Das Parlament
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Das Parlament
Nr. 39 / 25.09.2006
Karl-Otto Sattler

El-Masris Entführer enttarnt?

Neue Dynamik auch für Untersuchungsausschuss

Spannend ist es mal wieder vor allem vor der Tür des Sitzungssaals. Mühsam und detailversessen zieht sich drinnen die Befragung mehrerer Beamter des Bundeskriminalamts (BKA) hin, die vor dem Untersuchungsausschuss über die Intensität der polizeilichen Aufklärungsarbeit rund um die rechtswidrige Verschleppung des fälschlicherweise unter Terrorverdacht geratenen Deutsch-Libanesen Khaled El-Masri Auskunft geben sollen. Draußen hingegen kommentieren Abgeordnete vor zahlreichen Journalisten eine durch Medienberichte publik gewordene Zäsur in dieser spektakulären Affäre. Die spanischen Behörden haben der Münchner Staatsanwaltschaft eine Liste mit den Namen von Personen zukommen lassen, die unter einem schlimmen Verdacht stehen: Mutmaßlich CIA-Agenten oder -Mitarbeiter, sollen sie im Januar 2004 von Mallorca aus nach Mazedonien geflogen sein, um den dort zuvor gekidnappten El-Masri für mehrere Monate in ein afghanisches Gefängnis zu entführen. Als Reaktion auf das Bekanntwerden der Informationen aus Spanien appellieren Abgeordnete aller Fraktionen einhellig an die Staatsanwaltschaft, ihre Ermittlungen nun zügig voranzutreiben und dabei auch keine Rücksicht auf die USA als eines mit Deutschland verbündeten Staats zu nehmen.

Der Untersuchungsausschuss soll recherchieren, ob hiesige Stellen und die Bundesregierung frühzeitig über die Verschleppung El-Masris unterrichtet und eventuell in diese illegale Aktion gar involviert waren. Zu diesem Prüfauftrag gehört auch die von FDP, Linkspartei und Grünen geäußerte Vermutung, die nachträgliche Aufklärung der Entführung des Ende Mai 2004 wieder freigelassenen Deutsch-Libanesen könnte wegen "Beißhemmung" gegenüber der CIA verzögert und niedrig gehängt worden sein.

Vor diesem Hintergrund ist die Arbeit der Staatsanwaltschaft durchaus von Belang. Hans-Christian Ströbele wirft der Münchner Behörde vor, nur zurückhaltend zu agieren, und fragt, warum keine Haftbefehle gegen die von den Spaniern ermittelten mutmaßlichen CIA-Leute ausgestellt werden. Der Grüne verweist auf Italien: Dort sind inzwischen Haftbefehle gegen mehrere CIA-Agenten in Kraft, die 2003 in Mailand illegal den als radikalen Islamisten eingestuften Ägypter Abu Omar gekidnappt und über Deutschland nach Ägypten transportiert haben sollen.

Max Stadler will sich nicht konkret in die Tätigkeit der Staatsanwaltschaft einmischen. Doch der FDP-Politiker ruft die Münchner auf, mit der rechtsstaatlich notwendigen Entschiedenheit vorzugehen, selbst wenn dies gegenüber einem befreundeten Staat vielleicht unangenehm sei. Auch SPD-Obmann Thomas Oppermann als Koalitionspolitiker lässt sich mit eindringlichen Worten vernehmen: Wenn die Namen der im Fall El-Masri verdächtigten Entführer vorlägen, habe die Staatsanwaltschaft konsequent zu handeln - und zwar ohne Rücksicht auf ein anderes Land.

Oberstaatsanwalt August Stern sieht indes noch keinen Anlass für Haftbefehle, es gebe noch weiteren Aufklärungsbedarf. Seine Behörde ermittelt bislang gegen Unbekannt wegen Entführung eines deutschen Bürgers. Auf der Grundlage der von Spanien überreichten Namensliste will die Staatsanwaltschaft nähere Nachforschungen anstellen, um die Identität der verdächtigten Entführer herauszufinden. Die mutmaßlichen CIA-Leute agierten auf Mallorca zwar unter Tarnnamen, hinterließen aber im Hotel und auf dem Flughafen zahlreiche Spuren. Auch hat der von der Parlamentarischen Versammlung des Europarats eingesetzte Sonderermittler Dick Marty, der europaweit die Machenschaften um geheime CIA-Flüge und -Gefängnisse analysiert, bereits in einer im Juni veröffentlichten Expertise die Namen verdächtigter El-Masri-Entführer genannt. Fündig geworden ist das Fernsehmagazin "Panaroma": Nach einem TV-Bericht sollen hinter einigen Tarnnamen der von der spanischen Polizei recherchierten Personen Piloten stecken, die in den USA leben und für die CIA aktiv sind. Die Münchner Staatsanwaltschaft will diesen Erkenntnissen nun ebenfalls näher nachgehen.

All das ist natürlich auch neuer Stoff für den Untersuchungsausschuss. Bei der Vernehmung der BKA-Mitarbeiter machen die Oppositionsvertreter deutlich, dass sie bei den deutschen Sicherheitsbehörden eben doch "Beißhemmungen" gegenüber US-Stellen und Verzögerungen bei der Aufklärungsarbeit vermuten. Zur Zufriedenheit der Koalitionsabgeordneten stützen die Zeugen solche Erwägungen nicht. So sagt der zuständige BKA-Sachbearbeiter Mario Prikker über eine eventuelle Rücksichtnahme gegenüber der CIA: "Solche Überlegungen gab es zu keiner Zeit." Das BKA habe erstmals am 10. Juni 2004 von der damals schon beendeten Verschleppung El-Masris erfahren. Der Umstand, dass das BKA im Auftrag des für diesen Fall zuständigen Polizeipräsidiums Schwaben Ende August/Anfang September 2004 die Recherchen im Ausland erst einige Tage später als die Ermittlungen im Inland gestartet habe, sei auf die organisatorische Folge einzelner Untersuchungsschritte zurückzuführen.

Prikker erläutert, dass El-Masri vor seiner Entführung in Mazedonien im Umfeld des als islamistisch eingestuften Multi-Kultur-Hauses in Neu-Ulm im Blickfeld der Sicherheitsbehörden gewesen sei: Der Deutsch-Libanese habe Kontakt zu verdächtigen Personen gehabt. Laut dem BKA-Beamten hätten hiesige Stellen mit dem FBI Erkenntnisse über das Multi-Kultur-Haus ausgetauscht, wobei aber "explizit" keine Informationen über die Person El-Masri weitergereicht worden seien. Genau bei diesem Thema bohren die Oppositionsabgeordneten im Ausschuss von Anfang an immer wieder nach. FDP, Linkspartei und Grüne wundern sich zudem, wieso das Verschwinden des Deutsch-Libanesen fünf Monate lang unbemerkt blieb - obwohl er doch unter Beobachtung gestanden habe.

Die mysteriöse Affäre um El-Masri spielte natürlich auch eine Rolle, als sich in Berlin eine Delegation der vom EU-Parlament zu den geheimen CIA-Gefängnissen und -Flügen eingesetzten Sonderkommission mit dem Bundestagsausschuss traf. Nach dem Treffen kündigt der Grüne Cem Özdemir, Vizepräsident des EU-Gremiums, eine intensivere Zusammenarbeit beider Seiten an, um die Recherchen voranzutreiben. Der FDP-Europaabgeordnete Alexander Alvaro kritisiert die Bundesregierung, weil sie die Aufklärung "sehr zögerlich" betreibe, "alle Karten müssen auf den Tisch". Angesichts entsprechender Überlegungen im Berliner Ausschuss raten die EU-Parlamentarier Wolfgang Kreissl-Dörfler (SPD) und Sylvia Yvonne-Kaufmann (Linkspartei) den Deutschen, auch in Mazedonien zum Fall El-Masri nachzuforschen. Einer Delegation von EU-Parlamentariern unter Leitung Yvonne-Kaufmanns hatten in Skopje Vertreter der dortigen Regierung erklärt, nichts von der Verhaftung des Deutsch-Libanesen in ihrem Land zu wissen. Yvonne-Kaufmann: "Die haben uns ein X für ein U vorgemacht."

Die Kommission des EU-Parlaments möchte vor dem Abschluss ihrer Arbeit Ende des Jahres auch Außenminister Frank-Walter Steinmeier oder BND-Präsident Ernst Uhrlau befragen. Bislang wurde jedoch noch kein Termin gefunden. Özdemir hofft auf eine Lösung dieses Problems: Es wäre schwer zu erklären und gebe "kein gutes Bild" ab, wenn etwa der spanische Außenminister, nicht aber dessen deutscher Kollege vor dem EU-Gremium aussage.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
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