Der Visa-Untersuchungsausschuss muss seine Arbeit wieder aufnehmen
Die Zwangspause des Visa-Untersuchungsausschusses ist beendet. Am Mittwoch vergangener Woche entschied das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe, dass die von der rot-grünen Mehrheit des Ausschusses gestoppte Zeugenbefragung "unverzüglich fortzuführen" sei. In der einstimmig getroffenen Entscheidung verpflichteten die Richter den Ausschuss, "bis zum Zeitpunkt einer etwaigen Anordnung des Bundespräsidenten, den 15. Deutschen Bundestag aufzulösen", die Beweisaufnahme entsprechend dem beschlossenen Terminplan fortzusetzen. Änderungen des Programms müssten einstimmig beschlossen werden. Eine Begründung ihrer Entscheidung wollen die Verfassungsrichter nachreichen.
Das höchste deutsche Gericht hat damit einem Eilantrag von Union und FDP stattgegeben, mit dem diese auf den Beschluss der rot-grünen Ausschussmehrheit vom 2. Juni reagiert hatten. Sie sahen sich in ihren verfassungsrechtlich verankerten Minderheiten- rechten beschränkt. Bereits vor drei Jahren hatte das Bundesverfassungsgericht in einem Urteil zum Parteispenden-Untersuchungsausschuss festgelegt, dass Beweisanträge der Minderheit grundsätzlich vollzogen werden müssen und bei Zeitknappheit die Ausschussarbeit nach "fairen Verfahrensregeln" beendet werden müsse. Genau diesen Grundsatz sah die Opposition aber gebrochen und berief sich in ihrem Antrag auf Artikel 44 des Grundgesetzes, nach der der Ausschussminderheit Rechte auf Beweiserhebung im Ausschuss zustehen: "Die Einsetzungsminderheit hat also Anspruch darauf, dass ihre Beweisanträge durch die Ausschussmehrheit berücksichtigt werden", argumentierten Union und FDP vor den Karlsruher Richtern. Durch den Beschluss von SPD und Grünen sei Artikel 44 GG verletzt worden.
Die Vertreter der Regierungskoalition begründeten ihren Entschluss zum Ende der Beweiserhebung mit dem Paragraphen 33 des Gesetzes über die Untersuchungsausschüsse. Dort steht: "Ist abzusehen, dass der Untersuchungsausschuss seinen Untersuchungsauftrag nicht bis zum Ende der Wahlperiode erledigen kann, hat er dem Bundestag rechtzeitig einen Sachstandsbericht über den bisherigen Gang des Verfahrens sowie über das bisherige Ergebnis der Untersuchungen vorzulegen." Nach der Ankündigung von Neuwahlen durch Bundeskanzler Gerhard Schröder am 22. Mai schien aus Sicht von SPD und Grünen diser gesetzliche Auftrag gefährdet. Mit diesem Argument beschlossen sie dann auch das Ende der Beweisaufnahme. Bis zum 18. September, dem angestrebten Wahltermin, sei es nicht mehr möglich, einen solchen Bericht zu verfassen, wenn gleichzeitig noch Beweise erhoben werden. Union und FDP werteten dies jedoch als Parteitaktik und Versuch, eine Aussage von Bundesinnenminister Otto Schily zu verhindern.
Für SPD und Grüne ist die Karlsruher Entscheidung eine schwere Schlappe. Ihr Kalkül, den Ausschuss von der politischen Tagesordnung und damit aus dem Rampenlicht der Öffentlichkeit zu nehmen, verkehrte sich vielmehr ins Gegenteil. Denn nun hat das Gremium wieder jene Aufmerksamkeit, die ihm nach den bisherigen Höhepunkten - der Vernehmung von Außenminister Joseph Fischer und Ex-Staatsminister Ludger Volmer - etwas abhanden gekommen war. Auf der Pressetribüne, während der jüngsten Sitzungen eher spärlich besetzt, dürften sich die Reihen nun wieder füllen. Vor allem die für den 8. Juli geplante Vernehmung Schilys wird mit Spannung erwartet. Der Minister hatte nach der Urteilsverkündung am 15. Juni den Eindruck erweckt, er könne seine Befragung gar nicht abwarten: "Ich kann sicher einiges zur Aufklärung des Sachverhalts beitragen", so sein Kommentar. Gegen die Live-Übertragung der Sitzung erhob er ebenfalls keine Einwände. Er sei zwar kein Freund solcher Übertragungen, "aber man hat dieses Verfahren gewählt, und dann wird es wahrscheinlich merkwürdig sein, wenn ich mich dem verweigern würde".
Nicht verwunderlich also, dass die Union frohlockt. Ihr Obmann im Ausschuss, Eckart von Klaeden, sprach von einem "vollen Erfolg" seiner Fraktion. "Der Rechts- und Verfassungsbruch zieht sich wie ein roter Faden durch den Ausschuss", stellte er noch am Tag der Entscheidung vor Journalisten fest. Für die Union liegt die Chance nun wieder in greifbarer Nähe, endlich aufzuklären, was ihr bisher nicht gelang: Die Rolle des Bundesinnenministeriums, allen voran Schilys, bei der Liberalisierung der Visa-Praxis im Jahr 2000 zu beleuchten. Schily galt als einer der laut-stärksten Kritiker des so genannten Volmer-Erlasses vom März 2000. Er betonte vor allem die Gefahr für die Innere Sicherheit der Bundesrepublik, die seiner Meinung nach von dem Erlass ausginge. Der Volmer-Erlass des Auswärtigen Amtes spielt die Hauptrolle in der Affäre, in der die Union versucht, die Regierung für den massenhaften Visa-Missbrauch an der Deutschen Botschaft in Kiew verantwortlich zu machen. Einen Teilerfolg auf diesem Weg stellte die Vernehmung Fischers im April dar, während der er Fehler eingestand und die politische Verantwortung dafür übernahm. Der Konflikt zwischen ihm und Innenminister Schily konnte aber auch während dieser Sitzung nicht rekonstruiert werden. Die Union spekuliert nun auf belastende Aussagen Schilys.
Bereits einen Tag nach der Urteilsverkündung kam der Ausschuss zu einer nichtöffentlichen Sitzung zusammen, um den Fahrplan für die kommenden vier Sitzungstermine festzulegen. Die Vernehmung Schilys stand dabei nicht mehr in Frage. Am 22. Juni wird unter anderem der Vizepräsident des Bundeskriminalamtes Bernhard Falk gehört. Am 23. Juni steht die Vernehmung von sieben Zeugen aus der deutschen Botschaft in Tirana (Albanien) und dem Verbindungsbüro in Pristina an. Am 30. Juni werden Vertreter des ADAC und der Versicherungen HanseMerkur und Allianz in den Ausschuss geladen. Dabei geht es um die umstrittenen Reiseschutzpässe des Geschäftsmanns Heinz Kübler, die quasi als Eintrittskarte nach Deutschland gehandelt wurden.
Ein Unionsantrag auf weitere Zeugenvernehmungen fand am vergangenen Donnerstag keine Mehrheit. Die CDU/CSU schloss aber einen späteren Antrag auf Vernehmung von Kanzler Gerhard Schröder (SPD) nicht aus. "Es ist alles auf den Weg gebracht, damit ein vernünftiger Abschluss des Ausschusses gewährleistet ist", sagte der Ausschuss-Vorsitzende Hans-Peter Uhl (CSU) nach der rund eineinhalbstündigen Sitzung.