Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 12 / 21.03.2005
Jens Mattern

Kaldaunensuppe und der "Club der polnischen Versager"

Polen sind die zweitgrößte sprachliche Minderheit in Berlin

Mit 30.000 Personen haben Polen die Bürger von Ex-Jugoslawien als zweitgrößte Minderheit in Berlin abgelöst, so die Informationen des statistischen Landesamtes Berlin. Gezählt wurden nur die Besitzer eines polnischen Passes. Über die Anzahl der Besitzer eines deutschen Passes, die polnischer Herkunft sind, gibt es unterschiedliche Schätzungen, man geht davon aus, dass über 100.000 Menschen mit Polnisch als Muttersprache in Berlin leben.

Gibt es ein polnisches Berlin? Viel fällt den meisten nicht dazu ein. Die Putzfrauen oder der Polenmarkt, der längst Geschichte ist. Doch so langsam macht sich sich die zweitgrößte Minderheit der Hauptstadt bemerkbar, wobei ihr noch wenig Aufmerksamkeit widerfährt. Wohl weil Polen eher auf der unteren Sympathieskala angesiedelt sind, vielleicht auch weil man in Deutschland dem "Fremden" erstmal kulinarisch begegnet. In der Millionenstadt Berlin bleibt da allein der Gang zu "Klon", dem polnischen Spezialitätengeschäft im ruhigen Charlottenburg. Dort zieren künstliche Blumen die Schaufensterauslage, ein Lowiczanski-Trachtenpüppchen sitzt ein wenig verlorenauf einem Kunstrasen. In den Verkaufsregalen wird als Delikatesse gefeiert, was sich 80 Kilometer weiter östlich gegenüber Westprodukten einen harten Daseinskampf liefern muss: Rote-Beete-Salat, Salzgurken, Sauerteigsuppenextrakt und Kaldaunensuppe im Glas sowie Schlesische Wurst und Schinken in der Kühlauslage.

Frau Klon, Eigentümerin hinter der Theke, gibt gern Auskunft: Immer mehr Deutsche würden kaufen, sie machten mittlerweile die Hälfte des Kundenstamms aus. Vielen Polen sei es hier zu teuer, die Grenze sei ja nah, meint Frau Klon achselzuckend. Dass jedoch im Stadtteil Tempelhof die Kirche der Berliner Polen verkauft werden soll, das findet sie seltsam.

"Dabei sind wir die größte Pfarrgemeinde hier in Berlin, am Sonntag kommen 3.000 Leute, betont Jacek Pajewski, Priester der "Misja Katolicka Berlin", der in seinem kargen Büro empfängt. Die Entscheidung, die schiffsartige St. Johannes Capistran Kirche zu veräußern, steht noch aus, der Unterhalt für die im Nebengebäude untergebrachten Verlage und die Pfadfinder, spekuliert Pajewski, ist wohl dem Berliner Erzbistum zu groß. Allerdings sympathisiert der als medienscheu bekannte Endvierziger mit dem wenig integrativen Pater Rydzyk sowie dessen Medieninstrumenten Radio Maria und dem Fernsehkanal "trwam" (ich dauere an) im Heimatland, die nach seinen Worten auch von den meisten Gemeindemitgliedern in Tempelhof empfangen werden. Eigentlich ein Widerspruch, da etwa 90 Prozent der polnischen Gemeinde die Staatsbürgerschaft gerade jenes Landes haben, vor dem der Sender aus Torun/Thorn so unermüdlich warnt.

Gegenüber der Kirche, im Flachbau der Paul Simon Schule wird für den großen Orthographie-Wettbewerb von Polnisch-Berlin geübt. "Einmal in der Woche drei Stunden Polnisch lernen, das bringt mehr, als ich anfangs dachte", erklärt Malgorzata Staszak, Pädagogische Vorsitzende des Vereins "Oswiata" (Bildung).

Für die Eleven polnischstämmiger Eltern bietet die Organisation Unterricht in der Herkunftssprache. Die Kinder könnten sich so weniger in der deutschsprachigen Umgebung integrieren - dies halten die Behörden darum dem Verein vor. Dabei erfährt die vermeintliche Altlast und schwierigste aller slawische Sprachen zur Zeit eine Aufwertung: aufgrund des polnischen EU-Beitritts will sie nun von vielen deutschen Berlinern gelernt oder kennengelernt werden.

Den Ruf einer Sprachschule will man im "Polnischen Institut Berlin" im Zentrum der Stadt loswerden. "Wir wollen beispielsweise den Berlinern zeigen, was sich in der jungen avantgardistischen Kulturwelt Polens bewegt", erklärt Marcin Zastrozny, Presseprecher des Kulturinistituts. Die deutschen Besucher der hauseigenen Bibliothek ziehen ihre Schlüsse über Annekathrin Genest. Geduldig hört die Bibliothekarin einem älteren Herrn zu, der auf einem Jugendzentrum in Allenstein beharrt; und einem Familienvater, der detaillierte Auskünfte über seinen Urlaub mit zwei Kindern in Ostpommern verlangt.

Solch auskunftheischende Besucher wären in Berlins zweitem polnischen Kulturverein an der falschen Adresse. Im Vorraum des "Clubs der polnischen Versager", in einem ehemaligen Laden, sehen verarmte schlesische Kohlegräber aus Fotos auf den Betrachter. Heute ist der "Frage-und-Antwort-Tag". Jeder, der auftreten will, darf mit seinem Projekt vorstellig werden. Zwei arbeitslose Schauspielerinnen und ein Drehbuchautor wollen aus Briefen rezitieren: Halbautobiografisches über die Qualen des Alltags. Pawel fordert streng das Manuskript, es entsteht eine gespannte Ruhe, mit übertrieben schulmeisterlicher Mine wirft er einen Blick auf den Text, eine halbe Minute lang, und gibt zackig sein Einverständnis.

Sein desintegrierendes Spiel verwirrt die Profi-Darsteller, schnell wird der Auftrittstermin ausgehandelt, erleichtert verschwinden sie. Auch der Name des bekannten Clubs ist kalkulierte Provokation, zumindest in der Berliner Kulturszene kann von "Versagen" keine Rede mehr sein. Piotr, Grafiker und Mitbegründer des vor drei Jahren ordentlich eingetragenen Vereins, verweist zudem auf das Bedürfnis des intellektuellen Austauschs und auf das riesige Bücherregal hinter ihm, das keine Dekoration sei. Auch hier wird wieder auf Abgrenzung Wert gelegt - zum elitären Habitus des Polnischen Instituts und schon gar zum folkoristischen Polenbild des polnischen Konvents, ein Dachverband polnischer Organisationen.

Alina Winiarski und Izabela Ebertowska gilt die vollzogene EU-Osterweiterung nicht als großes Thema. "Die hat doch längst stattgefunden", meint Alina, die zweite Vorsitzende von "Nike Polnische Unternehmer-innen e.V" ist. Über Integration und Probleme mag sie als Chefin eines Consultingunternehmens für deutsch-polnische Wirtschaftskontakte nicht gern debattieren. "Wettbewerbsfähigkeit ist allein entscheidend." Mut will Sie polnischen wie deutschen Unternehmern machen, im jeweiligen Nachbarland zu investieren. Flexibel und fantasievoll seien die polnischen Unternehmerinnen und Unternehmer und hätten Erfahrungen mit einem Markt ohne Fördermittel.

"Wer Arbeit braucht, der ist schon hier", so Frau Ebertowska, Vorsitzende des Polnischen Sozialrates. Das Büro, in einem Hinterhof der Kreuzberger Oranienstraße, steuern viele an, deren Unternehmungen ohne Finanzamt auskommen, die sich schwarz als Putzhilfen, Prostituierte, Handwerker in Berlin verdingen. Hier erhalten sie Ratschläge über Ausländerrecht und Aufenthaltserlaubnis oder psychologische Hilfe, ohne dass nach einem Namen gefragt wird. Darum findet das Gespräch auch außerhalb der Besuchszeiten statt. "Jeder kann zu uns kommen, ob Pole oder nicht, sonst würde der Senat die halbe Stelle nicht bezahlen", erklärt Frau Ebertowska, die sich für den Sozialrat einmal in der Woche frei nimmt. Zu Solidarnosc-Zeiten wurde der Verein gegründet, anfänglich um politische Emigranten zu betreuen. Die Emigrationswelle sei abgelaufen. Das Problem mit der Schattenwirtschaft bleibe aber noch länger, da die Arbeitnehmer-Freizügigkeit erst sieben Jahre nach dem Beitritt gilt.

Im Rundfunk Berlin Brandenburg (RBB), verfolgt Jacek Tyblewski das polnische Leben in Deutschland von Berufs wegen. Täglich 30 Minuten wird "po polsku" gesendet, wobei sich die Programmmacher nicht als "Brücke zur Heimat" verstehen. Die einst bundesweite Ausstrahlung wurde leider auf Berlin, Bremen und Nordrhein Westfalen reduziert.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
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