Pünktlich zu seinem 80. Geburtstag erschien der neue Scholl-Latour
Wir sind bei der in Deutschland praktizierten Selbstzensur, der braven Anpassung an die 'politicall correctness' so weit gekommen, dass es sich nur noch ein israelischer Militärhistoriker in einer hiesigen Gazette leisten kann, in aller Nüchternheit festzustellen, dass Amerika den Irak-Krieg bereits verloren hat."
"Weltmacht im Treibsand" knüpft direkt an sein Buch "Kampf dem Bösen oder Krieg dem Islam? Amerika im Rausch der Allmacht" (2002) an. Auch diesmal ist Scholl-Latour seinem alten Grundsatz treu geblieben, "das persönliche Erlebnis vor Ort", die "Tuchfühlung mit dem real Geschehenen" zur Grundlage seiner Analyse zu machen; in der zweiten Jahreshälfte 2003 bereiste er Afghanistan, Persien, Irak, den Libanon und Syrien.
Wie nicht anders zu erwarten - Scholl-Latour gilt seit Jahren als Bote schlechter Nachtrichten, und er genießt dies sichtlich - fällt seine Beurteilung der amerikanischen Politik alles andere als positiv aus. Die Amerikaner seien im Irak so oder so zum Scheitern verurteilt. Lediglich zwei Optionen sieht er für die Bush-Administration in Washington: Entweder sie installiert in Bagdad ein proamerikanisches Regime, das "unter Missachtung des Wählerwillens mit einem Lippenbekenntnis zur Demokratie und Meinungsfreiheit die Weltöffentlichkeit zu betrügen sucht". Oder sie erkennt an, "dass die Schiiten im Irak den Schlüssel zur Zukunft besitzen und der zentrale Faktor einer eventuellen Stabilisierung sind." Die Folge wäre eine islamische Republik.
Bundestagspräsident Wolfgang Thierse gratulierte Scholl-Latour zu seinem 80. Geburtstag mit folgenden Worten: "Es werden aus diesem Anlass viele lobende Worte geschrieben und gesagt, mancher wird sich möglicherweise auch kritisch mit Ihnen befassen - Sie wissen das und lassen sich davon auch nicht beirren - Ihre Aussagen und Meinungen finden nicht überall Zustimmung." In der Tat ist Peter Scholl-Latour immer wieder gescholten worden: seine Bücher seien anti-islamisch war von Seiten verschiedener Orientalisten in der Vergangenheit zu hören. Er selbst reagierte auf diese Angriffe lapidar mit dem Verweis, dass seine Analysen und Beschreibungen der islamischen Welt gerade unter Moslems - auch den politisch großen und mächtigen - meist auf Zustimmung gestoßen seien. Und so finden sich wie zum Beweis auch in seinem neuen Werk verschiedene Fotos, die ihn zusammen mit diversen Politikern und Führern aus der islamischen Welt im Gespräch zeigen: etwa mit dem iranischen Revolutionsführer Ayatollah Khomeini im Jahr 1979, mit Scheich Mohammed Hussein Fadlallah, der höchsten geistlichen Autorität der Schiiten im Libanon, oder mit Scheich Nabil Qaouq, dem Befehlshaber des Süd-Abschnitts der schiitischen Hizbullah an der Grenze zu Israel. Da schwingt sicherlich eine Portion Eitelkeit mit, aber dies sei einem Geburtstagskind verziehen.
Für "Weltmacht im Treibsand" könnte sich Scholl-Latour zwei weitere - überflüssige und ungerechtfertigte - Vorwürfe einhandeln: anti-amerikanisch und anti-christlich zu sein. "Der militante Aufbruch islamischer Religiosität zwischen Senegal und Südphilippinen war 1983 (Anmerk. d. Redaktion: in diesem Jahr erschien sein Buch "Allah ist mit den Standhaften") bereits deutlich erkennbar, auch wenn so mancher deutscher Orientalist ihn hartnäckig leugnete. Viel verblüffender hingegen ist das Erstarken der christlichen Erweckungsbewegung, des bigotten protestantischen Fundamentalismus in Nordamerika, und dessen politische Auswirkungen." Darin sieht der Buchautor eine der Hauptantriebskräfte für den amtierenden US-Präsidenten: "Selbst wenn er das Schwert führt, glaubt Bush, einen göttlichen Auftrag zu erfüllen."
Aber auch die deutsche Außenpolitik findet wenig Gnade vor den kritischen Augen Scholl-Latours. Die Weigerung der Deutschen, sich militärisch im Irak-Krieg zu beteiligen, hält er zwar für durchaus vernünftig - seiner Meinung nach zeigen die Europäer eh zu wenig Selbstvertrauen gegenüber dem amerikanischen Führungsanspruch. Um so harscher geht er dafür aber mit dem deutschen Engagement in Afganistan ins Gericht, in dem er den zum Scheitern verurteilten Versuch sieht, die derzeit schwierigen deutsch-amerikanischen Beziehungen zu entspannen Die Bundeswehr in Kabul sieht er auf verlorenem Posten, wenn sich die regionalen Warlords entschließen sollten, der Herrschaft des afghanischen Präsidenten Hamed Karzai über "Kabulistan" ein gewaltsames Ende zu bereiten.
Besonders den deutschen Außenminister und die Grünen lässt Scholl-Latour seinen Zorn deutlich spüren: "Die Gefolgschaft Joschka Fischers kann sich doch nicht ernsthaft an die Illusion klammern, im Namen des ‚humanitären' Bundeswehr-Einsatzes ein demokratisches Patenkind Afghanistan hochzupäppeln. Doch wer nimmt heute schon Anstoß daran, dass die Wehrdienstverweigerer von gestern die jungen Soldaten von heute in ein potentielles Himmelsfahrtskommando am Ende der Welt verabschieden."
Peter Scholl-Latour
Weltmacht im Treibsand.
Bush gegen die Ayatollahs.
Propyläen Verlag, Berlin 2004; 344 S., 24,- Euro