Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 32 - 33 / 08.08.2005
Ferhad Ibrahim

Ein verlässlicher Verbündeter des Westens

Jordanien im regionalen und internationalen Spannungsfeld

Es ist unklar, ob es die Außenpolitik war, die den kranken König Hussein zwei Wochen vor seinem Tod veranlasste, die Thronfolge auf seinen Sohn Abdullah zu übertragen und den erfahrenen Bruder Prinz Hassan zu entmachten. Fest steht, dass Abdallah II., sieben Jahre nachdem er die Verantwortung übernommen hat, die Linie des Vaters in einem wesentlichen Aspekt unbeirrt weiter verfolgt: Die Außenpolitik bleibt die wichtigste Stütze der Haschemiten-Monarchie.

Dem jungen König ist es mit der Aufrechterhaltung der innenpolitischen Strukturen gelungen, sein Land als reformfreudig zu präsentieren. US-Präsident Bush führt, nachdem er seine Doktrin der Demokratisierung des Nahen Ostens verkündet hat, Jordanien als Beispiel für einen nahöstlichen Staat an, der konsequent Liberalisierung und Modernisierung implementiert. Jordanien ist im Vergleich etwa zu Ägypten nicht nur reformfreudig, sondern auch ein verlässlicher Verbündeter des Westens. Reformfreudigkeit und "Bündnistreue" haben jedoch Grenzen. Sie dürfen die Stabilität des Systems nicht gefährden und das Land nicht in die Isolation treiben. Diese politische Formel erklärt, warum Jordanien keine spektakulären Veränderungen wagt.

Kein Vorgänger Abdallahs II. in der über 80-jährigen Geschichte der jordanischen Haschemiten-Herrschaft hat so viele Konzepte präsentiert. Auf der politischen Ebene versucht der König mit der Parole "Jordan first" die nationale Identität zu festigen. Es geht nicht nur darum, dass die Palästinenser, die über die Hälfte der Bevölkerung ausmachen, sich mit dem Land identifizieren, sondern auch die übrigen Bürger. Die panarabische Identität hat das politische System Jordaniens immer wieder in Turbulenzen gestürzt. Die Machthaber mussten nicht selten Entscheidungen treffen, die nicht unbedingt im Interesse des kleinen und ökonomisch schwachen Landes waren. Dies wurde zumal in der Kuwait-Krise 1990/91 deutlich. König Hussein war, anders als Hafis al-Assad in Syrien, in seinen Entscheidungen nicht frei. Er musste die Öffentlichkeit berücksichtigen. Abdallah hingegen gelang es, den Mobilisierungsversuchen Saddam Husseins entgegenzuwirken. Jordanien äußerte sich zwar kritisch zum Irak-Krieg, unterstützte Saddam aber nicht. Weder während der kriegerischen Handlungen 2003 noch später bestanden Zweifel daran, dass es zumindest logistisch mit der Anti-Saddam-Koalition zusammenarbeitete.

Dennoch gehen die Reformen nur in einem zähen Tempo voran. Es ist dem König nicht gelungen, die Wahlbezirke so zu gestalten, dass die Bürger die gleichen Chancen erhalten. Wahlbezirke von 200.000 Wählern oder von 20.000 dürfen die gleiche Anzahl von Abgeordneten ins Parlament schicken. Die Palästinenser sind bei diesem System eindeutig im Nachteil. Es muss aber eingeräumt werden, dass die politische Kultur und der Klientelismus in Jordanien sich als ein Hindernis für die Demokratisierung erweisen. So weigerte sich eine oppositionelle Gruppe seit Ernennung Adnan Badrans zum neuen Ministerpräsidenten, das Programm der Regierung zu bewilligen. Nach Meinung dieser Gruppe, die, um sie von der islamistischen und linken Opposition zu unterscheiden, "New Opposition" genannt wird, wurden bei Ernennung der Minister die Interessen des Südens nicht genügend berücksichtigt. Der Finanzminister Bassim Awadallah, Hauptziel der Kritik, musste vor der Abstimmung zurücktreten und Abdallah angesichts des Drucks der "New Opposition" - traditionell eine Stütze der Mo-narchie - Badran veranlassen, seine Regierung umzubilden.

Der König hat die Regierung al-Fayizs im Mai entlassen, weil sie die Reformen nicht zügig genug realisieren konnte. Eine dynamische Gruppe von Technokraten ist seiner Meinung nach eher in der Lage, die politischen und verwaltungstechnischen Reformen durchzuführen. Um deren Notwendigkeit zu unterstreichen, wurden ein Ministerium für politische Entwicklung und ein Rat für eine Orientierung der nationalen Agenda berufen. Der König geriet jedoch mit den loyalen Parteien der Mitte, die die Stämme repräsentieren, in einen Konflikt, denn diese eigentlich loyalen Parteien haben kein Interesse an einer raschen Umbildung des Staates. Ihre eigenen Interessen könnten dadurch tangiert werden. Der Begriff "Digital Ministers", der in traditionellen Kreisen die Runde macht, zeigte eine deutliche Dichotomie der Gesellschaft. Die Cyber-Gesellschaft prallt mit der Stammeskultur zusammen. Die Lösung des Dilemmas wird über die Zukunft des Landes entscheiden.

Auch die moderne Gesellschaft scheint nicht bereit zu sein, den Reformkurs zu unterstützten. Das beste Beispiel ist das Verhältnis zwischen den Berufsverbänden und dem Staat. Der König hofft, dass die Zivilgesellschaft eine aktive Rolle im vorsichtigen Regimewandel übernimmt. Aber die Mehrheit der Berufsverbände wird von islamistischen und panarabischen Parteien beeinflusst. Sie zeigen bisher bei allen Debatten eine radikale, antiwestliche Position. Fast alle Verbände solidarisierten sich bis heute mit Saddam Hussein. Ihre Haltung gegenüber Israel ist eine verdeckte Kritik am jordanisch-israelischen Friedensvertrag. Die He-rausforderung durch die Verbände führte im Frühjahr zu einer gefährlichen Konfrontation: Der damalige Innenminister Samir Habashneh strebte ein Gesetz an, das die Berufsverbände stärker unter Kontrolle des Staates bringen sollte. Ägypten hatte Ende der 90er-Jahre das Beispiel ihrer staatlichen Kontrolle vorgeführt, doch die jordanische Regierung scheiterte mit dem Vorhaben und so wurde das Thema vertagt.

Auch die notwendigen Verwaltungsreformen, vor allem das Föderalisierungsvorhaben des Königs, das die Gründung von drei großen Verwaltungseinheiten vorsieht, finden keinen großen Anklang. Nach seinen Vorstellungen würden diese Einheiten weitgehende wirtschaftspolitische und regionale Kompetenzen haben. Jordaniens Reformpolitik steht demnach auf tönernen Füßen, weil sie von den traditionellen Kräften und den Panarabisten abgelehnt wird.

Die außenpolitische Orientierung war seit der Gründung des Staates prowestlich. Die geopolitischen Bedingungen und der Umstand, dass Jordanien auf finanzielle Hilfe des Westens angewiesen war, sorgten für Kontinuität in dieser Hinsicht. Unter Abdullah rückte Jordanien noch näher an die USA heran, versucht aber ebenfalls erfolgreich, die Beziehungen zu den EU-Staaten zu vertiefen. Die Führung versucht gleichzeitig zu vermeiden, dass die engen bilateralen Beziehungen zu Washington in der Region als strategisches Bündnis erscheinen. Tatsächlich haben sie die Qualität einer "special relationship" erhalten. Die USA belohnten dies mit einem Freihandelsabkommen, das den US-Markt für jordanische Produkte öffnete. Es ist angesichts der schwachen Wirtschaft offensichtlich, dass Jordanien dieses Privileg nicht voll in Anspruch nehmen kann. Das Exportvolumen in die USA lag in den letzen drei Jahren unter 100 Millionen US-Dollar. Der Vertrag hat dennoch starke symbolische Bedeutung. Die USA unterstützen Jordanien seit dem Irak-Krieg mit circa 700 Millionen US-Dollar jährlich. Im Gegensatz zu anderen regionalen Verbündeten der USA zeigte es keine kritische Haltung zum Irak-Krieg. Im Afghanistan-Krieg beteiligte es sich gar mit einer medizinischen Einheit der Armee. Jordanien ist zudem der einzige arabische Staat, der die neue irakische Polizei und Armee mit ausbildet. Oder Jordaniens Haltung zu Iran: Im Dezember 2004 warnte der König vor einem schiitischen Halbmond, der sich vom Iran bis in den Libanon erstrecken könnte. Er plädierte im Frühjahr gar für eine harte Politik gegenüber dem Iran. Darüber hinaus machte er die EU für die unnachgiebige Haltung Irans bei der Kontrolle der Nuklearanlagen verantwortlich. Die Äußerungen Abdallahs zogen die Aufmerksamkeit der arabischen Welt auf sich, nicht aber ein entsprechendes Echo in Washington.

Im Libanon-Konflikt zeigte der König eine Haltung, die mit den USA und Frankreich übereinstimmte. Abdallah forderte Syrien auf, die Resolution 1514 des UN-Sicherheitsrates umzusetzen. In der Vergangenheit hätte diese Haltung zu einer ernsthaften Krise zwischen den Nachbarn geführt. Jordanien, das seit 1995 auch am so genannten Barcelona-Prozess mitwirkt, ist zudem Teil der Euro-Med-Partnerschaft und wichtiger regionaler Partner der EU. Aus dem Grund erhält es wirtschaftliche Unterstützung von den EU-Staaten.

Die Beziehungen zu den Golfstaaten, die während der Kuwait-Krise 1990/91 ihren Tiefpunkt erreichten, haben sich mit Abdallah völlig normalisiert. Die Beziehungen zu Saudi-Arabien sind wieder so eng, dass die Saudis verbilligtes Erdöl liefern. Die zu Ägypten und den nordafrikanischen Staaten sind problemlos, wenn der Nahost-Konflikt, der Jordanien wegen seiner Bevölkerungsstruktur in erheblichem Maße tangiert, auch weiter der Zankapfel gerade in den arabisch-arabischen Beziehungen bleibt. Jordanien unterstützt offen die Roadmap. Aus diesem Grund wollte es Anfang dieses Jahres den Vorschlag des damaligen saudischen Kronprinzen Abdallah aus dem Jahre 2002 als Instrument zur Reaktivierung der Roadmap einsetzen. König Abdallahs II. Modifizierung des saudischen Vorschlages beinhaltete, dass die Normalisierung mit Israel Hand in Hand mit Israels Abzug aus den besetzten Gebieten gehen solle. Die arabischen Staaten lehnten diese Vorschuss-Strategie auf dem Algier-Gipfeltreffen im März dieses Jahres ab.

Jordaniens Außenpolitik ruht auf drei Säulen: den engen Beziehungen zu den USA, dem Ausbau derer zu den europäischen Staaten und dem Versuch, einen Konsens mit den Arabern in der Israel-/Palästinafrage zu erreichen. Dies und die inneren Reformversuche des Königs stoßen auf zwei Hindernisse: zum einen die konservative Struktur der jordanischen Gesellschaft und ihre politische Kultur, zum anderen den mangelhaft ausgebildeten politischen Institutionen im Land. Der Staat wahrte in der Vergangenheit die Interessen der traditionellen Gruppen, die ihm gegenüber loyal waren. Abdallah möchte eine andere Politik praktizieren, stößt jedoch auf Widerstand der traditionellen Gesellschaft. Er gründete daher eine Fülle von Kommissionen und beratenden Gremien. Diese Aktivitäten sowie die für Jordanien typischen kurzlebigen Regierungen vermitteln gar den Eindruck von Improvisation und Chaos. Die Stabilität Jordaniens indes hängt vom Erfolg der Reformen ab - und die Außenpolitik soll diese stützen. Der junge König mit seiner Frau, einer Palästinenserin, möchte eine Vorreiterrolle in der arabischen Welt spielen.


Professor Ferhad Ibrahim ist Politikwissenschaftler an der Freien Universität Berlin.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2006.