Mit der Vorstellung der Leitlinien ihres Arbeitsprogramms für die kommenden fünf Jahre unter dem Motto "Eine Partnerschaft für die Erneuerung Europas" hat die Einsetzung der neuen EU-Kommission ihren Abschluss gefunden. Kommissionspräsident José Manuel Barroso nannte vor dem Europäischen Parlament in Brüssel als politische Priorität die Stärkung des wirtschaftlichen Wachstums und damit verbunden die Schaffung von mehr und dauerhaften Arbeitsplätzen. Nur wenn es bis 2009 gelinge, mit Reformen und Investitionen in Wissenschaft und Bildung das Wachstum zu erhöhen, könnten Wohlstand und soziale Sicherheit auf Dauer gewährleistet werden.
Wirtschaftliche Prosperität sei die Voraussetzung zur Aufrechterhaltung von sozialer Gerechtigkeit. Um diese Ziele zu verwirklichen und die Konjunktur dauerhaft zu stützen, sollen künftig in der EU drei Prozent des Bruttosozialprodukts in die Forschung investiert werden. Zugleich müssten aber auch die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen verbessert werden. Er erinnerte an die zentrale Bedeutung des Stabilitäts- und Wachstumspakts für ein solides makroökonomisches Fundament und hob die Notwendigkeit eines funktionierenden Binnenmarkts mit fairen Regeln zur Unternehmensbesteuerung als
Voraussetzung für den funktionierenden Wettbewerb hervor.
Für den 2. Februar kündigte die Kommission eine Zwischenbilanz des Lissaboner Prozesses an, mit dem die EU ursprünglich bis 2010 zur wirtschaftlichen Nummer 1 in der Welt aufsteigen sollte. Auch wenn die Gemeinschaft zeitlich im Rückstand sei, dürften keine Abstriche gemacht werden. In Abstimmung mit der in dieser Frage sehr engagierten Luxemburger Präsidentschaft sollen die einzelnen Etappenziele anhand konkreter Maßnahmen und mit einem Zeitplan versehen definiert und mit konkreten Verpflichtungen für die einzelnen Mitgliedstaaten verbunden werden. Im Gegensatz zu manchen Mitgliedstaaten der Union will die Kommission dafür Sorge tragen, dass bei diesem Prozess innerhalb der EU die Einhaltung von sozialen Normen garantiert wird und damit auch der Schutz der Schwächsten der Gesellschaft. Die bewährten Sozialeinrichtungen könnten aber nur tragfähig bleiben, wenn sie schnell den demographischen Veränderungen in der europäischen Gesellschaft angepasst würden.
In diesem Zusammenhang sprach sich Barroso für einen Abbau der Unterschiede zwischen den reichen und armen Regionen Europas aus, die durch den Beitritt der zehn neuen Mitgliedstaaten enorm angewachsen seien: "Keine Europäische Union ohne Solidarität und soziale Gerechtigkeit." Im Bereich der Sicherheit trat er für die Umsetzung des Haager Programms ein, insbesondere für eine gemeinsame Bekämpfung von Verbrechen und Terrorismus. Dazu seien effizientere Kontrollen an den Außengrenzen notwendig. Zu den außenpolitischen Prioritäten gehören eine neue Strategie für Afrika und ein "frischer Atem" in den transatlantischen Beziehungen.
Der derzeitige Ratsvorsitzende der EU, Luxemburgs Premierminister Jean-Claude Juncker, sprach von weitgehender "Zielidentität" zwischen Rat und Kommission. Die Partnerschaft für die Erneuerung Europas sei nur über eine institutionelle Zusammenarbeit zu erreichen. Die Bürger machten keinen Unterschied zwischen Rat, Kommission und Parlament.
Hans-Gert Pöttering, der Vorsitzende der christdemokratischen EVP-Fraktion, bezeichnete das Kommissionsprogramm als tragfähige Basis, um dem europäische Sozialmodell eine Überlebenschance zu geben. Es müsse aber auch beachtet werden, dass es ohne eine vernünftige Familienpolitik keine Zukunft für Europa gebe. Eindeutig wandte sich der EVP-Chef gegen eine zu große Lockerung des Stabilitätspakts, bei der Revision müsse die Kommission Herr der Beurteilung der Finanzpolitik der Staaten bleiben.
Auch der Vorsitzende der europäischen Sozialdemokraten, Martin Schulz, unterstützte das Kommissionsprogramm, das starke sozialdemokratische Züge angenommen habe. Es gehe vor allem darum, ein Wachs-tum zu schaffen, um den sozialen Zusammenhang sichern zu können. Wer dennoch im Rahmen einer Deregulierung soziale Errungenschaften abbauen wolle, werde den Widerstand seiner Fraktion zu spüren bekommen. Unterstützung signalisierte er auch für die Veränderungen beim Wachstums- und Stabilitätspakt. Ein Pakt, der entgegen seinem Namen vor lauter Stabilität das Wachstum bremse, sei ein Widerspruch in sich.
Ähnlich, aber differenzierter, argumentierten die Liberalen. Alles komme auf eine intelligente Anwendung des Stabilitätspakts an. Von einer von den deutschen FDP-Abgeordneten angedrohten Klage wegen zu großer Nachgiebigkeit der Kommission gegenüber Stabilitätssünder Deutschland war keine Rede mehr.
Trotz anders lautenden Zusicherungen Barrosos warnte Pierre Jonckheer als Sprecher der Grünen vor Sozialdumping als Folge der angestrebten der Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der EU.