Dramatische Flüchtlingssituation im Kongo
Das Land hieß 1971 Zaire. Der Fluss ebenfalls. Und die Währung. So bestimmt vom damaligen Präsidenten Mobutu Sese Seko, einem blutigen Diktator. 1997 benannte Laurent Kabila, als dieser die Macht übernahm, die ehemals belgische Kolonie wieder in Kongo um. 2001 wurde Kabila, unbequem und großmäulig geworden, ermordet. Seitdem führt sein Sohn, eher einsilbig, die Amtsgeschäfte. Freie Wahlen? Davon träumen im Kongo viele Menschen. Nur wenige rechnen damit. "Politiker kommen und gehen. Und? Wir sind noch da", sagt Manda Kalundi und blickt auf den Staub vor seinen Füßen als schäme er sich für sein Leben.
Vor sechs Jahren war der 46-Jährige noch ein Krankenpfleger. Seit seinem 40. Geburtstag ist er auf der Flucht. Erst quer durch den Kongo, dann einige Zeit in Sambia, heute in Kasomeno in der Provinz Katanga. Wohin es als nächstes führen wird? Er weiß es nicht. Wie auch? Manda Kalundi, ein Mann mit sieben Kindern und einer Frau mit traurigen Augen, zuckt mit den Achseln. Sie sind neun von vier Millionen Binnenflüchtlingen, die es in der Demokratischen Republik Kongo gibt. Die meisten davon sind minderjährig. Wie Pascal, Manda Kalundis zehnjährige Tochter. Sie erinnert sich: "Wir haben gefeiert. Plötzlich kamen Soldaten und erschossen unsere Nachbarn. Einfach so." Dann vergräbt Pascal ihr Gesicht in ihren Händen und fängt an zu weinen.
"Ich möchte wieder arbeiten. Ich will den Menschen helfen, nicht länger wie ein Tier leben", sagt Manda Kalundi. Seine Frau bringt Brennholz und flüstert etwas Ähnliches. Nur gemeiner. Die Kinder machen ein Lagerfeuer. Später werden sie Brei aus Blättern und Erdnüssen essen. Nicht nahrhaft, aber füllend. Kalunga, eine seiner Töchter, hustet unentwegt. Das fünfjährige Mädchen hat einen aufgeblähten Bauch. Die Haare haben sich bereits gelblich verfärbt. Folgen von Unterernährung. "Ist das wirklich noch mein Land", fragt Manda Kalundi. "Ist das der Preis der Freiheit?", will nicht nur er wissen, sondern Millionen.
Das Land befindet sich in einer Übergangsphase, heißt es bei Nachfrage aus der Hauptstadt Kinshasa. Der Präsident habe alle Hände voll zu tun. In Europa sei er auf der Suche nach Investoren. Im Kongo wolle er Einigkeit schaffen. Das koste Kraft und Zeit, bedürfe Feingefühl auf höchster diplomatischer Ebene. Die Bevölkerung müsse Geduld haben. "C'est tout." Dass Kabila Jr. während all dieser noblen Aufgaben kürzlich noch Zeit hatte, Miss Peru eigens für ein Schäferstündchen einfliegen zu lassen, nun, er sei ja auch nur ein Mann, wollen Vertraute wissen. Sein Vater sei ja auch kein Kostverächter gewesen.
Inzwischen destabilisiert sich der Kongo immer mehr. Im Nordosten des Landes wird nach wie vor gekämpft, finden ethnische Auseinandersetzungen statt, über die die Regierung in Kinshasa keine Kontrolle hat. Die Flüchtlingsproblematik im Südosten und Westen des Landes führt zu Spannungen mit den Nachbarstaaten Angola und Sambia. Hunderttausende angolanischer Flüchtlinge sorgen für weitere Unruhen mit der örtlichen Bevölkerung. Versprengte Banden, die sich oftmals als Rebellen mit einer politischen Mission titulieren, machen das Chaos, in dem sich der Kongo derzeit befindet, perfekt. Die dramatisch ansteigende Aidsrate von vier auf mindestens zehn Prozent in nur drei Jahren schwebt dazu wie ein Damoklesschwert über der Szenerie.
"Der Kongo wird systematisch ausgeplündert", heißt es darüber hinaus in UN-Berichten. Deutschland und die USA werden als wichtigste Abnehmer von Coltan genannt, einem Mineral, das das seltene Metall Tantal enthält. Es wird in der Raumfahrtindustrie, der Computer- sowie der Kommunikationstechnologie verarbeitet. Einfacher gesagt: in Handys. Nicht nur das: Gold, Diamanten und Kupfer machen den Kongo zu einem der reichsten Länder Afrikas, die Bevölkerung - eigentlich - zu wohlhabenden Menschen. Wenn der Reichtum gerecht verteilt werden würde. "Ausbeutung, Krieg, Flüchtlinge und AIDS. Der Kongo ist weltweit eine der größten Tragödien. Und die Welt schaut zu", sagt ein Mitarbeiter des UNHCR, dem Flüchtlingswerk der Vereinten Nationen. In der Provinz Katanga beispielsweise, wo Manda Kalundi und seine Familie Unterschlupf gefunden haben, kämpft das UNHCR gemeinsam mit dem christlichen Kinderhilfswerk World Vision gegen die immer stärker werdende Flüchtlingsproblematik an. Saatgut und Werkzeuge werden verteilt, damit Grundnahrungsmittel angepflanzt werden können. Fast alle anderen Hilfswerke haben sich zurückgezogen, aus Sicherheitsgründen und aus Geldmangel. "Ich will hoffen, dass wir die nächste Ernte erleben", sagt Manda Kalundi. Dass heißt im Kongo, für 2004 schon viel Glück zu haben.