Mehr Macht für den Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen
Sie hören es nicht gerne, als die "kleinen Brüder" des Europäischen Parlaments bezeichnet zu werden. Indessen ist dies nicht ganz falsch, funktionieren der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) und der Ausschuss der Regionen (AdR) wie Parlamente. Beides sind eigenständige, in den Europäischen Verträgen bestätigte Organe der Union. Die Stellungnahmen, die sie auf Anfrage oder auf eigene Initiative an den Rat, das EP und an die Kommission geben, werden von Fachgruppen beim EWSA und von Fachkommissionen beim AdR ausgearbeitet und anschließend auf einer der mehrmals pro Jahr stattfindenden Plenartagungen verabschiedet. Bei beiden Organen dominiert das Konsensprinzip, kontroverse Abstimmungen sollen vermieden werden. Dadurch soll das Gewicht der Stellungnahmen erhöht werden, anderseits fehlt es dann des öfteren an einer profilierten Aussage.
Beide Organe sind an der gesetzgeberischen Ausarbeitung der Rechtsakte der EU zum Teil maßgeblich beteiligt. Die rechtsverbindlichen Entscheidungen werden dann allerdings von Kommission, Rat und EP getroffen. Indessen ist es den kleinen Brüdern seit dem Vertrag von Maastricht gelungen, ihre rechtliche und politische Position und damit ihren Einfluss doch wesentlich zu verstärken, und zwar bei jeder Vertragsrevision (Amsterdam und Nizza). Auch bei den Beratungen im Europäischen Verfassungskonvent konnten sie ihren Rechtsstatus weiter verbessern. Dies gilt vor allem für die Kompetenzabgrenzung der verschiedenen Entscheidungsebenen, die Klarstellungen zum Subsidiaritätsprinzip, die Einbeziehung des AdR in das so genannte Frühwarnsystem und die Einräumung eines Klagerechts beim EuGH.
Der EWSA wurde schon durch die Römischen Verträge 1957 geschaffen nach Vorbildern in Frankreich und Belgien. In Deutschland und den meisten anderen EU-Ländern gibt es solche Gremien nicht. Aber EWSA und AdR müssen konsultiert werden, sie können also vor wichtigen Entscheidungen ihren Sachverstand und ihre Anliegen einbringen. Im EWSA sind drei zahlenmäßig gleich starke Gruppen vertreten: die Arbeitgeber (Gruppe I), die Arbeitnehmer (Gruppe II) und die Verschiedenen Interessen (Gruppe III); letztere umfasst die Landwirte, die freien Berufe, die Verbraucher- und Umweltschutzverbände, Familien-, Behinderten- und Freiwilligenorganisationen, Forschung und Lehre sowie NGOs.
Im Vertrag von Nizza wurde dem EWSA die Rolle eine Vertretungsorgans der wirtschaftlichen, sozialen Bereiche der organisierten Zivilgesellschaft gegenüber den drei großen EU-Institutionen zuerkannt. Diese neue Aufgabe hat der Ausschuss während der Beratungen des Europäischen Konvents mustergültig wahrgenommen. Er war die Plattform, auf der sich die Zivilgesellschaft gegenüber den Mitgliedern des Konvents artikulieren konnte. Inzwischen wurde eine ständige Verbindungsgruppe zwischen dem Ausschuss und den Nichtregierungsorganisationen (NGOs) eingerichtet. Schliesslich verstärkt der Ausschuss immer mehr seine Beziehungen zu Ländern außerhalb der EU, insoweit es um die Schaffung einer Bürgergesellschaft geht. Dies gilt vor allem für Mittel- und Osteuropa, die Türkei, den Mittelmeerraum, die AKP-Länder und Mercosur in Lateinamerika.
Die Mitglieder von EWSA und AdR werden auf Vorschlag der Regierungen vom Rat der EU für eine Amtszeit von vier Jahren ernannt; eine Erneuerung ist zulässig. Beide Organe hatten bisher 222 Mitglieder. Am 1. Mai sind mit der Erweiterung jeweils 95 Mitglieder hinzugekommen, sodass beide jetzt 317 Mitglieder zählen. Präsident des EWSA ist noch bis Ende September 2004 der Franzose Roger Briesch von der Gruppe der Arbeitnehmer. Die Präsidentschaft wechselt alle zwei Jahre zwischen den Gruppen.
Seit der AdR vor zehn Jahren seine Arbeit aufgenommen hat, teilt er sich mit dem EWSA aus Kostengründen gemeinsame Dienste, vor allem den Übersetzerdienst für die 20 Amtssprachen. Im Juni diese Jahres werden beide in das ursprünglich erste Bürogebäude des EP an der Rue Belliard in Brüssel einziehen. Dieses Gebäude, gleich neben dem EP, wurde völlig umgebaut und modernisiert.
Die Beziehungen beider Gremien zum großen Bruder EP sind, was die inhaltlich-politische Zusammenarbeit angeht, recht gut. Zu Spannungen kommt es allerdings regelmässig, weil sich das Europäische Parlament weigert, den kleinen Brüdern seinen großen Plenarsaal für deren Plenar- sitzungen in Brüssel zur Verfügung zu stellen. Die Gründe für dieses Verhalten sind nicht ganz klar. Nachdem beide Organe nun deutlich gewachsen sind, ist ein größerer Saal zwingend erforderlich geworden.
Der AdR ist die Stimme und die Interessenvertretung der Gebietskörperschaften in der EU. Es muss zu Vorlagen konsultiert werden, die die Befugnisse der Regionen und Kommunen unmittelbar berühren. Dabei wurde 1991 in Maastricht von der Einsicht ausgegangen, dass Regionen und Kommunen die meisten der EU-Gesetze umsetzen oder überwachen müssen und dass sie den Kontakt zu den Bürgern haben. AdR und WSA können auf eigene Initiative Stellungnahmen zu anderen wichtigen Themen abgeben.
Zu den prioritären Themen des AdR gehören die Dezentralisierung, regionale und lokale Demokratie sowie vor allem die Regional-, Struktur- und Kohäsionspolitik der EU. Seine Vorschläge für die Periode ab 2007 wurden von der EU-Kommission weitgehend in deren Dokument für die Strukturpolitik nach 2006 übernommen. Der AdR hat sich hierzu bereits für eine Erhöhung der Finanzmittel der EU auf über ein Prozent des Bruttoinlandsprodukts ab 2007 ausgesprochen.
Einen wesentlichen Unterschied zwischen AdR und EWSA gibt es allerdings: Alle Mitglieder des AdR müssen ein auf Wahlen beruhendes politisches Mandat in einer regionalen oder lokalen Gebietskörperschaft inne haben oder einer gewählten Versammlung gegenüber politisch verantwortlich sein. Im AdR gibt es vier Fraktionen. Der Präsident wechselt wie im EP in der Mitte der Wahlperiode von einer zur anderen Fraktion. Seit Februar dieses Jahres ist der baden-württembergische Landtagspräsident Peter Straub (EVP/CDU) Präsident des AdR.