Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 50-51 / 06.12.2004
Susanne Kailitz

Mahnung und Hoffnung

Die Gedenkstätte Yad Vashem erinnert seit 50 Jahren an den Holocaust

Es gibt auf der ganzen Welt wohl kaum eine Gedenkstätte, die emotionsbeladener und vielschichtiger ist: Yad Vashem ist ein bedrückender Ort der Mahnung und des Erinnerns an den Holocaust wie auch renommiertes Forschungs- und Dokumentationszentrum und Museum. Seit fünf Jahrzehnten versucht die Gedenkstätte in Jerusalem, Brücken zwischen Nationen und Generationen zu schlagen. In Berlin wurde das 50-jährige Bestehen Yad Vashems mit einem Festkonzert in der Deutschen Oper gefeiert, an dem unter anderen Bundeskanzler Gerhard Schröder, Bundestagspräsident Wolfgang Thierse und der israelische Botschafter Shimon Stein teilnahmen.

Im Mai 1953 hatte die Knesset ein Gesetz zur Gründung der Shoah-Gedenkstätte verabschiedet, ein Jahr darauf wurde der Grundstein von Yad Vashem gelegt. Yad Vashem, das heißt übersetzt "Denkmal und Namen". "Wir sammeln in Yad Vashem die Namen der Opfer, weil wir zeigen wollen, dass die Namen für individuelle Biografien, für Personen mit einer eigenen Geschichte stehen", erklärt Avner Shalev, Vorsitzender des Direktorats von Yad Vashem. Auch Iris Berben, die durch den Abend führte, betonte die Bedeutung des individuellen Gedenkens: "Jeder Mensch ist es wert, dass man sich an ihn erinnert." Die Gedenkstätte enthalte zudem Erinnerungsstücke von den Überlebenden und sei ein "wunderbarer Ort", wie "ein Buch, das man aufgeschlagen hat und das einen bereichert". Wer in Yad Vashem gewesen sei, der sei sensibler im Zuhören, Be- und Verurteilen geworden". Bundeskanzler Schröder betonte, Yad Vashem sei mehr als Aufschrei und Anklage, Trauer und Gedenken. Die Gedenkstätte sei auch Ort der Hoffnung auf Versöhnung, Toleranz und Menschlichkeit. Die Gedenkstätte auf dem "Berg der Erinnerung" bewahre das Erbe der Opfer des Völkermords und gebe ihnen ihre Würde wieder. Yad Vashem sei ein besonders bedeutsames Symbol für die deutsch-israelischen Beziehungen: "für das Bekenntnis und die bleibende Verantwortung Deutschlands für die staatliche Existenz Israels in sicheren Grenzen".

Yad Vashem mahnt nicht nur, die Geschichte nicht zu vergessen, es ehrt auch jene, die während des Holocaust ihr Leben eingesetzt haben, um Juden zu retten. 20.000 namentlich gewidmete Bäume in der "Allee der Gerechten" und Bronzetafeln an der "Memorial Wall" erinnern an sie. Für Gisela Kuck, die die Feierstunden organisiert, in denen Deutsche als "Gerechte unter den Völkern" geehrt werden, ist dies eine besondere Form des Erinnerns. "Dieser Ehrentitel ist die höchste Auszeichnung, die der Staat Israel an Nichtjuden verleiht. Er ist Ausdruck des offiziellen Dankes der Opfer an ihre Nothelfer." 1963 wurden Ludwig Woerl, Hans Hartmann und Oskar Schindler geehrt. Die Legende der "Gerechten" geht auf den babylonischen Talmud zurück, wonach in jeder Generation 36 Gerechte unerkannt leben. Sie treten nur in Zeiten bitterer Not hervor und helfen - dann gehen sie in die Anonymität zurück.

Yad Vashem hat überall auf der Welt Freundeskreise. 32 sind es bislang, den deutschen Freundeskreis mit Sitz in Frankfurt gründete Ignaz Bubis 1996. Er ist der einzige, in dem auch Nichtjuden Verantwortung tragen. Rita Süssmuth, seit 2002 Vorsitzende, betont die "besondere und schicksalhafte Beziehung" Deutschlands zu Israel. Es sei wichtig, dass sich das deutsch-jüdische Verhältnis nicht allein in Begriffen der Schuld definiere. "Aus historischer Schuld kann eine Berufung erwachsen, aus Tod und Leid kann Neues entstehen, auch neues Leben."

In die Zukunft gerichtet ist die wissenschaftliche Arbeit. Yad Vashem birgt das größte Archiv zum Holocaust, Erinnerungsstücke und audiovisuelle Interviews mit Überlebenden. Das Wissen um die Vergangenheit sei der Schlüssel für die Zukunft, sagt Avner Shalev. "Wir stellen fest, dass viele junge Menschen, gewissermaßen die dritte Generation, sich für unsere Arbeit interessierten. Wir wollen über die Wissensvermittlung den Dialog in Gang bringen." Schröder betonte: "Nur wer sich erinnert, auch wenn er keine Schuld auf sich geladen hat, kann verantwortungsbewusst mit der Geschichte umgehen. Erinnerung hilft, der Gegenwart einen Sinn zu geben."


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2006.