Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 51 - 52 / 19.12.2005
Dirk Klose

Bange Blicke auf Tony Blair

Regierung und Bundestagsfraktionen sind besorgt über EU-Finanzkrise
Besorgnis über die europäische Finanzkrise und Vorschläge zu ihrer Lösung standen im Mittelpunkt einer Regierungserklärung mit anschließender Aussprache am 15. Dezember im Deutschen Bundestag. Mit Blick auf das am selben Tag in Brüssel beginnende Treffen des Europäischen Rats appellierten Redner aller Fraktionen an die Gipfelteilnehmer, in dem sei Monaten schwelenden Finanzstreit zu einem Erfolg zu kommen und vor allem die Frage des so genannten Briten-Rabatts, über den nach wie vor großer Dissens unter den EU-Mitgliedsstaaten besteht, einer für alle Seiten akzeptablen Lösung zuzuführen.

Unmittelbar vor dem EU-Gipfel hatte Großbritannien, das derzeit die Ratspräsidentschaft inne hat, einen zweiten Vorschlag zur Lösung der Finanzprobleme vorgelegt, dabei aber im wesentlichen an der Höhe des 1984 ausgehandelten Briten-Rabatts festgehalten. Der Vorschlag von Premierminister Tony Blair war sowohl bei der Kommission in Brüssel als auch bei mehreren Mitgliedstaaten auf Zurückhaltung gestoßen.

Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) verhehlte in seiner Regierungserklärung nicht die Sorge, "dass sich Europa in einer Krise befindet". Mit Blick auf die Finanzen sagte er, Europa brauche einen verlässlichen finanziellen Rahmen, inerhalb dessen die EU ihre Politik gestalten könne: "Wenn wir am Ende dieses Jahres mit dem zweiten Versuch einer Einigung über den Finanzrahmen erneut scheitern würden, dann ginge davon ein verheerendes Signal aus." Je später Finanzmittel bereitstünden, umso langwieriger werde letztlich der Aufbau- und Aufholprozess gerade der neuen und noch schwächeren Mitglieder. Steinmeier appellierte an den Kompromisswillen: "Jedes Land muss seinen Anteil leisten; damit meine ich, nicht mehr und nicht weniger." Und wenn man von den Deutschen Sparsamkeit beim Haushalt verlange, müsse das generell auch für Europa gelten: "Ein sparsamer Haushalt ist nicht weniger europäisch als ein ausgabenfreudiger Haushalt."

Nach Ansicht des CDU-Außenpolitikers Andreas Schockenhoff hat der britische Premier Tony Blair die Erwartungen nicht erfüllt. Am Ende der Präsidentschaft müsse man feststellen: "Es gab viel Rhetorik und bescheidene Ergebnisse. Zu der Verfassungskrise Europas ist eine Budgetkrise hinzugekommen." Schockenhoff wie auch andere Redner verlangten Solidarität mit den schwächeren Mitgliedsstaaten; man dürfe nicht, so der Unionsabgeordnete Michael Stübgen, zulassen, dass Großbritannien sein Privileg schone und die Bürden auf die ärmeren Länder verlagere.

Für den FDP-Abgeordneten Werner Hoyer reslutiert die EU-Krise gleichermaßen aus der Verfassungs- und Finanzkrise sowie einer tiefen Verunsicherung der Bürger in einer globalisierten Welt: "Die Antwort auf die Herausforderungen der Globalisierung ist die europäische Integration." Auf das Thema Finanzen eingehend verlangte Hoyers Fraktionskollege Michael Link, die vorhandenen Finanzmittel in zukunftsträchtige Politikfelder umzuschichten und eine europäische Finanzverfassung zu schaffen, "die klare und transparente Verfahren für zukünftige finanzielle Vorausschauen enthält". Link appellierte an die deutschen Gipfelteilnehmer, an der intern vereinbarten Obergrenze von einem Prozent des deutschen Bruttonationaleinkommens festzuhalten und sich den teilweise erheblich höheren Grenzen - die Kommission denkt an 1,24 Prozent - zu widersetzen.

Der Abgeordnete der Linken, Diether Dehm, atta-ckierte sowohl die britische Ratspräsidentschaft als auch die "dogmatische Sparpolitik" der Einzelstaaten. Die nach seiner Auffassung vorgesehene "Privilegierung" hoher Einkommen und Vermögen führe letztlich zu einem "Wettbewerbskannibalismus auf die gesamte Europapolitik".

Rainder Steenblock, Europaexperte der Grünen, warnte davor, die EU nur als "Netto-Saldo-Politik der nationalen Interessen" zu begreifen. Der SPD-Außenexperte Markus Meckel regte an, die Bundesrepublik solle sich viel stärker als bisher als ein Anwalt der kleineren Nachbarn begreifen und vor allem den - europawilligen - Staaten des Westbalkans eine klare Perspektive für eine Annäherung an die EU geben.

Die Ergebnisse des Gipfels lagen bei Redaktionsschluss noch nicht vor.


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