Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 27 / 04.07.2005
Thilo Castner

Wachsamkeit bleibt auch hierzulande oberstes Gebot

Alarmierende Angaben im neuen "Grundrechte-Report"

Auch in der nunmehr neunten Ausgabe des Grundrechte-Reports, initiiert von mehreren Bürgerrechtsorganisationen wie der Humanistischen Union und dem Republikanischen AnwältInnenverein, werden für das Jahr 2004 eklatante Verstöße gegen Artikel 1 - 20 des Grundgesetzes aufgelistet. In den insgesamt 45 Beiträgen der 44 Autoren, überwiegend Hochschullehrer, Anwälte und Richter, wird deutlich: Der Einsatz für eine strikte Einhaltung und Verteidigung der Grundrechte ist nach wie vor unerlässlich, soll die Bundesrepublik als demokratischer und sozialer Rechtsstaat nicht gefährdet werden.

Art und Umfang der Verstöße sind schier unendlich, und immer neue kommen dazu, etwa durch die Einführung von "Schnüffel-Chips im Warenkorb". Hier kann mit Hilfe eines winzigen Chips und einem Lesegerät festgehalten werden, welche Waren ein Verbraucher einkauft und was mit den Waren geschieht. Die automatisierte Kfz-Kennzeichenerkennung kontrolliert, welche Strecken ein bestimmtes Fahrzeug zurücklegt und wo es sich gerade aufhält. Das Aufspüren unerwünschter Fußballfans ist ebenso wenig ein Problem wie die permanente Videoüberwachung des Arbeitnehmers am Arbeitsplatz.

Schockierend und abstoßend sind die geschilderten Misshandlungen in Justizvollzugsanstalten und Abschiebegefängnissen, die Abschiebepraxis in einigen Großstädten und polizeiliche Brechmittelmethoden in der Drogenszene. Das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit wird in den aufgegriffenen Fällen ähnlich eklatant verletzt wie bei Heimbewohnern, die durch Psychopharmaka, Bettgitter oder Bauchgurte ruhig gestellt werden, weil an Personal gespart wird, damit die Profitrate des Pflegeheims stimmt.

Die Einführung einer Demonstrationsgebühr, in einigen Bundesländern bereits ernsthaft erwogen und versuchsweise praktiziert, schränkt die Versammlungsfreiheit aufmüpfiger Bürger nachhaltig ein. Gerichtsurteile wie das gegen den 78-jährigen Ex-KZ-Häftling Löwenberg, der eine Geldstrafe zahlen musste, weil er in München zum Widerstand gegen einen Neonazi-Aufmarsch aufgerufen hatte, lassen den Verdacht aufkommen, dass Zivilcourage strafbar sein kann.

Die weltweite Bekämpfung des Terrorismus hat auch in Deutschland erhebliche Grundrechtsverletzungen ausgelöst. Faire Verhandlungen gegen Al-Qaida-Verdächtige erwiesen sich als kaum durchführbar. Unter Verdacht stehende Ausländer wurden abgeschoben, auch wenn Gefahr für Leib und Leben im Zielstaat bestand.

Große Sorge bereitet den Autoren der expandierende Abbau des Sozialstaats durch Hartz IV und andere Arbeitsmarktgesetze. Wachsender Verzicht auf Sozialpolitik geht auf Kosten der Schwachen und entsolidarisiert die Gesellschaft. Unterhalb einer bestimmten Bemessungsgrundlage ist menschenwürdiges Leben nicht mehr möglich. Die Herausgeber mahnen eindringlich: "Die Entwicklung des Sozialstaats, aber auch die Asyl- und Ausländerpolitik in unserem Land machen eines ganz deutlich: Wie die staatlichen Institutionen den Schwächsten - Asyl suchenden, armen, aber auch alten Menschen - gegenübertreten, bleibt wichtiger Gradmesser für den Zustand von Menschenwürde, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in Deutschland."


Till Müller-Heidelberg und andere (Hrsg.)

Grundrechte-Report 2005.

Zur Lage der Bürger- und Menschenrechte in Deutschland.

Fischer TB 16695, Frankfurt/M. 2005; 255 S., 9,90 Euro


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