Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 05-06 / 31.01.2005
Hartmut Hausmann

Fünfjahresplan zur EU-Mitgliedschaft

Präsident Juschtschenko in Straßburg
Während seiner zweiten Auslandsreise am zweiten Tag seiner Amtszeit hat Viktor Juschtschenko als neuer Präsident der Ukraine am 25. Januar vor der Parlamentarischen Versammlung des Europarates in Straßburg die europapolitischen Intentionen seiner Regierung konkretisiert. In einem überzeugenden Auftritt, für den er wie kaum ein anderer Gast zuvor mit stehenden Ovationen verabschiedet wurde, sagte der Präsident, 1995 sei sein Land in die Straßburger Demokratie- und Menschenrechtsorganisation aufgenommen und seitdem viel wegen mangelnder Reformen kritisiert, aber auch oft ermutigt worden.

Jetzt sei es an der Zeit, die damals eingegangenen Verpflichtungen als Mitglied endlich zu erfüllen. Formal könne dies mit der Verabschiedung der entsprechenden Reform-Gesetze in etwa sechs Monaten geschehen, um aus dem fast zehn Jahre andauernden Monitoringverfahren entlassen werden zu können. Viel wichtiger aber sei die inhaltliche Umsetzung aller Demokratie- und Rechtsnormen in die Praxis, damit der Demokratieprozess in der Ukraine irreversibel werde. Auf diesem Wege bitte er weiterhin um die Unterstützung des Europarates.

Bevor Präsident Juschtschenko nach Brüssel zur EU weiterreiste, hat er, der symbolische Gesten geschickt zu inszenieren weiß, einen Abstecher nach Polen zu einem erneuten Besuch in Auschwitz genutzt, wo auch sein Vater inhaftiert war. Schon vor Jahren habe er von dort einen Klumpen Erde mitgenommen, der ihn immer dazu bewegen soll, nie wieder Trennlinien zwischen unterschiedlichen Kulturen, Religionen oder Menschen anderer ethnischer Herkunft zuzulassen. Trennlinien in einer Gesellschaft seien immer mit Verletzungen der Menschenrechte verbunden.

Kriterien von Kopenhagen

Die von Juschtschenko skizierte Zukunft der Ukraine in der Europäischen Union soll nach einem Fünfjahresplan erreicht werden. Dabei stehen die Europaratsnormen an erster Stelle, da sie zugleich die Erfüllung der politischen Kriterien von Kopenhagen als Voraussetzung für den EU-Beitritt bedeuten. Hinzu kommt ein Maßnahmenkatalog "Marktwirtschaft", der die Ukraine in diesem Zeitraum fit für die Welthandelsorganisation WTO machen soll.

Das von der Europäischen Union in Aussicht gestellte Aktionsprogramm mit Visa-Erleichterungen im Rahmen des Nachbarschaftsabkommens wird dabei als willkommene Hilfe betrachtet, um die Zusammenarbeit durch persönliche Kontakte zu intensivieren. Eine erweiterte Freizügigkeit, welche die Zugehörigkeit zu Europa dokumentiere, sei für seine Landsleute auch psychologisch von enormer Wichtigkeit.

Ein Parlamentarier erhielt auf die Frage, wann unter diesen Voraussetzungen mit dem EU-Beitrittsantrag zu rechnen sei, die Antwort, mit dauerndem Anklopfen und mit Rhetorik könne man nicht in dieses Haus eintreten, sondern nur mit Leistung. Die Ukraine werde so lange hart arbeiten, bis die Union von sich aus sage: "Wir warten auf Sie." Besonders dieser Dialog ließ die Fähigkeiten Juschtschenkos erahnen, seine politischen Überzeugungen zu vermitteln und politische Mitstreiter um sich zu sammeln. Wegen der Schließung eines polnischen Friedhofs in Grenznähe, über die sich ein polnischer Abgeordneter beschwerte, will er persönlich bei der Gemeinde vorstellig werden. Er nutzte diese Frage zu der Aussage, dass künftig Minderheiten in der Ukraine weder in der Benutzung ihrer Sprache noch in der Ausübung ihrer Kultur gehindert werden.

Auf die Ermordung des Journalisten Gongadse angesprochen, die fast zum Ausschluss der Ukraine aus dem Europarat geführt hätte, erklärte der Präsident in Anwesenheit der auf der Tribüne zuhörenden Witwe, dass dieser Fall in aller nur möglichen Transparenz untersucht werde. Und gegenüber russischen Parlamentariern versicherte er, dass der große Nachbar ewig der strategische Partner der Ukraine bleiben werde, und dass die Beziehungen sehr schnell zwischen Moskau und Kiew formalisiert und normalisiert würden. Ein gemeinsamer Wirtschaftsraum mit den GUS-Staaten werde von seiner Regierung unterstützt. Er dürfe nur kein Hindernis zur Teilnahme am gemeinsamen Markt der EU bedeuten.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2006.