Einstimmung auf das Superwahljahr 2004: Der Politische Aschermittwoch
Mit Zurückhaltung, innerer Einkehr oder Buße hat der Politische Aschermittwoch nichts zu tun. Schon gar nicht streut sich die Polit-Prominenz Asche aufs eigene Haupt, sondern schüttet kübelweise derbe Sprüche und Beschimpfungen über die politischen Gegner aus. Das ist der Sinn dieses jährlichen Spektakels, mit dem sich die Parteien verbal ihrer selbst versichern. Mit dem religiösen Inhalt des Tages, der den Beginn der 40-tägigen Fastenzeit vor Ostern einläutet, verbindet den Politischen Aschermittwoch eher wenig. Im Gegenteil. Martin Schulz, der sozialdemokratische Spitzenkandidat für die Europawahl im Juni 2004, behauptete gar am vergangenen Mittwoch: "Wir haben die demoskopische Fastenzeit schon hinter uns. Ab heute beginnt die Gewichtszunahme."
Im Superwahljahr 2004 warten 14 Einzelwahlen auf die Wähler, und so galt es am 25. Februar, die eigene Anhängerschaft mit optimistischen Parolen zu motivieren. Am lautesten tönte es dabei von der CSU. Während seiner zweistündigen Rede vor immerhin 8.000 Anhängern griff CSU-Chef Edmund Stoiber Bundeskanzler Gerhard Schröder scharf an: "Seine Reformpolitik ist gescheitert. Schröder ist gescheitert", rief er unter tosendem Applaus in die Menge. Während seiner Generalabrechnung mit der rot-grünen Bundesregierung blieb kein Thema unerwähnt: Angesichts von Schuldenrekord, Massenarbeitslosigkeit, Dosenpfand und Praxisgebühr könne man nur noch deren Rücktritt fordern: "Deutschland hat es nicht verdient, von solchen Banausen regiert zu werden", so die parteipolitische Polemik Stoibers. In ungewohnt deutlicher Form bekam auch die Wirtschaft ihr Fett weg, der Stoiber vorwarf, bei der Umsetzung von Reformen zu feige zu sein und den "Schwarzen Peter" an die Politik zu schieben.
Nicht ganz so polemisch präsentierte sich der designierte SPD-Chef Franz Müntefering bei der Kundgebung seiner Partei in Vilshofen. In seiner überwiegend sachlichen, staatstragenden Rede fiel vor allem eine Verbalattacke gegen den CDU-Politiker Friedrich Merz auf. Dessen Aussage, es müsse künftig möglich sein, die Steuererklärung auf einem Bierdeckel zu machen, kritisierte Müntefering als unrealistisch: "Das kann man nur sagen, wenn man ganz lange vor dem Bierdeckel gesessen hat und sich total besoffen hat." Weitere Steuersenkungen schloss er in diesem Zusammenhang aus, da dadurch das Geld "verjubelt" würde, das für Kindergärten, Schulen und Hochschulen gebraucht würde, sagte der SPD-Fraktionschef und verteidigte die Reformpolitik der Bundesregierung. Wenn die SPD die notwendigen Weichen nicht stelle, würden Union und FDP "Kleinholz schlagen".
Bundeskanzler Gerhard Schröder sprach beim Politischen Aschermittwoch seiner Partei in Düsseldorf der Opposition jegliche Regierungsfähigkeit ab und bedachte dabei, ganz dem Ritual angemessen, den bayerischen Ministerpräsidenten mit Hohn und Spott: "Da kämpft einer um sich selbst und rennt der eigenen Zukunft hinterher." Stoiber sei "nur noch tiefenpsychologisch zu erklären", bemerkte der Kanzler.
Der Politische Schlagabtausch entstand Anfang des 20. Jahrhunderts am Rande eines Hornvieh- und Rossmarktes im niederbayerischen Vilshofen. Eine Gelegenheit, die die Bauern auch nutzten, um die königlich-bayerischen Politik zu kritisieren. 1919 rief der Bayerische Bauernbund aus diesem Anlass erstmals zu einer Kundgebung auf. Der Politische Aschermittwoch war geboren und ist bis heute vor allem eine Bayerische Angelegenheit und ein Heimspiel der CSU. Allein die Teilnehmerzahlen sprechen für sich: Während Stoiber vor 8.000 Menschen sprach, bewegten sich die Zahlen bei den anderen Parteien im dreistelligen Bereich.
Für die Grünen reichte in Passau ein Donauschiff, auf dem Parteichef Reinhard Bütikofer vor 200 Anhängern die Regierungspolitik verteidigte. Vor immerhin 500 Menschen erteilte Fraktionschefin Krista Sager in Biberach einem möglichen Bündnis mit der CDU nach der Wahl in Hamburg eine klare Absage: "Wir sind keine grün angemalte FDP". Gemeinsamkeiten mit den Liberalen, ebenfalls in Passau zu einem Politischen Aschermittwoch versammelt, ließen sich allenfalls über die Größenordnung herstellen. FDP-Parteichef Guido Westerwelle sprach vor rund 150 Anhängern, kritisierte das "chaotische" Steuersystem, forderte dessen Abschaffung und bezeichnete die Ausbildungsabgabe als "bürokratisches Monster".