Christoph Türcke zu Fundamentalismus und Islamismus
Wer einen Feind hat, der sollte ihn kennen. Dass wir ihn "noch längst nicht" kennen, den (islamistischen) Fundamentalismus, der sich am 11. September 2001 in New York so schrecklich in Szene gesetzt und dieser Szene am 11. März 2004 in Madrid eine weitere hinzugefügt hat, ist eine der Hauptthesen des dünnen, aber gedanklich gehaltvollen Büchleins von Christoph Türcke.
Mit einer Plausibilität, der nur philosophische Argumentation und historische Bildung etwas entgegensetzen könnten, zeigt der in Leipzig lehrende Philosoph, dass dem Fundamentalismus des 11. September die "moderne", kapitalistische, "nihilistische" Gesellschaftsformation, die im 19. Jahrhundert auf christlichem Boden entstanden und ihm verhasst ist, "näher und ähnlicher zu sein [pflegt], als er wahrhaben darf".
Um dies zu erkennen, muss man nach Türcke - darin wird man ihm zustimmen müssen - zunächst strikt zwischen "fundamentalistisch" und "fundiert" unterscheiden: "Fundamentalismus" - der Begriff entsteht schon 1910 in den Vereinigten Staaten von Amerika im protestantischen Milieu und bedeutet ein fundiertes, das heißt mehr oder weniger begründetes beziehungsweise begründbares "Festhalten an irgendetwas Grundsätzlichem". Der Ausdruck bedeutet ein "Sich-Versteifen" auf ein - offenkundig erschüttertes - Fundament, von dem man weiß, dass es nicht trägt. Er bedeutet quasi-religiös ein Vergötzen profaner Dinge, von denen bekannt ist, dass sie nicht heilig sind.
Mithin ist Islamismus nicht fundierter Islam, sondern "verhärteter Islam", ein "unsouveränes fanatisches Sich-Versteifen auf Koran und Scharia", das nach Türckes Lesart aus den Kränkungen hervorgegangen ist, die die "Moderne" in ihrem weltumspannenden Siegeszug dem Islam zugefügt hat, der sich aus seinem historischen Selbstverständnis auch als eine "Religion des Sieges" gegenüber Andersgläubigen fühlt. Dabei hat der expandierende Kapitalismus selbst "die Aura einer Siegerreligion". Und wo "Sieger" gegen "Sieger" stehen, bleibt in der Regel nur noch wenig Zwischenraum.
Die durch ihn bestimmte, sich weltumspannend ausbreitende Gesellschaft ist nicht nur "nihilistisch", ausgezeichnet durch rastlosen Wechsel und "ewige" Unsicherheit. Sie ist im gleichen fundamentalistisch (auf quasireligiöse Weise) in dem Kult, den sie betreibt; ein Kult um Empirisches, dessen Unheiligkeit evident ist, das sie aber vergötzt. Türcke nennt als Beispiele den "Erdkult" (des Zionismus) und den "expandierenden "Bildkult des nihilistischen westlichen Unterhaltungsimperiums" (im "Hollywoodismus").
Dieser vor allem hat nach Türcke "mentale Standards produziert, die zu Schemata der allgemeinen menschlichen Wahrnehmung und Mitteilung aufstiegen" und die zu benutzen der Islamismus des 11. September nicht umhin kam: Jedenfalls inszenierte dieser seinen Angriff auf das World Trade Center in einer Weise, die "er als Inbegriff nihilistischer Massenkultur" eigentlich hätte ablehnen müssen: als große Show, als "eine 'reality show' ohnegleichen".
Der Islamismus ist also ein mit den modernen Kräften verbündeter "weicher Fundamentalismus". Ihm hat Christoph Türcke ein Profil zu geben versucht, das wir kennen sollten: Man kann und muss über die theoretischen Mittel, mit denen er dies tut, wissenschaftlich (philosophisch) diskutieren und braucht keineswegs mit allem einverstanden sein. Aber das kleine Buch, das auf überraschend plausible Weise Islamismus mit der christlichen Theosophie des 19. Jahrhunderts, dem Zionismus und "Hollywoodismus" zusammenstellt, wirkt nachdrücklich der begrifflichen Unschärfe und historischen Unkenntnis entgegen, mit der wir im politischen, journalistischen und auch akademischen Bereich normalerweise über internationalen Terrorismus reden. Das könnte uns helfen, uns vor ihm zu schützen. Petra Kolmer
Christoph Türcke
Fundamentalismus - maskierter Nihilismus.
zu Klampen Verlag, Springe 2003;
154 S., 12,80 Euro