Malta ist ein durch und durch katholisches Land
Wer die Kirche als verlassenen Ort kennt, der höchstens noch als Sehenswürdigkeit vermag, Menschenmassen anzuziehen, wird sich auf Malta wundern. Schon von weitem lockt die lebhafte Musik - Orgel und Schlagzeug im Duett - den Besucher in den Bann der heiligen Messe. Doch wer der Zeremonie beiwohnen will, muss warten. Viele junge Leute blockieren den Eingang, und nicht immer bietet der Kirchenraum auch wirklich Platz für alle. "Seit letztem Jahr veranstalten wir jeden Samstag eine Messe nur für Jugendliche. Und mittlerweile sind wir damit sehr erfolgreich", erklärt einer der jungen Messdiener. Und die Schlagzeugerin der Band fügt hinzu: "Die Religion ist hier nicht nur etwas, was mit dem Glauben zu tun hat, sondern sie ist auch ein Teil unserer Tradition".
In der Tat ist Malta ein durch und durch katholisches Land. Und das auch deswegen, weil die Religion der kleinen Mittelmeerinsel in der Geschichte zu einer überverhältnismäßigen Bedeutung verhalf. Malta liegt zwischen dem christlichen Europa auf der einen und dem heidnischen, später muslimischen Afrika auf der anderen Seite. Genau diese Lage machte die Insel über Jahrhunderte zum Rückzugsgebiet und Stützpunkt für Missionare und Kreuzritter. Der erste Kirchenmann, der Malta besuchte, war Apostel Paulus. Er landete im Jahre 59 nach Christus als Schiffbrüchiger auf der Insel und begann die Christianisierung der Einwohner.
200 Jahre später, während der ersten allgemeinen Christenverfolgung, wurde Malta wieder zum Rettungsanker, diesmal für sizilianische Christen. In der Zeit zwischen der Teilung des römischen Reiches im Jahr 395 nach Christus und dem Fall Konstantinopels versank das Land dann sowohl in religiöser als auch strategischer Hinsicht in relativer Bedeutungslosigkeit. Erst als der osmanische Sultan Süleymann sich anschickte, den ganzen Mittelmeerraum zu erobern, erstarkte Malta wieder zum Bollwerk des Abendlandes gegen die muslimische Expansion. Der spanische Kaiser Karl V., dem Malta zu dieser Zeit unterstand, gab die Insel 1530 den von den Türken in die Enge gedrängten Kreuzrittern des heiligen Johannes als Lehen.
In den nächsten 250 Jahren bestimmte der Malte-serorden die Geschicke der Insel. Ihre Herrschaft en-dete erst, als der letzte Großmeister 1798 kampflos vor Napoleons Soldaten kapitulierte. Die Johanniter mussten die Insel verlassen. Doch bis heute erinnert das Wahrzeichen Maltas, das Malteserkreuz, an ihre Macht. Und bis heute ist die katholische Kirche einer der stärksten Identitätsstifter des kleinen, europäische und afrikanische Wurzeln in sich vereinenden Volkes. Überall an den Straßen findet man Heiligenbilder. Kaum ein Bus fährt ohne Christusbilder oder Madonnenstatue, selbst Fitness-Center und Discos werden ohne Gottes Segen nicht eröffnet. Dennoch befürchten einige, vor allem der maltesische Klerus selbst, die Kirche könne im Zuge des EU-Beitritts an Einfluss verlieren. Sie beobachten beinahe mit Sorge, dass die vielen Patronatsfeste, genauso wie die Kirchen, Katakomben und anderen christlichen Stätten, mittlerweile zur Touristenattraktion geworden sind. Denn das, was für die Besucher so ungewohnt und faszinierend ist, die tiefe Verbindung zwischen dem Heiligen und Profanen, zwischen Heiligenverehrung und Volksfest, könnte gerade bei den Jugendlichen zur religiösen Oberflächlichkeit führen, befürchten sie.
Kirche als Spaßbringer. Das Religiöse als Konsumgut. Mit Musik und Feuerwerk feiern die Menschen allerdings schon seit Jahrzehnten ihre dörflichen Schutzpatronatsfeste. Trotzdem sind die Menschen dadurch nicht weniger gläubig geworden. Aber die weltliche Macht der Pfarrer und Bischöfe wackelt, vielmehr könnte das der Hintergrund der kirchlichen Bedenken sein. Vom maltesischen Essayisten Wignacourt soll der Ausspruch stammen: "Malta wäre eine entzückende Insel, wenn jeder Priester ein Baum wäre." Lange stellten die Pfarrgemeinden in Dörfern und Städten die eigentliche soziale Organisation. Erst Mitte der 90er-Jahre führte Malta die ersten lokalen Gemeinderäte ein. Mit dem durch den Anschluss an die EU noch schneller stattfindenden sozialen Wandel könnte sich auch der Machtverlust der Kirche beschleunigen. Die jeden Samstag von jungen Kirchendienern durchgeführte Messe ist auch ein Versuch, diesen Machtverfall zu stoppen. "Die Menschen brauchen die Kirche. Man kann zwar auch seinen privaten Glauben haben, aber hier findet man sich eben in der Gemeinschaft wieder, und das ist wichtig", sagt der Messdiener, und die Schlagzeugerin ergänzt: "Wir versammeln uns hier in der Gemeinde, denn das ist der richtige Ort seinen Glauben zu leben". Barbara Minderjahn