Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 42 / 17.10.2005
Peter W. Schroeder

Marines müssen nicht müssen

Wie das Pentagon amerikanische Filme manipuliert
Die Studiobosse in Hollywood, Produzenten und Star-Regisseure nennen es "das kleine schmutzige Geheimnis der Filmindustrie". Dabei ist es ein riesengroßes: Die US-Militärs und der Geheimdienst CIA zensieren en gros amerikanische Spielfilme und Dokumentationen. Sie verfälschen historische Wahrheiten und reduzieren Unterhaltung für das nichts ahnende Publikum zur glänzend gemachten Regierungspropaganda. Alles für einen guten Zweck, versteht sich: "Die Filme sollen Werbung für die Rekrutierung neuer Soldaten sein", heißt es in einem Pentagon-Memorandum unumwunden.

Die so oft als links, liberal und unpatriotisch gescholtene Hollywood-Gemeinde lässt sich von Militärs und Geheimdienstlern bereitwillig ins Handwerk pfuschen, und das geht dann so: Regisseur X will einen Film drehen, bei dem er Militär-Komparsen, Flugzeugträger, U-Boote, Kampfjets, Hubschrauber, Panzer und Kanonen braucht. Das kostet natürlich viel Geld und die Militärs machen gern den Retter in der Not: Sie geben den Filme-Machern alles, was sie brauchen. Völlig kostenlos, aber unter einer kleinen Bedingung: Militär und Staat müssen in positivem Licht erscheinen und Horden von jungen Leuten in die Anwerbebüros treiben. Das militärische Personalproblem ist gegenwärtig ja auch so drängend wie seit dem Vietnam-Krieg nicht mehr - durch die aus dem fernen Irak kommenden unzensierten Fernsehbilder vom amerikanischen Soldaten-Sterben hat die Attraktivität des Soldaten-Berufs mächtig gelitten.

Schon 1948 hatte das Pentagon in Hollywood ein seit Jahren von Philip Strub geleitetes "Verbindungsbüro zur Filmindustrie" eingerichtet. Das erhält jedes Jahr mehr als 100 Spielfilm-Drehbücher von Studios mit der Bitte um militärischen Beistand. "Wenn wir mit dem Inhalt der Filme einverstanden sind", sagt ein Strub-Helfer, "kriegen sie von uns alles, was auf ihrem Wunschzettel steht. Und wenn nicht, müssen sie ohne uns zurechtkommen." Hollywood-Insider David Robb, ein Redakteur des Filmblattes "Daily Variety", der über "die schmutzigen Militärfinger in unseren Filmen" das Buch "Operation Hollywood" schrieb, kann darüber nur lachen: "Wenn das alles wäre, brauchten wir uns keine großen Sorgen zu machen." Tatsächlich setzten die Militärs die Studios unter Druck: "Die machen ihnen klar: Als Gegenleistung für unsere Hilfe habt ihr zu filmen, was wir wollen."

Dazu müssen die Studios die jeweiligen Drehbücher in fünffacher Ausfertigung beim Hollywood-Aufpasser des Verteidigungsministeriums abliefern. Je ein Exemplar geht an die Führungen von Luftwaffe, Heer, Marine, die Küstenwache und die Eliteeinheit der "Marines". Deren Experten machen dann "Vorschläge" für Änderungen am Film-Skript. Gestrichen werden alle Szenen mit fluchenden, rassistischen, mangelnden Mut zeigenden oder gar "verlierenden" US-Soldaten. Ein militärisches "Nein, danke" lösen auch Szenen mit Drogenmissbrauch von Soldaten aus. Als Image-schädlich werden zudem zwischenmenschliche Beziehungen bei Bordellbesuchen eliminiert. "US-Soldaten im Film müssen edel, hilfreich und gut sein", weiß Autor Robb.

Deshalb betätigen sich die Militärs als Drehbuch-Umschreiber. Sie machen aus uniformierten Bösewichtern selbstlose Ritter, dichten historisch belegte militärische Niederlagen in grandiose Siege um, erfinden Großtaten und verlegen Orte von Handlungen in andere Zeiten und Weltgegenden. Wohl wissend, dass sie bei Nichterfüllung der militärischen "Anregungen" keine Hilfe bekommen, knicken die Filmbosse in der Regel sehr schnell ein. Manche nicht ganz so schnell und gründlich wie Regisseur Cy Roth, der 1953 einen Rassismus beleuchtenden Film über einen jüdischen und einen schwarzen Piloten auf einem US-Flugzeugträger während des Zweiten Weltkrieges drehen wollte. "Intoleranz hat es beim US-Militär nie gegeben", bekam Roth von den Filmoffizieren zu hören und sie empfahlen ihm dringend, einen in den 50er-Jahren spielenden "modernen" Film mit den neuesten Düsenjägern der US-Luftwaffe zu drehen, für die dringend Pilotennachwuchs gesucht wurde.

Das ihm von den Militärs geschickte "revidierte Drehbuch" lehnte der Regisseur entrüstet ab und beschwerte sich beim General gewesenen Präsidenten Dwight Eisenhower. Am Tag darauf bekam Roth Besuch von FBI-Agenten, die herausfinden wollten, ob er vielleicht Kommunist oder irgendwie sonst die nationale Sicherheit gefährdend sei. Keine 24 Stunden später begann der Regisseur mit dem Drehen von "Air Strike": Aus dem Juden und dem Afroamerikaner waren wunschgemäß blonde Recken geworden, die ihren Spaß mit Düsenjägern hatten und die ihr ideales Heimatland nicht vor Stukas und Nazis schützten, sondern vor der "roten Gefahr".

Im Drehbuch für den James-Bond-Film "Golden Eye" missfiel den Militärzensoren, dass ein US-Admiral als Verräter von Geheimnissen dargestellt werden sollte. Auf Wunsch des Pentagon wurde aus dem Amerikaner flugs ein Franzose. In "Top Gun" sollte Luftwaffen-As Tom Cruise ein Liebesverhältnis mit einer von Kelly McGillis dargestellten Unteroffizierin haben, was natürlich gegen den militärischen Ehrenkodex verstieß. Nach der amtlichen Aufforderung, "die Sauerei fliegt raus" machte der Regisseur aus der Dame schnell eine Zivilangestellte.

Beim Film "Tuskegee Airman", der Geschichte eines Regiments der ersten schwarzen US-Piloten im Zweiten Weltkrieg, verlangten die Militärs die Ehrenrettung des damals kommandierenden Generals Stevenson. Wie historisch belegt, sollte er im Film als unverbesserlicher Rassist dargestellt werden, der nur mit Mühe von einem einsichtigeren Senator aus Washington "auf Vordermann" gebracht werden kann. Auf "Anraten" des Pentagon wurde aus dem Schwarzen hassenden General ein Leuchtfeuer der frühen Bürgerrechtsbewegung und aus dem Senator ein dumpfbackiger Rassist.

Zumindest einmal unterlief den militärischen Imagepflegern ein peinliches Versehen: Beim geplanten Streifen des Filmsenders HBO über die Erbeutung einer "Enigma"-Chiffriermaschine aus einem deutschen U-Boot im Kriegsjahr 1940 durch die Besatzung eines britischen Zerstörer, wollten die US-Filmoffiziere die militärische Großtat amerikanischen Soldaten zugeschrieben haben. Und weil die Produzenten auf die U-Boote und Kriegschiffe des Pentagon nicht verzichten konnten, schrieben sie buchstäblich die Geschichte um. Erst als sich hinterher die halbe Welt darüber lustig machte, fiel den Zensoren auf, dass die Vereinigten Staaten ja erst 1941 in den Krieg eingetreten waren.

Gelegentlich kommt es jedoch vor, dass sich Studios und Regisseure nicht unter Druck setzen lassen und lieber auf Unterstützung verzichten, als sich den Wünschen des Pentagon zu beugen. Im Film "G.I. Jane" mit Demi Moore stießen sich die uniformierten Film-Beeinflusser beispielsweise daran, dass die dargestellten Navy-Soldaten fluchen und zotige Witze reißen. Entfernt haben wollten sie auch die Szene eines mit der Kameradin in einem Schützengraben hockenden Offiziers mit Blasendrang, der wegen des zwangsläufig zuschauenden weiblichen Wesens nicht "kann". "Raus damit", verlangte Marine-Kommandant Gary Shrout, denn: "In Gegenwart einer Dame müssen US-Soldaten nicht müssen." Worauf Produzent und Regisseur dankend auf Militärhilfe verzichteten.

Bei mehr als 70 Prozent aller eingereichten Drehbücher lehnen die Militärs von Anfang an jede Hilfe ab, weil die geplanten Filme entweder "keinen militärischen Werbewert" haben oder das US-Militär angeblich "in einem ungünstigen Licht darstellen". Zu den prominenten Ablehnungsopfern gehört "Forrest Gump" mit Tom Hanks in der Hauptrolle. "Unannehmbar" war für die Zensoren, dass der Held des Films nur über eine "beschränkte Intelligenz" verfügte. Und dass der Film-Forrest dem amerikanischen Präsidenten eine Gesäßnarbe zeigte, stuften sie als "schockierend" ein: "Dass jemand unserem Oberkommandieren den nackten Hintern zeigt, werden wir nicht unterstützen."

Selbst bei Kinder- und Jugendsendungen im Fernsehen rückt das Filmbüro des Pentagon das Militär in ein gutes Licht. Die Produzenten der "Mickey Mouse Club"-Serie wollten auf einem Flugzeugträger drehen, doch die Propaganda-Experten hatten eine andere Idee: Sie verfrachteten eine Kindergruppe auf ein Nuklear-Unterseeboot. "Damit wollen wir dokumentieren, wie harmlos und völlig ungefährlich diese Technik ist", hielten sie schriftlich fest. Die Dreharbeiten für die Fernseh-Serie "Lassie" stoppten sie. In der betreffenden Folge entdeckt der gute Hund ein abgestürztes Militärflugzeug. "Zu traumatisch und unsere Flugzeuge fallen nicht vom Himmel", verfügten die Militärs.

Als eine der Bedingungen für die Militärhilfe müssen die Filmemacher die Anwesenheit "militärischer Berater" bei den Dreharbeiten akzeptieren (und als solche werden sie später auch im Abspann der Filme bezeichnet). Aber in Wahrheit sind sie weniger Berater als Aufpasser. "Wenn sich die Film-Leute nicht an unsere Änderungswünsche halten", erklärte der bei etlichen Filmen als Berater eingesetzte Major David Georgi, "nehme ich denen meine Spielzeuge weg und gehe nach Hause."

Vertraglich müssen sich die Studios auch verpflichten, die fertiggestellten Filme vor dem Kinostart dem Pentagon für ein "Pre-Screening" zur Verfügung zu stellen. Bei diesen Kontrollen äußern die Militärs oft noch Änderungswünsche, die von den Film-Bossen in der Regel auch schnell erfüllt werden. Verhindern können die Militärs die Veröffentlichung eines unliebsamen Films nicht. "Aber wer beim nächsten Film wieder Hilfe von denen haben will", weiß Hollywood-Autor Robb, "der knickt ganz schnell ein."

Einer der wenigen Nicht-Einknicker ist Clint Eastwood. Er weigerte sich, nach dem "Pre-Screening" seines Films "Heartbreak Ridge" eine Szene zu entfernen, in der ein US-Soldat einen verwundeten Gegner erschießt. Denn das seien "Grausamkeiten, zu denen unsere Leute nicht fähig sind". Hinterher wunderte sich der starke Mann in Hollywood nicht, dass sein Film in den Kinos auf den US-Militärbasen im In- und Ausland nicht gezeigt wurde.

Hollywood-Insider geben zu, dass sich das Gewerbe "von den Militärs für Propaganda und Schönfärberei" missbrauchen lässt. Hinzu komme auch noch eine beklagenswerte Selbstzensur: "Viele Drehbücher, bei deren Verwirklichung die Hilfe der Militärs notwendig ist, werden doch schon so geschrieben, dass sie bei den Zensoren keinen Anstoß erregen." Aber beim "schmutzigen Geschäft" mitzumachen, sei eine Notwendigkeit: "Die großzügige Hilfe der Militärs spart den Studios Millionen und ohne Hilfe könnten viele Projekte gar nicht verwirklicht werden."

Gleichzeitig zeichnet sich aber schon das Ende der Pentagon-Einmischung in das Filmgewerbe ab. "Ich weiß nicht, wie lange wir den Job noch machen können", sagt Pentagon-Verbindungsmann Strub. "Die Digitalisierung in der Filmindustrie macht gewaltige Fortschritte. Die Studios simulieren die Flugzeugträger, U-Boote und Kampfjets selbst am Computer und müssen uns immer seltener um kostenlose Leihgaben bitten." Und wenn das Pentagon in Hollywood nicht mehr mitmischen kann, werden sich die Militärs etwas anderes einfallen lassen müssen, wie sie dem amerikanischen Nachwuchs den Soldaten-Job schmackhaft machen können.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2006.