Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 32 - 33 / 08.08.2005
Ludwig Watzal

Frieden ist möglich - aber unwahrscheinlich

Das Kernproblem Palästina - die völkerrechtliche Sicht
Frieden zwischen Israel und Palästina ist prinzipiell möglich, aber unter den gegebenen Umständen eher unwahrscheinlich. Einen gerechten und dauerhaften Frieden kann es nur geben, wenn der historischen Wahrheit zum Durchbruch und dem Völkerrecht Geltung verschafft werden. Zurzeit scheint eher das Gegenteil der Fall zu sein: Die israelische Regierung baut einen "Sicherheitszaun", der um palästinensische Bevölkerungszentren eine acht Meter hohe Mauer bildet.

Die Errichtung dieses Grenzwalles wurde vom Internationalen Gerichtshof in Den Haag in einem Urteil vom 9. Juli 2004 als "völkerrechtswidrig" bezeichnet, weil er zum größten Teil auf besetztem Land gebaut wird.

Die wichtigste Voraussetzung für einen gerechten und dauerhaften Frieden hat der ehemalige Nahostkorrespondent der Neuen Zürcher Zeitung, Arnold Hottinger, 1994 so formuliert: "Die Palästinenser können nicht ,gerecht' behandelt werden, solange man vor sich selbst, vor ihnen und vor der ganzen Welt abstreitet und leugnet, was sie erleiden mussten und bis zur Gegenwart weiter erleiden. Dies ist nicht nur eine moralische, sondern auch eine politische Grundfrage. Es wird und kann keinen wirklichen Frieden geben, solange die Israelis sich selbst und dem Rest der Welt erklären, sie hätten immer moralisch und politisch richtig, gerecht und sauber gehandelt. Nur wenn sie einmal selbst erkennen, dass sie den Palästinensern schweres Unrecht angetan haben, besteht die Möglichkeit, dass ein dauernder Frieden mit ihren heutigen Untertanen und künftigen Nachbarn (?) zustande kommen kann."

Auch Simcha Flapan, ehemaliger Sekretär der sozialistischen Mapam-Partei und Leiter des Referats für Arabische Angelegenheiten, geht es im Nahost-Konflikt um die historische Wahrheit. "Die Mythen des Staates bilden den Kern des israelischen Staatsverständnisses", so der Autor. Sie zu entzaubern und der historischen Wahrheit zum Durchbruch zu verhelfen, war zentrales Anliegen seines Buches "Die Geburt Israels", dass 2005 (Melzer Verlag) neu aufgelegt worden ist.

Die "sieben Mythen" entstanden zwischen 1948 und 1952 und bestimmen die Geschichte Israels bis heute. Sie bilden die Essenz des israelischen Selbstverständnisses und werden von Flapan relativiert und teilweise widerlegt. Bereits 1988 schieb Flapan: "Das Diaspora-Judentum und die Freunde Israels in aller Welt müssen begreifen, dass die Politik, die Israel heute betreibt, dazu verdammt ist, den Kreislauf der Gewalt und des Terrors immer weiter in Gang zu halten, jene Kette willkürlicher und sinnloser Mordanschläge, die uns jedesmal aufs Neue schockieren, gleich, ob sie mit Pistolen oder Bomben begangen werden. Wenn die Armee eines Landes für die Ermordung eines seiner Bürger grausame kollektive Rache nimmt, so ist dies um keinen Deut rechtschaffener oder bewundernswerter als die individuelle Rache eines verzweifelten Jünglings nach der Ermordung eines der Seinen. Wenn das eine als ,nationale Verteidigung' und das andere als ,Terrorismus' bezeichnet wird, so sind das Begriffe, die nur Propaganda und eine verzerrte Sicht geprägt haben."

Neben dem Faktor Wahrheit ist die Realisierung des Völkerrechts für einen Friedensprozess unerlässlich. Am 9. Juni 2005 hat das Oberste Gericht Israels die Bedeutung des Völkerrechts in einer Entscheidung hervorgehoben, in der es den Weg für den Abzug der Besatzungstruppen aus dem Gaza-Streifen und aus vier Siedlungen in der Westbank freigemacht hat. Die Entscheidung war eindeutig: elf von zwölf Richtern gaben dem Abzug ihren Segen. In der Begründung stehen bemerkenswerte Sätze wie: "Judäa und Samaria (Westjordanland, L.W.) und der Gaza-Streifen sind Gebiete, die durch Krieg erobert wurden und nicht Teil Israels sind." Sie befänden sich unter "kriegerischer Besatzung" und unterliegen nicht israelischer Jurisdiktion. Implizit bestätigen die Obersten Richter damit nicht nur die Anwendbarkeit und Geltung des Völkerrechts, sondern auch die bestehende Waffenstillstandslinie von 1949 als offizielle Grenze Israels.

In der Präambel der UN-Sicherheitsratsresolution 242 steht, "dass es nicht angeht, Territorium durch Krieg zu erobern". Dies schließt ein, dass die israelische Besetzung palästinensischen Landes beendet, das Selbstbestimmungsrecht der Palästinenser anerkannt, ein souveräner Palästinenserstaat mit der Hauptstadt Ost-Jerusalem geschaffen, die Rückkehr der Flüchtlinge gemäß den UN-Resolutionen gestattet sowie die Auflösung der Siedlungen in den besetzten Gebieten beschlossen wird. Letztere stellen das Haupthindernis für einen gerechten Frieden dar.

Auf der Grundlage der gescheiterten Oslo-Verträge, der Roadmap oder der so genannten Genfer Initiative kann kein dauerhafter Frieden erreicht werden, da sie dem Prinzip der Gleichheit der Partner widersprechen. In diesen Dokumenten gibt es keine Anerkennung der Ursachen des Konfliktes, kein Wort zur Flucht- und Vertreibungsproblematik von 1948 und 1967 sowie nichts über die verheerenden Auswirkungen der langen Besatzungsherrschaft.

Einem dauerhaften Frieden steht weiterhin entgegen, dass die USA und die EU glauben, diese Abkommen und Konzepte seien gerecht und bedürften deshalb keiner Verbesserung. Insbesondere die einseitige Fixierung der USA auf israelische Sicherheitsinteressen trägt langfristig eher zu fortdauernder Ungerechtigkeit in der Region bei. Solange die US-Präsidenten in jeder palästinensischen Verhandlungsposition eine potenzielle Bedrohung Israels sehen, können sie nicht "ehrlicher Makler" sein. Dies dokumentiert schon die Sprachregelung der verschiedenen US-Regierungen. Noch am 21. April 1978 hat das State Department in einem Rechtsgutachten für den Kongress eindeutig die Siedlungen als "völkerrechtswidrig" bezeichnet. Für die Clinton-Regierung waren die besetzten Gebiete nur noch "umstrittene Gebiete", und Verteidigungsminister Donald Rumsfeld sprach im September 2002 von "so genannten besetzten Gebieten".

Nur ein Neuanfang kann wieder Bewegung in die total verfahrene Situation bringen. Insbesondere die vier Jahre der Al-Aqsa-Intifada haben das politische Vertrauen zwischen Israelis und Palästinensern zerstört. Dieser Neubeginn sollte im Rahmen einer internationalen Friedenskonferenz unter Beteiligung der Vereinten Nationen, der Europäischen Union, Russlands und der USA gemacht werden. Unter Teilnahme aller Konfliktparteien - Israels, Syriens, des Libanons und der Palästinenser - könnte es gelingen, der Region einen stabilen Frieden zu sichern.

Wenn ein Akteur berufen ist, am Verhandlungstisch zu sitzen, dann sind es die Vereinten Nationen. Israel ist der einzige Staat, der durch eine UN-Resolution geschaffen worden ist. Auch die palästinensischen Flüchtlinge werden von Beginn ihrer Vertreibung und Flucht von der UN-Organisation UNRWA betreut. Der Konflikt ist umrahmt von einem völkerrechtlichen Regelwerk. Er muss durch die Umsetzung von Völkerrecht und nicht durch politische Oktrois gelöst werden.

Die Teilungsresolution 181 der UN-Generalversammlung vom 29. November 1947 definiert Jerusalem als "corpus separatum" und stellt die Stadt unter internationale Verwaltung; die UN-Resolutionen zu Jerusalem sind Legion. Die Resolution 194 (III) der Generalversammlung vom 11. Dezember 1948 regelt die Rückkehr und die Entschädigung der palästinensischen Flüchtlinge. Die Resolution 242 des Sicherheitsrates besagt, dass sich Israel aus allen besetzten Gebieten zurückzuziehen habe, und dass Landerwerb aufgrund von militärischer Besetzung illegal sei. Der Transfer der eigenen Bevölkerung in besetztes Gebiet widerspricht der vierten Genfer Konvention, ebenso die Annexion von Gebieten wie den Golanhöhen und Ost-Jerusalem. Hier wird deutlich, welch eminent wichtige Rolle das Völkerrecht und die UNO in diesem Konflikt haben, aber bis heute wurde die Weltorganisation bei der Lösung außen vor gelassen.


Dr. Ludwig Watzal arbeitet als Redakteur in Bonn.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2006.