Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 49 - 50 / 05.12.2005

Neuer Politikstil ist handfester und weniger glamourös

Interview mit Christoph Schwennicke, Leiter des Parlamentsbüros der "Süddeutschen Zeitung"

Der Blick auf deutsche Befindlichkeiten verändert sich, wenn man im Ausland lebt. Christoph Schwennicke, der Korrespondent in London war, sagt über den britischen Journalismus: "Da geht's ganz klar ruppiger zu." Im deutschen Parlamentsjournalismus gebe es eine Selbstreinigung des Systems: "Es kann sich keiner leisten, unseriös zu arbeiten und eine Räuberpistole zu erfinden."

Das Parlament: Herr Schwennicke, Sie waren bis März ein Jahr lang Korrespondent in London. Wie unterscheidet sich das britische Verhältnis zwischen Medien und Demokratie vom deutschen?

Christoph Schwennicke: Im Vergleich wirkt vor allem die deutsche Diskussion, dass die politische Bericht-erstattung zu überhitzt sei, erstaunlich. Ich war beruhigt, als ich den angelsächsischen Journalismus erlebt habe. Da geht's ganz klar ruppiger zu. Hier ist die Arbeit der politischen Journalisten sehr viel seriöser. Wenn Herr Schröder sich angegriffen gefühlt hat, hätte er einfach mal Tony Blair anrufen müssen - der hätte ihm einiges erzählt. In britischen Boulevardblättern wie "Daily Mail" oder "Sun" gibt es jeden Tag eine ganze Kommentarseite - das ist journalistischer Trash, übelste Verleumdung, die reins-te Demagogie. Der einzige in Deutschland, der diese Grenze manchmal überschreitet, ist Franz-Josef Wagner, der Kolumnist der Bild-Zeitung. Ansonsten funktioniert der journalistische Kodex meiner Meinung nach.

Das Parlament: Inwiefern?

Christoph Schwennicke: Gerade, was den Parlamentsjournalismus anbelangt, gibt es eine gewisse Selbstreinigung des Systems. Es kann sich keiner leis-ten, unseriös zu arbeiten und eine Räuberpistole zu erfinden. Journalisten wie Politiker haben ein sehr feines Sensorium für das, was geht und was nicht geht. Und Politiker zollen uns durchaus sportive Anerkennung für kritische Berichterstattung.

Das Parlament: Ist die Gratwanderung zwischen Beeinflussung und Unabhängigkeit, gerade bei so genannten Hintergrundgesprächen nicht ungeheuer schwierig?

Christoph Schwennicke: Das finde ich nicht. Ich halte mich diesen Gesprächen nicht fern, ich halte mich an die Spielregeln. Besser ich erfahre etwas und kann nicht darüber berichten, als gar nichts zu erfahren. Dann kann ich die Informationen wenigstens als Ausgangspunkt für meine Recherchen nehmen.

Das Parlament: Hatten Sie das Gefühl, dass sich das Verhältnis zwischen Medien und Demokratie in Ihrer Abwesenheit verändert hat?

Christoph Schwennicke: Nein, aber meine Sichtweise hat sich verändert. Besonders der geistige Zustand des Landes ist mir sehr stark aufgefallen. Wir hatten in London kein deutsches Fernsehen, bewusst nicht. Alles, was wir hatten, waren Videoaufzeichnungen der aktuellen Tatorte - und am Ende der Aufnahme war immer noch ein Schnipsel "Sabine Christiansen". Thema war stets: Deutschland ist kurz vor dem Untergang. Die deutsche Befähigung, sich in eine Düs-ternis zu reden, ist enorm. In Großbritannien ist die soziale Situation nicht besser - aber die machen etwas draus, sehen es als Chance, als Herausforderung.

Das Parlament: Aber seit der Ankündigung von Neuwahlen am 22. Mai hat sich doch sehr viel getan, oder?

Christoph Schwennicke: Eines ist definitiv anders: Das Bedürfnis nach handfester politischer Information ist sehr groß. Das haben auch Abgeordnete von CDU und SPD bestätigt: Früher, haben sie mir erzählt, wenn sie mit Brötchen und Flugblättern vor den Werkstoren standen, hätten die Arbeiter die Brötchen genommen, in diesem Wahlkampf nur die Flugblätter. Es gab eine regelrechte Gier nach Informationen. Und ich glaube, dass das auch anhält.

Das Parlament: Hängt das auch mit einem veränderten Politikstil zusammen?

Christoph Schwennicke: Klar, die Akteure, also die Kanzlerin und die Minister sind ganz andere Cha-raktere als unter Rot-Grün. Der Trend zur Selbstinszenierung und Dramatisierung wird abnehmen. Das vordergründige Bedürfnis, in den Medien zu sein, wird eine kleinere Rolle spielen, stattdessen wird es um andere Dinge gehen, um Haushaltssicherung und die Vereinfachung unseres föderalen Systems zum Beispiel. Der Politikstil wird handfester, sachlicher und weniger glamourös: Es ist ein Arbeitskabinett. Das könnte langweiliger, aber auch effizienter sein - und wird unsere Arbeit als Journalisten schwieriger machen. Aber mein Bedürfnis an Kurzweil ist gedeckt.

Das Parlament: Zum ersten Mal seit den 60er-Jahren gibt es in Deutschland wieder eine Große Koalition, die medienwirksamen Lagerkämpfe der vergangenen Jahre sind vorbei. Ist Politik auch ohne spektakuläre Auseinandersetzungen attraktiv, gerade für Jugendliche?

Christoph Schwennicke: Klar, es herrscht ein vollkommen anderer Ton, die Schreihälse werden weniger. Aber ich weiß nicht, ob Getöse Jugendliche hinter dem Ofen vorgeholt hätte. Nichts ist schlimmer als Anbiederung, etwa mit einem jugendlichen Tonfall.

Das Parlament: Wie lässt sich Jugendlichen überhaupt vermitteln, dass Politik ein spannendes Thema ist?

Christoph Schwennicke: Wenn ich das wüsste, würde ich es Ihnen nicht sagen, sondern Millionen damit verdienen. Unsere Tochter ist sechs, fängt gerade an zu lesen. Sie interessiert sich sehr für diese großen Dinger, die ihre Eltern dauernd in der Hand haben - Zeitungen. Das muss zu Hause erlebt werden, vorgelebt werden, dann kommt die Neugier von selbst. Spätestens wenn die Jugendlichen in der Oberstufe sind oder anfangen zu studieren, werden politische Themen wie Bildung oder Studiengebühren interessant, Themen, die unmittelbar mit ihrer Lebenswirklichkeit zu tun haben. Das kann dann eine Art Erweckungsmoment sein.

Das Parlament: Ein großes Thema während des Jugendmedien-Workshops war das Machtverhältnis zwischen Medien und Politik. Haben Journalisten Macht?

Christoph Schwennicke: Es widerstrebt meinem beruflichen Selbstverständnis, Artikel mit der Überschrift "Was Frau Merkel jetzt tun muss", zu schreiben, Handlungsanleitungen zu geben. Ich will nicht beeinflussen - ich will beschreiben.


Das Interview führte Anne Haeming


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
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