Interview mit Vural Öger, Tourismusunternehmer und Europa-Kandidat der SPD
Parlament: Herr Öger, in Ihrer Biographie schreiben Sie, dass Sie sich nicht vorstellen können, Mitglied einer Partei zu sein und sich Fraktionszwängen zu unterwerfen. Nun sind sie SPD-Mitglied geworden und kandidieren auf einem sicheren Listenplatz für das Europäische Parlament.
Vural Öger: Als ich von Mitgliedern der SPD-Spitze gefragt wurde, ob ich auf der SPD-Liste für das Europaparlament kandidieren möchte, habe ich mir viel Zeit zum Überlegen genommen und mich über die Arbeit im Europaparlament informiert. Die Europa-Abgeordneten arbeiten meiner Ansicht nach sehr sachorientiert und nicht so stark gegeneinander, wie das häufig im Bundestag und den Länderparlamenten der Fall ist.
Parlament: Ein Mandat des Bundestages oder der Hamburger Bürgerschaft wäre für sie nicht in Frage gekommen?
Vural Öger: Nein, das liegt aber nicht nur an der Form der politischen Auseinandersetzung, die in diesen Parlamenten üblich ist. Im Europaparlament werden heute schon Entscheidungen gefällt, die im Bundestag und den Landtagen nur noch nachvollzogen werden. Dort fallen sehr viele der wichtigen Entscheidungen, die uns alle betreffen. Daran mitzuarbeiten ist schon eine sehr reizvolle Aufgabe.
Parlament: Wäre für Sie auch die Kandidatur für eine andere Partei in Frage gekommen?
Vural Öger: Nein, ich stand schon immer den Sozialdemokraten nahe, auch ohne Mitglied der SPD gewesen zu sein. Schon meine Familie war stark sozialdemokratisch geprägt. Die CDU ist mir viel zu national-konservativ und sie muss sich schon die Fragen der Glaubwürdigkeit ihrer Europapolitik stellen. Ich selbst habe keim ausgeprägtes Nationalbewusstsein, sondern fühle mich als Europäer. Auch in Fragen der sozialen Gerechtigkeit, in Fragen des Umgangs mit Migranten, war die SPD mir immer sehr nahe. So folgte der Beitritt zur SPD nur der Logik meines Lebens.
Parlament: Für einen Unternehmer keine ganz alltägliche Meinung.
Vural Öger: Ich bin sicherlich kein typischer Sozialdemokrat, aber denken Sie einmal an Philipp Rosenthal. Wobei ich mich frage, gibt es eigentlich einen typischen Sozialdemokraten? Die SPD ist doch eine Volkspartei. Außerdem: Auch als Unternehmer kann ich mit der "hire an fire"-Mentalität nichts anfangen. Mit Klassenkampfparolen aus dem 19. Jahrhundert übrigens auch nichts. Mit beiden lösen Sie die heutigen Probleme nicht. Aber ich sage auch, soziale Errungenschaften müssen finanzierbar sein. Wer etwa glaubt, dass wir mit der 35-Stunde-Woche auf Dauer unseren Lebensstandard halten können, der irrt. Das hat auch damit zu tun, dass immer weniger Beitragszahler für immer mehr Empfänger aufkommen müssen - und da schließt sich der Kreis, denn unsere Sozialsysteme benötigen viele neue Beitragszahler, und das werden nicht nur Deutsche sein, sondern auch Europäer.
Parlament: Was wollen Sie im Europaparlament erreichen?
Vural Öger: Mir ist es wichtig dazu beizutragen, dass Europa sich als starke und unabhängige Gegenmacht zu den asiatischen Blöcken und den USA etabliert. Wir müssen politisch unabhängig und wirtschaftlich erfolgreich sein. Das geht nur, wenn Europa seinen eigenen Weg geht und sich nicht den Wünschen und Bedürfnissen anderer unterwirft.
Parlament: Wollen sie auch dazu beitragen, dass die Türkei Mitglied der Europäischen Union wird?
Vural Öger: Ich befürworte den EU-Beitritt der Türkei, aber wer glaubt, das würde schnell gehen, irrt sich. Die Türkei hat noch einen weiten Reformweg vor sich, und ich hoffe, dass sie ihn konsequent weitergeht. Aber man muss auch den Europäern und den Deutschen Zeit geben, sich an den Gedanken zu gewöhnen, dass die Türkei eines Tages EU-Mitglied wird. Auch die Türken müssen sich von ihrem starken Nationalismus trennen. Nationalismus und Europa passen nicht zusammen.
Parlament: Halten Sie die Vollmitgliedschaft zum Jahr 2010 für realistisch?
Vural Öger: Nein, ich glaube, dass dieser Prozess noch zehn bis 15 Jahre dauern wird. Aber auch wenn es länger dauert, als viele hoffen: Die Beitrittsperspektive ist für die Türkei von existenzieller Bedeutung. Was es auf keinen Fall geben darf, ist eine Absage. Wenn der Türkei gesagt wird, dass sie in der Europäischen Union nicht willkommen ist, kann das islamistischen oder nationalistischen Kräften Auftrieb geben, und das kann sich auch Europa nicht erlauben. Die Türkei ist und wird die wichtige Brücke zur islamischen Welt sein. So eine Brücke abzureißen, wäre im höchsten Grade unverantwortlich.
Parlament: Sie sind erfolgreicher Unternehmer. Wie wird es mit Öger Tours weitergehen, wenn Sie im Parlament sitzen?
Vural Öger: Ich hoffe genauso erfolgreich wie in der Vergangenheit. Ich werde auch als Europaabgeordneter nicht aus meinem Unternehmen zurückziehen. In den vergangenen Jahren habe ich mich ohnehin eher mit strategischen Fragen und nicht mehr mit dem Tagesgeschäft beschäftigt. Die Hälfte meiner Zeit nutze ich für mein soziales Engagement, zum Beispiel in der Deutsch-Türkischen Stiftung. Da werde ich mich jetzt eher zurückhalten. Aber ich glaube, man kann ein guter Abgeordneter sein und auch noch arbeiten. Interview führte Stefan Laurin.