Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 42 / 17.10.2005
Jörg Jacob

Die letzten Mohikaner in der Staatswirtschaft der DDR

Als die SED Privatunternehmer nicht mehr dulden wollte

Verwaschene Firmenschilder an alten Fabrikgebäuden erregten Anfang der 90er-Jahre die Aufmerksamkeit der französischen Historikerin Agnès Arp auf Reisen durch die neuen Bundesländer. Was, so fragte sie sich, war eigentlich mit dem alteingesessenen industriellen Mittelstand in Berlin, Sachsen oder Thüringen unter den Bedingungen des real existierenden Sozialismus geschehen? Wusste sie doch, dass gerade Sachsen ein Hort der frühen Industrialisierung in Deutschland gewesen war und dass sich beispielsweise Thüringen durch einen soliden und branchenmäßig sehr breiten Mittelstand ausgezeichnet hatte.

Mit der Geschichte privater Industriebetriebe in der DDR widmet sie sich einem bisher eher vernachlässigten Aspekt deutscher Wirtschaftsgeschichte, denn in zahlreichen Publikationen zur DDR-Geschichte hat bisher kaum Beachtung gefunden, dass sich bis in die 70er-Jahre private Industriebetriebe in der DDR halten konnten und einen nicht unwesentlichen Teil zur industriellen Produktion des Landes beitrugen.

Agnès Arp hat mit zahlreichen ehemaligen und zum Teil seit der Wende wieder aktiven Unternehmern in Sachsen und Thüringen gesprochen. Nach einem his-torischen Überblick erzählen acht ihrer Gesprächspartner ihre Firmen- und Familiengeschichte. Sie führten Unternehmen der Textilindustrie, waren im Maschinenbau, in der Bauwirtschaft, in der Papierbranche oder in der Nahrungsmittelindustrie tätig. Dabei handelte es sich ausschließlich um ererbte Familienunternehmen, zu denen eine starke emotionale Bindung bestand und besteht.

Der Weg dieser Mittelständler führte durch verschiedene Phasen extremer Belastungen und relativer Entspannung am Ende zum völligen Verlust ihrer Betriebe, die auch nach der Wende nur teilweise, oft in langwierigen und nicht immer erfolgreichen Verhandlungen mit der Treuhand zurückgeführt werden konnten.

Repressalien des Staates

Zwar war es nach Kriegsende vielen alteingesessenen Betrieben gelungen, sich trotz großer Startschwierigkeiten wieder zu etablieren - 1952 verzeichnet die Statistik mehr als 19.000 private Industriebetriebe mit mehr als 500.000 Beschäftigten. Doch ab 1952 begannen staatliche Repressalien, bis 1953 wurden bereits mehr als 2.000 Betriebe geschlossen. Nach dem 17. Juni 1953 setzte aber eine Kehrtwende bei der Behandlung privater Industriebetriebe ein: Restriktive Maßnahmen wurden durch eine gemäßigte Politik ersetzt. Über die Bereitstellung notwendiger Kredite beteiligte sich nun der Staat an den Betrieben, Ende der 50er-Jahre waren nahezu alle ehemaligen Privatunternehmen in Betriebe mit staatlicher Beteiligung umgewandelt.

Dies schien für beide Seiten ein annehmbarer Kompromiss zu sein, sicherten die staatlichen Beihilfen dem Unternehmer doch eine gute ökonomische Entwicklung bei weitgehender Selbstbestimmung. Der Staat gewann weiter an Einfluss und profitierte zudem von der überdurchschnittlichen Produktivität dieser Betriebe. Doch 1972 wurde unter Honecker eine neue Linie durchgesetzt, die sehr schnell zur völligen Verstaatlichung führte. Durften die ehemaligen Besitzer zuerst noch als Direktoren in ihren Betrieben verbleiben, wurden sie später durch Parteikader schließlich auch aus diesen Positionen verdrängt. So stand dann auch die bezeichnung GmbH endgültig für "Geklaut mit besonderer Höflichkeit".

Die großen Linien der DDR-Politik gegenüber privat geführten Betrieben werden in Arps Buch deutlich, vor allem aber Auswirkungen dieser Politik auf die betroffenen Familien. Diesen Familiengeschichten, die durch die gleichen wesentlichen Stationen gekennzeichnet sind, sich jedoch durch unterschiedliche persönliche Erfahrungen und Bewältigungsstrategien mitteilen, gilt das besondere Interesse der Autorin.

Im Zentrum der Interviews stehen private Schicksale, die von Reglementierung, Einschränkung der Handlungsfreiheit, kränkender Herabsetzung bis zur Enteignung gezeichnet sind. Den Unternehmern war dieses Ziel des Staates von Anfang an wohl bewusst. Dennoch hofften sie entgegen aller erwartbaren Entwicklungen jahrzehntelang noch auf einen positiven Ausgang, zumindest aber auf Anerkennung ihres persönlichen Engagements und Respektierung ihrer Bindungen an das väterliche Lebenswerk.

Nicht Gewinnmaximierung stand bei diesen Unternehmerpersönlichkeiten über Jahrzehnte im Vordergrund, sondern Erhalt der ererbten Betriebe und Sorge um die Aufrechterhaltung der Produktion. Hier ist ein bewundernswerter Unternehmergeist zu besichtigen, der gerade in äußert problematischen Situationen zu Hochform aufläuft.


Agnès Arp

Vaters ehemaliger Betrieb. Privatunternehmer in der DDR.

Militzke Verlag, Leipzig 2005; 240 S., 19,80 Euro


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
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