Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 18 - 19 / 02.05.2005
Christian Ludwig

Die Lehren aus einem blutigen Weltkrieg

Zwischen Vision und Versagen: der Völkerbund

Das Jahr 1920 hätte das Ende von Clausewitz einläuten können. Die These vom Krieg als Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln, das Recht eines jeden souveränen Staates auf Krieg zum Erreichen seiner Ziele wurde erstmalig auf internationaler Ebene in Frage gestellt.

Als der Völkerbund am 10. Januar 1920 offiziell gegründet wurde, lagen Jahre des Schreckens und der Verwüstung hinter Europa. Mehr als zehn Millionen Tote hat der Erste Weltkrieg gekostet. Das Leid schien ein Umdenken zu bewirken. Weg vom bloßen Kriegsführungsregime, hin zu einem kollektiven Friedenssicherungssystem. Die neue Weltregierung sollte Weltfrieden und Internationale Zusammenarbeit ermöglichen.

Bereits vor dem Ersten Weltkrieg hatte sich die Einsicht entwickelt, dass Kriege sehr verlustreich sein können. Auf den Haager Friedenskonferenzen 1899 und 1907 wurde das Kriegsvölkerrecht, die Regeln des Kriegsrechtes zusammengefasst. Vereinbarungen zum friedlichen Bearbeiten von Konflikten blieben hingegen vage. Nach dem Weltkrieg lag die Einrichtung einer neuen internationalen Ordnung nahe.

Die Idee der Völkerbundes ging auf das 14-Punkte-Programm des amerikanischen Präsidenten Thomas Woodrow Wilson zurück. Er hatte 1918 in einer programmatischen Rede zur Nachkriegsordnung die Gründung einer allgemeinen Staatenverbindung gefordert, "mit dem Zweck, großen und kleinen Staaten gleichermaßen gegenseitige Garantien ihrer politischen Unabhängigkeit und territorialen Unversehrtheit zu gewähren." Die Hegemonie eines Staates sollte nicht länger durch ein Gleichgewicht der Kräfte, dem europäischen Ordnungsprinzip seit dem Westfälischen Frieden, sondern durch die Gründung eines Völkerbundes verhindert, Kriege völkerrechtswidrig werden. Wilsons Entwurf wurde die Grundlage der Völkerbundsatzung, die durch britische und südafrikanische Vorschläge ergänzt wurde. 1919 erreichte Wilson auf der Pariser Friedenskonferenz, dass die Satzung des Völkerbundes zum Bestandteil der Friedensverträge von Versailles, St. Germain, Trianon und Neuilly wurde. Einwände der Kriegsverlierer Deutschland und Österreich sowie neutraler Staaten wurden nicht berücksichtigt.

Die beiden Hauptorgane des Völkerbundes waren der Rat und die Bundesversammlung. In der Bundesversammlung hatten alle Mitgliedsländer je eine Stimme. Im Rat saßen vier ständige Mitglieder: Frankreich, Großbritannien, Italien und Japan. Deutschland und die Sowjetunion traten erst später dem Völkerbund bei. Sie erhielten dann auch ständige Sitze. Die USA trat dem Völkerbund gar nicht bei. Daneben gab es anfänglich vier, später bis zu elf nicht-ständige Sitze. Beide Organe hatten sich mit jeder Frage zu befassen, die den Weltfrieden angingen. Da der Rat häufiger tagte, übernahm er in der Regel die dringlichen Angelegenheiten. Die Beschlüsse ergingen in der Regel einstimmig. Damit hatte natürlich jedes Land hatte ein Vetorecht. Ausführende Organe waren der Generalsekretär und das ständige Sekretariat in Genf, wo der Bund seinen Sitz hatte. Als Spezialorganisationen wurden der Ständige Internationale Gerichtshof und die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) gegründet.

Frieden und Sicherheit

Wichtigste Aufgabe des Völkerbundes war die Kriegsverhütung sowie die Gewährleistung von Frieden und Sicherheit. Im Streitfall sollten sich die Kontrahenten einem "cooling-off"-Verfahren unterziehen. Erst nach neun Monaten, in denen sie sich einem Schiedsverfahren, einem gerichtlichen Verfahren oder einem Untersuchungsverfahren unterziehen mussten, durften sie in den Krieg ziehen. Im Fall einen Krieges oder der Androhung eines Krieges hatte der Rat zusammenzutreten und entsprechende Maßnahmen zu beschließen. Herzstück des Kriegsverhütungssystems waren die Sanktionen. Sie umfassen die ganze Palette von Boykottmaßnahmen, bis hin zur totalen Wirtschaftsblockade.

Die Gründe für das Scheitern sind zahlreich. Sie lagen im Wesentlichen in der Struktur und der Gründungsgeschichte des Völkerbundes begründet. Aber auch im hemmungslosen Revisionsstreben auf Seiten der Verlierer und im Status-Quo-Denken der Sieger des Ersten Weltkrieges. Als verheerend stellte sich die Verknüpfung des Völkerbundes mit der Nachkriegsordnung heraus, die in Deutschland massiv bekämpft wurde. Diese Verknüpfung und die Tatsache, dass die Verlierer des Krieges vorerst nicht Mitglied im Völkerbund werden durften, haben dem Völkerbund viele Chancen verbaut. Noch schwerer wog jedoch die Entscheidung der Vereinigten Staaten von Amerika, trotz des Engagements Wilsons nicht Mitglied des Völkerbundes zu werden. Auch die Sowjetunion durfte erst im Jahre 1934 dem Völkerbund beitreten. Inzwischen war jedoch das nationalsozialistische Deutschland, das erst 1926 unter dem Reichsaußenminister Gustav Stresemann dem Völkerbund beigetreten war, schon wieder ausgetreten. Japan und Italien folgten 1933 und 1937. Es war ein Kommen und Gehen. Dem Völkerbund fehlte damit von Anfang an die internationale Legitimation. Der universale Anspruch war auf diese Weise in den Augen der Verlierer gründlich diskreditiert.

Hinzu kam des Fehlen eines absolutes Gewaltverbot. Die Präambel der Satzung verpflichtet die Staaten lediglich "bestimmte Verpflichtungen zu übernehmen, nicht zum Krieg zu schreiten". Erst 1928 ächten 15 Nationen mit dem Kellogg-Briand-Pakt den Krieg als Mittel der Politik. Gewaltanwendungen unterhalb der Kriegsschwelle wurden vom Sanktionssystem gar nicht erfasst. Ebenfalls problematisch war die Durchführung der Sanktionen. Sie blieben den Mitgliedern überlassen.

Wie wirkungslos das Instrument der Sanktionen war, zeigte sich 1934. Italien hatte Abessinien, das heutige Äthiopien, überfallen. Der Völkerbund erklärte Italien zum Aggressor und beschloss Sanktionen gegen Italien. Eingehalten wurden sie nie. Als die italienischen Truppen 1935 die äthiopische Hauptstadt Addis Abeba eroberten, forderte der äthiopische König Haile Selassie den Völkerbund zum Handeln auf: "Es geht um die Existenz des Völkerbundes. Es geht um das Prinzip der Gleichheit aller Staaten. Gott und die Geschichte werden an unser Urteil erinnern - welche Antwort soll ich meinem Volk mitbringen?" Die Antwort des Völkerbundes war deutlich: die Sanktionen wurden aufgehoben. Damit war der Völkerbund am Ende. Er sprach nie wieder Sanktionen aus.

Überhaupt konnten Sanktionen nur im Kriegsfall ausgesprochen werden. Für Sanktionen benötigte es einen klar erkennbaren Aggressor, einen Staat. In Bürgerkriegen war dieser nicht auszumachen. Sie waren "interne Angelegenheiten". Der Spanische Bürgerkrieg blieb vom Sanktionssystem deshalb ausgeschlossen, obwohl er sich durch seinen ideologischen Charakter rasch vom innerstaatlichen zum außenpolitischen Problem entwickelt hat. Damit berührte er eigentlich exakt den satzungsmäßigen Aufgabenbereich des Völkerbundes.

Neben dem politischen Scheitern konnte der Völkerbund aber zweifellos auch Erfolge vorweisen, vor allem als Förderer der internationalen Zusammenarbeit. Er hat den erfolgreichen wirtschaftlichen Aufbau Österreichs nach dem Krieg begleitet und die Heimführung der Kriegsgefangenen des Ersten Weltkrieges organisiert. Schließlich hat er für das Überleben von hunderttausenden von Flüchtlingen gesorgt. Der norwegische Polarforscher Fridtjof Nansen bot ihnen als Hochkommissar für Flüchtlinge mit dem "Nansen-Pass" Schutz, Sorge und die Chance auf ein Auskommen in einem anderen Land. Die Erfolge beim Minderheitenschutz sind zwiespältig. Auch wenn der Völkerbund nicht die Unterdrückung von Minderheiten unterbinden konnte, so verhinderte er dennoch, dass "die größere und kleinere Unterdrückung von Minderheiten internationalen Streit oder Konflikt hervorbrachte", blickte Pablo de Azcarate, ein hoher Mitarbeiter der Minderheitensektion, 1945 aus kritischer Distanz zurück.

Neu war das internationale Diskussionsforum, das der Völkerbund geschaffen hat. Der Umgang der Staaten miteinander näherte sich parlamentarischen Verfahren an und die internationale Politik wurde berechenbarer. Als wichtigste Bedeutung des Völkerbundes ist schließlich die Idee und teilweise Etablierung des ersten internationalen Sicherheitssystems zu sehen. Konflikte sollten ausgehandelt, Beschlüsse der Völkergemeinschaft mit Hilfe von Sanktionen durchgesetzt werden. Dies bedeutete die Abkehr vom Recht des Stärken, gefordert war die Solidarität der Mitgliedstaaten untereinander. Das Werk von Fridtjof Nansen wird heute vom Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen fortgesetzt, der Internationale Gerichtshof und die Internationale Arbeitsorganisation haben das Ende des Völkerbundes überlebt.

Der Völkerbund konnte des Krieg als Fortsetzung der Politik nicht verhindern. Den Aggressionen Deutschlands und dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges stand er hilflos gegenüber. Der Geist des Völkerbundes war einfach zu schwach, die Instrumente völlig unzureichend. Er scheiterte, weil die Staaten es letztendlich so wollten. Trotzdem war die Gründung des Völkerbunds die wichtige Grundlage für die Vereinten Nationen, die auf diesen Erfahrungen aufbauen konnten.


Christian Ludwig arbeitet als freier Journalist in Bremen.


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