicht zu den Erfolgskapiteln der Brüsseler Behörde.
Im Namen der Sozialdemokraten sprach Martin Schulz (Deutschland) dem bisherigen Kommissionspräsidenten die volle Anerkennung seiner Fraktion aus. Romano Prodi habe sein Amt in einer schwierigen Situation übernommen und erfolgreich gearbeitet. Es sei sein Verdienst, auf das Europäische Parlament zugegangen zu sein, was für seinen Nachfolger einen Maßstab gesetzt habe.
Zugleich habe er in einer schweren Krise deutlich Position bezogen: Vor den Abgeordneten habe er erklärt, dass ein Rückgriff auf Waffen nur das allerletzte Mittel der Politik sein dürfe, und dass der einzige legitime Rahmen dafür die UNO sei. Damit habe er in der Frage des Irak-Krieges die richtigen Konsequenzen gezogen. Erinnert werden müsse auch an die erfolgreiche Einführung des Euro, an den Beitrag zur Entwick-lung der Europäischen Verfassung und die Erweiter-ung. Prodi könne auf seine Bilanz stolz sein.
Graham Watson (Großbritannien) dankte als Chef der Liberalen Prodi dafür, dass er "Europa in den Dienst der Menschen" zu stellen versucht habe. Die Umsetzung der Lissabon-Strategie, die Einführung des Euro, die internen Reformen und die Erweiterung hätten die EU dauerhaft gestärkt. Watson würdigte auch die "intelligente und innovative Gesetzgebung im Binnenmarkt", doch seien die Wirtschaftsreformen noch nicht vollendet.
Auch Monica Frasconi (Italien) bewertete für die Grünen die Arbeit der Prodi-Kommission grundsätzlich positiv. Prodi habe die Stärkung der EU vorangetrieben. Seine Irak-Position sei klar und von ihrer Fraktion geteilt worden. Dennoch habe dadurch nicht der Krieg vermieden werden können, weil Europa nicht mit einer Stimme gesprochen habe. Auch Prodis Führungsposition bei der Kyoto-Konferenz sei gut gewesen, sie hätte sich jedoch einen konkreten Stabilitäts-pakt zum Klimawandel gewünscht. Sie sei jedoch enttäuscht, dass die Zypern-Frage nicht geklärt worden sei. Uneinig sei man sich bei der genetischen Humanforschung gewesen.
Francis Wurtz (VEL/Frankreich) kritisierte die politische Gesamtarbeit der Kommission. Die Agenda von Lissabon habe Vollbeschäftigung gefordert, tatsächlich sei aber ein Rückgang von Arbeitsplätzen festzustellen. Auch die Politik des europäischenAsylrechts und der Migration sei gescheitert.