Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 32 - 33 / 08.08.2005
Peter L. Münch-Heubner

Die kleinen Könige Irans

Religiöse Stiftungen halten die Fäden in der Hand

Die Iraner nennen sie "kleine Könige". In ihren Händen laufen die Fäden der wirtschaftlichen und auch der politischen Macht in der Islamischen Republik zusammen. Ihre Königreiche sind die "revolutionären Stiftungen", die "Bonyads", denen sie vorstehen und deren Namen im Iran jedes Kind schon kennt. Denn diese Stiftungen sind nicht nur religiöse Einrichtungen, sondern auch die größten Unternehmer im Land der Mullahs. Und sie sind ein eigenständiges Sozialsystem. Ein Sozialsystem, auf das heute wieder viele jener unter der Armutsgrenze lebenden Iraner setzen, die dem neuen Präsidenten Mahmud Ahmadi-Nedschad bei den letzten Wahlen ihre Stimmen gegeben haben. Denn ihnen, den "Armen und Barfüßigen", hat er soziale Gerechtigkeit, eine neue islamische Sozialpolitik versprochen. So neu ist das alles indes nicht. Schon einmal, im Jahr der Islamischen Revolution, hatte Revolutionsführer Chomeini seinen Landsleuten eben eine solche islamische Sozialpolitik angekündigt. In deren Zentrum sollten die Stiftungen stehen. Doch die machten in den letzten Jahren weniger als Sozialstaat denn vielmehr als ökonomische Machtkonzentration und durch viele Korruptionsskandale von sich reden.

Zum Imperium einzelner "Bonyads" gehören heute Großunternehmen in der Industrie, Handelsgesellschaften, Finanzinstitute, Wohnbau- und Fluggesellschaften sowie schier unüberschaubarer Grundbesitz. Schätzungen gehen davon aus, dass diese Institutionen fast 60 Prozent der iranischen Wirtschaft kontrollieren. Eine der bekanntesten dieser religiösen Einrichtungen, die "bonyad-e mostazafan", die "Stiftung der Entrechteten", besitzt Firmenguthaben in Höhe von 12 Milliarden US-Dollar und setzt im Jahr mehr Geld um als der Staat an Steuern einnimmt.

Als, wie es in den Überlieferungen aus dem Leben des Propheten Muhammad heißt, "Gabe für die Armen" haben islamische Stiftungen als soziale Einrichtungen im Orient immer schon eine bedeutende Rolle gespielt. Die Imam-Reza-Stiftung im Iran kann so auf eine fast tausendjährige Geschichte zurückblicken, in der wohlhabende Gläubige ihr Vermögen dieser Einrichtung zu wohltätigen Zwecken vermacht haben. Über die Jahrhunderte hinweg hatten sich so erhebliche Vermögenswerte angesammelt, die zu Zeiten des Schah allerdings totes Kapital geblieben waren.

Nach 1979 sollte sich das alles ändern, sollten wieder die "mostazafan", die "Entrechteten", die Armen zu Nutznießern der sozialen Funktion dieser nunmehr "revolutionär" umgestalteten Institution werden. Zusätzlich ausgestattet mit dem Vermögen der enteigneten Günstlinge des Schah - und auch dem seiner Familie - sollten sie nun als religiöse Wohlfahrtsverbände Kernstück eines islamischen Wohlfahrtssystems, eines "Gegenmodells" zum westlichen Sozialstaat werden.

Im Zeichen von "Islamisierung und Entwestlichung der Wirtschaft" bezieht schon die Verfassung der Islamischen Republik gleich in ihrer Präambel Position gegen die Profitorientierung westlicher Wirtschaftssysteme. Ziel jeglichen "islamischen" ökonomischen Handelns müsse hingegen, wie Kapitel 1 Artikel 3 der Verfassung fordert, die Errichtung einer gottgewollten "gerechten" Wirtschaftsordnung sein, in der Wohlstand nicht das Privileg einzelner ist und das erwirtschaftete Kapital auch zur Bekämpfung der Armut eingesetzt werden soll. Auf diesem verfassungsmäßigen Boden agieren die Stiftungen heute sehr wohl, doch Theorie und Wirklichkeit klafften von Anfang an weit auseinander.

Soziale Dienste werden vor allen Dingen von der "bonyad-e shahied", der "Stiftung der Märtyrer" und dem Flaggschiff der islamischen Wohlfahrtspolitik, der "bonyad-e mostazafan" geleistet. Offizielle Aufgabe beider Organisationen ist die soziale Fürsorge für all diejenigen, die im Iran als "arm" eingestuft sind. Darin enthalten sind etwa die Übernahme medizinischer Behandlungskosten, die Gewährung von Einkommens-unterstützung, die Betreuung von Behinderten, die Bereitstellung von Vorschulplätzen in eigenen Einrichtungen sowie Beihilfen zu Erziehung und Ausbildung. Vor der sozialen Realität im Iran aber hat die islamische Wohlfahrtspolitik längst kapitulieren müssen. Denn 40 Prozent aller Iraner leben unter der Armutsgrenze. Sie zu versorgen war und ist eine Herkulesaufgabe, die die "bonyads" eigentlich wirklich nie allein bewältigen konnten. So erreichen deren Hilfsleistungen heute nur jeden fünften Bedürftigen. Doch es könnten durchaus mehr sein, denn die Gesamtausgaben aller Stiftungen für Soziales stehen in eher kläglichem Verhältnis zu den allgemein geschätzten Einnahmen im Unternehmensbereich. Für viele Kritiker beweisen solche Zahlen, dass Klientelwirtschaft die Arbeit der Sozialdienste der "bonyads" beherrscht.

Rücksichtsloses Profitstreben statt islamisch solidarischem Handeln, Filz an allen Orten, beginnend bei der Besetzung führender Positionen und endend bei der Verteilung der Hilfsmittel, so präsentieren sich die Stiftungen heute. Längst sind die Skandale, die mit Vetternwirtschaft und Korruption verbunden sind, nicht mehr so leicht unter die Decke einer Zensur zu kehren wie früher. Präsident Ahmadinedschad hat nun der Korruption den Kampf angesagt und eine Rückkehr zu den "Werten der Islamischen Revolution" gefordert. Doch wenn der Konservative Nepotismus und "Bereicherung" anprangert, meint er den Staat, nicht die Stiftungen. In der das politische System des Irans kennzeichnenden Zweigleisigkeit von staatlicher Gewalt und religiöser Führung - erstere repräsentiert durch den Staatspräsidenten, letztere durch "Revolutionsführer" Ali Chamenei - sind die "Bonyads" nur der geistlichen Herrschaft gegen über verantwortlich. So hat die staatliche Justiz in der Vergangenheit schon oft versucht, Vergehen der Stiftungsleiter zu ahnden. Gegen den Leiter der "bonyad-e mostazafan" wurde schon mehrere Male vor Gericht Anklage wegen Veruntreuung von Stiftungsgeldern erhoben. Auf Druck der religiösen Führung unter Ajatollah Chamenei wurde aber bislang noch jeder Prozess abgebrochen. Ahmadinedschad galt schon im Wahlkampf als Gefolgsmann Chame-neis. Dass er nun als Präsident solche Verfahren gutheißen könnte, gilt als eher unwahrscheinlich. Zudem haben die "Bonyads" in Wahlkämpfen schon immer konservative Kandidaten unterstützt, auch finanziell. So werden staatliche Initiativen gefragt sein, wie etwa das soziale Wohnbauprogramm des vormaligen Bürgermeisters von Teheran.

An einer Deregulierung der Staatswirtschaft ist der neue Präsident anders als der von ihm bei den Wahlen geschlagene Rafsandschani kaum interessiert. Rafsandschani, der während seiner Amtszeit als Staatspräsident eine Politik der Wirtschaftsliberalisierung einleiten wollte, bekam schon damals die Macht der "kleinen Könige" zu spüren: Als er zu Beginn der 90er-Jahre viele der nach der Revolution verstaatlichten Großbetriebe wieder privatisieren wollte und Staatsanteile an der Börse von Teheran zum Verkauf anbieten ließ, wurden diese fast gänzlich von Maklern im Dienste der Stiftungen aufgekauft. Die "Bonyads" haben kein Interesse an mehr Markt und Öffnung - das könnte ihre Machtposition gefährden. Doch ging es bei den letzten Präsidentschaftswahlen im Iran nicht nur um die Pfründe der "kleinen Könige".

Die Reformpolitik des in Europa so sehr bewunderten Chatami, der bei seinen Liberalisierungen keine glückliche Hand bewiesen hat, hat viele Verlierer zurückgelassen. "Importe aus dem Westen" sind eben nicht nur eine "Bedrohung" vom religiösen Standpunkt aus gesehen. Sie haben auch die einheimischen Produzenten unter Druck gesetzt und die Arbeitslosigkeit weiter ansteigen lassen. Bei all diesen Verlierern der Öffnungspolitik Chatamis hat Ahmadinedschad heute neue Hoffnungen geweckt.

Doch wenn der neue Präsident den in der Verfassung festgeschriebenen sozialen Staatszielsetzungen gerecht werden will, wenn er seine "islamische Sozialpolitik" Realität werden lassen will, dann muss er das tun, was in einer Studie der Internationalen Imam-Chomeini-Universität unlängst gefordert wurde, nämlich die Stiftungen der Kontrolle eines neu zu schaffenden, einheitlichen Sozialministeriums unterstellen. Doch dass dies geschehen könnte, bezweifeln viele.


Dr. Peter L. Münch-Heubner ist Orientalist und Lehrbeauftragter an der Universität der Bundeswehr München/Neubiberg.


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