Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 51 - 52 / 19.12.2005
Ines Gollnick

Der "Chefhaushälter": Otto Fricke

Parlamentarisches Profil

Otto Fricke, verheiratet, drei Kinder." So stellt er sich vor. Der FDP-Abgeordnete Fricke ist ein offener Typ, der gerne, viel und schnell erzählt, so auch im Interview mit "Das Parlament" in seinem Krefelder Wohnhaus. Er macht es anderen nicht schwer, ihn kennen zu lernen. Einige nennenswerte Eigenschaften sind für ihn Neugierde und Belastbarkeit, Lust an der Arbeit, auch wenn es spät wird. Aber es sei ja gar nicht so entscheidend, seine Stärken zu kennen, sondern eher die Schwächen, findet er. "Ein Politiker stolpert immer über seine Schwächen." Ungeduldig sei er hier und da. Manchmal überfalle ihn das "Klugscheißersyndrom". Vom Niederrheiner und von Anwälten sage man, sie könnten über alles reden, auch wenn sie von nichts eine Ahnung hätten. Seine Selbstironie könnte schon wieder als Stärke gelten. Und was er so richtig gerne macht: Hier und da seinen Antworten ein lateinisches Zitat beimixen: "Audiatur altera pars - immer die andere Seite hören." Das müsse für das politische Geschäft nicht nachteilig sein. Dabei erfüllt der neue Vorsitzende des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages manches Klischee eines liberalen Politikers: Seitenscheitel, rahmenlose Brille, dunkler Anzug, Krawatte ("eines der wenigen Schmuckstücke, die der Mann tragen kann"), und dann ist er auch noch Rechtsanwalt. Einer der rechnen kann, obwohl er Anwalt ist, betont er gerne. Der bisher eher unbekannte Niederrheiner beginnt gerade seine zweite Legislaturperiode und macht schon Schlagzeilen, weil er im 16. Deutschen Bundestag dem Haushaltsausschuss vorsitzt. Mit dem Vorsitz in einem der wichtigsten Parlamentsausschüsse hat er einen großen Karrieresprung getan. Als seine Nominierung in der Fraktion öffentlich wurde, stieg das mediale Interesse an ihm sprunghaft an. Vorher hatte er weder ein hohes Parteiamt inne, noch war er durch verbales Austeilen öffentlich in Erscheinung getreten. Er war als Haushaltspolitiker unter anderem Berichterstatter für die Einzelpläne "Wirtschaft und Arbeit", sowie für "Gesundheit und Soziales", eine Aufgabe, in die er viel Kraft gesteckt hatte. Als ganz unbeschriebenes Blatt geht der neue "Chefhaushälter des Parlaments" also nicht in den Ausschuss, der sich um die Ausgaben des Bundes kümmert. Dabei würde ihn nichts so sehr freuen, als wenn er diesen Job, den immer ein Oppositionspolitiker innehat, bald wieder los wäre. "Ich will, dass die FDP wieder in die Regierung kommt!" Jedenfalls ist Fricke jetzt erstmal in der Position, durch die Auseinandersetzung mit dem Haushalt das komplexe Gebäude Bundesrepublik Deutschland viel besser zu verstehen. Er wählt ein leicht verständliches Bild: "Wenn ich hier am Spinnennetz ziehe, klingelt es an drei anderen Fäden."

Die neue Macht im Ausschuss übersetzt er mit "Wächter über die Finanzen" und meint damit die Ausgaben. "Wenn ich einen schlanken Staat will, kann ich das nur über die Ausgaben erreichen", so Fricke. Das sei im privaten Leben auch nicht anders. Die "ehrenvollere Aufgabe" sei, der Familie zu sagen, dass man sich bestimmte Dinge nicht mehr leisten könne. "Ja", sagt der Anwalt Fricke zum gegenwärtigen Zeitpunkt, "der Haushalt wäre formal verfassungsgemäß, wenn es eine Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts gäbe". Diese sei gegenwärtig jedoch nicht erkennbar. Was er nicht sieht, ist das Bemühen, mittels der erhöhten Kreditaufnahme auch eine etwaige Störung abzustellen. Es gebe ein geringes Wirtschaftswachstum, das sei aber nicht das eigentliche Problem. Vielmehr seien es die hohen Sozialkosten, an die man ranmüsse. Eine Abwehr einer Störung sei also nur möglich, wenn man beispielsweise die Renten ins Visier nehme. Das werde aber 2006 nicht passieren. Faktisch tue die Regierung nichts, sondern ließe die riesige Verschuldungssumme 2006 durchlaufen.

Da schwebt dem Haushälter und FDP-Politiker etwas ganz anderes vor, und er verweist auf das "Liberale Sparbuch", das ein Volumen von rund zwölf Milliarden Euro ausmache. Fricke schlägt Streichungen an vielen Stellen vor, auch an den "Dickschiffen" Rente und Hartz-IV-Leistungen. Entscheidend sei, dass der Bürger das Gefühl hat, dass überall gespart würde. Und ganz wesentlich sei, dass mehr Leute in Jobs kommen. Anders sei die Haushaltsproblematik nicht zu lösen. Anders formuliert: Der Haushalt kommt für ihn nur dann in Ordnung, wenn die Kolleginnen und Kollegen im Ausschuss für Wirtschaft und Technologie und im Ausschuss für Arbeit und Soziales erfolgreich arbeiten. Wohl kein Politikfeld ist mit so hohen Risiken behaftet wie die Haushaltspolitik. Deshalb heißt für Fricke das Zauberwort auch Transparenz. "Ich würde den gesamten Haushalt transparent machen und darlegen, wie ich zu den Zahlen komme. Welche Ausgaben sind geplant, wo sind Mehrausgaben angedacht?" Auch Fricke weiß um die "Beliebtheit" der Haushälter im Bundestag. Stellt sich die Frage, wie er sich selber vor dem "Lobbying" der Kollegen und Kolleginnen schützt. "Mit Transparenz", so seine kurze Antwort. Die wolle er im Ausschuss herstellen und für den Bürger nach außen ebenso. Ihm geht es vor allem auch darum, zu verdeutlichen, wo die langfristige Gefahr drohe. "Wir können uns hier gar nicht vorstellen, dass ein Staat pleite geht." Ein Rentner in Argentinien könne das aufgrund der Geschehnisse dort mittlerweile aber.

Anwälten wie Fricke liegt die Parteilichkeit im Blut. Er weiß jedoch: Im Ausschuss steht dem Vorsitzenden Zurückhaltung gut an. "Es fällt mir noch manchmal schwer. Da kommt dann die Anwaltsmentalität einfach durch", gibt er zu. Aber der Ausschussvorsitzende sei auch kein "politischer Kastrat", meint er. Im Plenum wird er weniger reden und wenn, dann weniger mit einer "Meinungsposition". In Diskussionsrunden "draußen" will er jedoch seine Meinung kundtun, dabei aber persönliche Angriffe vermeiden. Das sei eh nicht sein Stil. Fricke versteht sich als Dienstleister gegenüber dem Bürger und auch gegenüber den Medien. Zu bleiben, wie er ist, das hat er sich vorgenommen. Vor allem will er seine Schwächen nicht verdecken. Wer mit Fricke spricht, erlebt eine Eigenschaft, die er sicher nur schwer abstellen kann: Der Politiker zieht jeden in einen verbalen Geschwindigkeitsrausch. Er weiß um diese Schwäche, er schult sich deshalb regelmäßig in Kommunikation, lässt Reden analysieren. Er ist eben einer, der gerne denkt und reflektiert, auch über seine Rolle und seine Aufgaben. Immer wieder stößt der Abgeordnete auf die zwei Seelen in seiner Brust, die des Juristen und die des Politikers. Juristen seien oft konservativ, weil sie im Studium lernen, dass sie sich an dem orientieren sollen, was ist, an der Gesetzgebung und an der Rechtsprechung. Politiker aber finden heraus, was ist, analysieren es und überlegen, wie man es besser machen kann. Nichts sei gefährlicher als die Schere im Kopf, findet er.

Er ist sprachbegabt, ein Talent, das er von der Mutter geerbt hat. Er spricht Niederländisch. Lehrmeister war der Fernseher in einer Zeit, als es bei ihm zu Hause nur fünf Programme gab, davon zwei aus Holland. Das verschafft ihm nicht nur an Wahlabenden Interviews beim holländischen Fernsehen. Er arbeitet auch in der deutsch-niederländischen Parlamentariergruppe mit. Englisch beherrscht Fricke fließend. Das schätzen Medien wie die BBC und CNBC. Nur eines wünscht sich wohl auch dort jeder: dass er manchmal ein paar Gänge mit der Sprechgeschwindigkeit herunterschaltet.


Internet: www.otto-fricke.de


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2006.