Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 23 - 24 / 06.06.2006
Birgit Johannsmeier

Niederlage mit gemischten Gefühlen

Reaktion auf Verschiebung der Euro-Einführung in Litauen

Über die Ladentische in Litauen werden auch in Zukunft vorerst weiter Litas gehen. Nach einer Entscheidung der Europäischen Kommission gegen einen Beitritt des Landes zur Eurozone (PA 21/22) hat Ministerpräsident Brazauskas jetzt entschieden, den Euro erst 2009 einzuführen. In Litauen ruft die Abfuhr aus Brüssel dennoch weiter gemischte Gefühle hervor. "Ich bin froh, dass der Euro nicht kommt", meint ein Passant. "Wir haben den Litas, das ist unsere nationale Währung. Ihr Deutschen habt euch doch auch nicht gerne von der D-Mark getrennt." Wie er haben viele Bedenken, dass der Euro ein Teuro wird, und ihre niedrigen Gehälter nicht mehr zum Leben reichen. Nur wenige sprechen aus, was vor allem die Politik und die Litauische Wirt-schaft denken: "Ohne Euro gehört Litauen nicht richtig zu Europa. Wir bleiben außen vor." Die Litauische Regierung hat bereits vor fünf Jahren die eigene Währung, den Litas, dem Euro angepasst. Im Finanzministerium überwacht Staatssekretär Rolandas Kriscunas, dass die litauische Wirtschaft stabil bleibt und trotz ihres rasanten Wachstums alle Beitrittskriterien der Europäischen Währungsunion erfüllt. Die Absage aus Brüssel hat Rolandas Kriscunas überrascht, weil Litauen die Inflationsgrenze nur gering überschritten hat. "Wir sind entsetzt", sagt der Staatssekretär. Die EU-Kommission habe noch nie so streng entschieden. Der wahre Grund sei sicher die zunehmende Angst vor einem wachsenden Europa, gerade in Deutschland und Frankreich. Die EU könne ihre Verfassung nicht verabschieden, deshalb sei Brüssel zurückhaltend bei der Aufnahme neuer Mitglieder und setze jetzt die Integration Litauens in die Währungsunion aus. Für den Verband der Litauischen Industrie hat der stellvertretende Vorsitzende Jonas Karciauskas an den Beitrittsverhandlungen zur Eurozone teilgenommen. Die Einführung des Euro würde litauische Betriebe stärker mit Partnern aus den alten Ländern der EU vernetzen, meint Jonas Karciauskas. Das käme dem gesamten europäischen Markt zugute. Viele Geschäftsleute hätte keine Information über das starke Wirtschaftswachstum und die Möglichkeiten, in Litauen zu investieren. "Wenn sie hören, dass unsere Währung der Litas ist, dann schreckt das nur ab", meint Jonas Karciauskas. "Hätten wir den Euro, könnte man Litauen mehr vertrauen." Der Euro würde helfen, die Wettbewerbsfähigkeit gegenüber den USA und den asiatischen Ländern, vor allem China, zu erhöhen. Nadjezda Filipowa hat mit ihrer Firma Roze schon im Sozialismus Damenmode genäht. Aber nach Litauens Unabhängigkeit brachen die Märkte im Osten zusammen und die Unternehmerin musste im Westen auf Kundensuche gehen. Heute werden die meisten Bestellungen in Euro abgerechnet, die Näherinnen aber in Litas entlohnt. Sie habe sich eine rasche Einführung des Euro gewünscht, meint Nadjezda Filipowa. Aber nicht nur, weil sie ohne Umtausch etliche Bankgebühren sparen kann. Sie habe immer schnell und risikobereit gehandelt, erklärt die Geschäftsfrau, aber die Europäische Union sei wie einst die Sowjetunion ein riesiges Sys-tem und träge. "Und wir sind ein kleines Land und neu in der EU", so Nadjezda Filipowa. "Brüssel kann uns schwer einschätzen und die großen Staaten behandeln uns wie Kinder aus der Provinz". Den Euro jetzt zu bekommen, wäre nicht nur für sie ein Riesengewinn.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2006.