Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 23 - 24 / 06.06.2006
Sandra Schmid

Kellnern für den Frieden

Der Soziale Tag: Jugendliche jobben für die gute Sache
Jugendliche tauschen Schule gegen Arbeit und spenden ihren Lohn für gemeinnützige Projekte in Südost-europa und Afrika: Am 22. Juni ist es soweit, dann findet zum ersten Mal der Soziale Tag in allen Bundesländern statt - organisiert von "Schüler Helfen Leben" und "Aktion Tagwerk". Zwischen Nordsee und Alpen werden hunderttausende Kinder und Jugendliche für die gute Sache jobben gehen - ob als Brezelverkäufer, Hotelpage oder Gartenhelfer bei Bundespräsident Horst Köhler, im Park von Schloss Bellevue.

Papierlätzchen verteilen, Speichel absaugen, Ins-trumente reinigen - an einem Dienstag vor zwei Jahren wechselte Johanna Laskawi von der Schulbank ins Berufsleben und half in einer Göttinger Zahnarztpraxis aus. Als die 18-Jährige abends nach Hause ging, überwies der Zahnarzt ihren Lohn, rund 50 Euro, auf das Konto der Jugendinitiative "Schüler Helfen Leben" (SHL). Johanna half damit, soziale Projekte wie eine Sommerschule für Roma-Kinder in Bosnien oder einen Ausbildungshof für arbeitslose Jugendliche in Rumänien zu finanzieren.

So wie die Göttinger Schülerin gingen beim letzten Sozialen Tag, am 22. Juni 2004, rund 220.000 Jugendliche in Schleswig-Holstein, Hamburg, Niedersachsen, Bremen und Berlin statt in die Schule für einen Tag zur Arbeit: Sie harkten Laub, wuschen Autos, kellnerten oder sortierten Akten im Büro. Mehr als 3,5 Millionen Euro wurden gespendet. Wie viel Geld in diesem Jahr zusammen kommt, wird sich zeigen. "Aber schon jetzt haben sich mehr Schulen für den Sozialen Tag angemeldet, als erwartet", erzählt Johanna, die mittlerweile im Bundesbüro von SHL in Neumünster als Freiwillige arbeitet und den Sozialen Tag mit organisiert. Bereits seit 1993 engagiert sich SHL für kriegsgeschädigte Kinder und Jugendliche auf dem Balkan - zunächst vorwiegend mit humanitärer Hilfe. LKW für LKW transportierten die Jugendlichen Spielzeug, Lebensmittel und Medikamente in die Krisenregion, rund 70 Schulen und Kindergärten wurden mit Hilfe der Schüler aus Deutschland in Bosnien und Herzegowina wiederaufgebaut. Seit Ende des Krieges 1995 setzt SHL jedoch auf Projekte, die Verständigung zwischen den verfeindeten Bevölkerungsgruppen fördern und den Jugendlichen eine Perspektive bieten sollen. Denn Frieden ist mehr, als ein Dach über dem Kopf zu haben, so die Philosophie der Schülerinitiative.

Eines der ersten Projekte war der Bau einer Jugendbegegnungsstätte, des so genannten SHL-Hauses in Sarajevo. Seit etwa vier Jahren können dort bosnische, kroatische und serbische Jugendliche in Seminaren lernen, wie man eine Schülerzeitung produziert oder in der Schülervertretung für die Interessen der Klasse eintritt. Und nicht nur das: Sie machen hier auch die wertvolle Erfahrung, "dass der andere gar nicht blöd ist, nur weil er einer anderen Volksgruppe angehört", sagt Marco Meyer. Dass viele Jugendliche eine solche Annäherung bitter nötig haben, hat der 19-Jährige aus Berlin-Schöneweide selbst erlebt: Noch immer, elf Jahre nach dem Krieg, meiden viele Bosniaken den serbischen Teil Sarajevos, die Serben dagegen das bosnisch dominierte Zentrum der Stadt.

Marco arbeitet seit acht Monaten in der Hauptstadt Bosniens mit den drei bosnischen SHL-Mitarbeitern im Büro der Initiative: Mit Omar, dem 29-jährigen Projektleiter, der 26-jährigen Amra und der 24-jährigen Aida organisiert er Seminare und Workshops, zeigt den Jugendlichen etwa, wie man eine Schülerzeitung layoutet oder Reportagen schreibt.

Die meisten der Jugendlichen kommen zu den Kursen ins SHL-Haus am Stadtrand von Sarajevo, doch oft sind Marco, Omar, Aida und Amra selbst unterwegs: Sie fahren in die Grenzregionen, auch in die serbische Republik Srpska, wo die Spuren des Krieges noch gegenwärtig sind und Versöhnung schwer fällt. Im Gegensatz zur Hauptstadt Bosniens, die nahezu komplett wiederaufgebaut wurde, sind hier die Wunden des Krieges nur schlecht verheilt: Viele zerstörte Häuser wurden abgerissen, aber nur unvollständig wieder aufgebaut, manche sind bis heute schwer beschädigt - so wie die Hoffnungen der Jugendlichen auf eine bessere Zukunft, denn die Arbeitslosigkeit ist in dieser Gegend sehr hoch.

Auch wenn es Marco manchmal frustriert, dass er nicht mehr tun kann, so freut es ihn doch, wenn die Jugendlichen in den Seminaren auftauen und selbst aktiv werden - wie etwa die Schüler in Illidža, die eine fast 50-Seiten-schwere Zeitung auf die Beine stellten. Jugendliche aus ganz Bosnien schreiben für "Srednjoškolac". Für Marco ist das ein echter Lichtblick.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2006.