Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 49 - 50 / 05.12.2005
Claudia Heine

Aufgekehrt...

Mit visionären Konzepten müssen Politiker vorsichtig sein. Allzu schnell schraubt man die Erwartungen der Wähler hoch. Ein Weg der kleinen Schritte ist weniger gefährlich, auch Angela Merkel stellte in ihrer Regierungserklärung fest, ein solcher Weg sei modern.

Ein neuer Beitrag dazu drang jüngst aus dem "Ländle" - laut Eigenwerbung die Erfinderhochburg der Republik - nach Berlin. Die patentverdächtige Neuerung kam diesmal vom Minis- terpräsidenten persönlich, von Günther Oettinger. Zwar schickt sich der 52-jährige Landesvater aus Baden-Württemberg an, dort im kommenden Jahr die Wahlen zu gewinnen, doch nun dies: Mit 40 Jahren, verkündete Oettinger kürzlich auf einem Bezirksparteitag der CDU, überschreite der Mensch seinen Leis- tungshöhepunkt. Von da an gehts also bergab. Und wenn es nach Oettinger ginge, sollte das Gleiche auch mit Löhnen und Gehältern passieren.

Tja, wie alt war doch schnell seine Herausforderin von der SPD? Ute Vogt ist gerade mal 41 Jahre alt, der Leistungsabfall nach Oettinger-Rechnung also noch minimal. Muss die Äußerung des Landesvaters etwa als versteckte Wahlempfehlung verstanden werden? Da ist was dran: Warum jemanden wählen, bei dem die Leistungskurve schon seit zwölf Jahren am Sinken ist, wenn wir auch eine Politikerin haben können, die fast noch auf dem Höhepunkt ihrer Schaffenskraft steht? Hat Oettinger schlicht keine Lust mehr, oder möchte er - im Gegenteil - Stimmen damit gewinnen, indem er sein Ministerpräsidentengehalt freiwillig reduziert? Das Motto "je älter, desto billiger" ließe sich in seinem Fall durchaus gewinnbringend umsetzen.

Da eine richtige Politikerkarriere erst mit 40 beginnt, eröffnen sich ganz neue finanzielle Einsparmöglichkeiten. Entwickelt sich hier gar jener Billiglohnsektor, den einige Politiker schon länger fordern? Immerhin liegt das Durchschnittsalter des neuen Bundes- kabinetts bei 54,8 Jahren!

Das könnte, nach Oettinger, künftig allein von den Wählern abhängen, deren Kreuze dann eine ganz neue Dimension bekommen würden: Die Entscheidung zwischen der teuren, aber leistungsstarken Variante (so um die 40) und der billigeren, aber leistungsschwächeren (so um die 60 Jahre) läge dann ganz bei ihnen. Leistung soll sich zwar lohnen, aber "Geiz ist geil" ist immer noch in Mode.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2006.