Eine wissenschaftliche Studie in Brüssel vorgestellt
Indien gilt als die größte Demokratie unter allen Ländern auf der Erde - zumindest quantitativ gesehen. Bei den jüngsten Parlamentswahlen in Indien Ende April/Anfang Mai dieses Jahres waren
670 Millionen Inder wahlberechtigt; sie konnten ihre Stimme in 700.000 Wahllokalen abgeben. Wenn Indien als größte Demokratie angesehen wird, so könnte man die Europäische Union als die zweitgrößte bezeichnen. Bei den Wahlen zum Europäischen Parlament zwischen dem 10. und 13. Juni sind mehr als 338 Millionen Bürger in den 25 Mitgliedstaaten aktiv und passiv wahlberechtigt.
Dies sind zwar nur halb so viele wie in Indien, aber mehr als in allen anderen Ländern oder Regionen der Welt. Dabei wollen wir China nicht als Demokratie im westlichen Sinne ansehen. Die Wahl der 732 Mitglieder des Europäischen Parlaments kann als die größte transnationale, demokratische Wahl bezeichnet werden, die jemals in der Geschichte stattgefunden hat.
In den USA waren bei den Parlaments- und Präsidentenwahlen im Jahre 2000 rund 214 Millionen Bürger wahlberechtigt. Davon hatten sich 156,4 Millionen in die Wählerlisten eingetragen. Davon haben rund 100 Millionen oder 63,8 Prozent ihre Stimme bei den Kongresswahlen und 105,4 Millionen (67,4 Prozent) bei den Präsidentenwahlen abgegeben. Im Verhältnis zu der Gesamtzahl der Wahlberechtigten sind dies 46,6 bzw. 49,3 Prozent bei einer gesamten Einwohnerzahl von 285 Millionen. Bei den Präsidentenwahlen in Russland am 14. März waren 87 Millionen Bürger wahlberechtigt, 51 Millionen oder 63 Prozent haben ihre Stimme abgegeben.
Inzwischen haben alle 25 EU-Länder die nötigen rechtlichen und administrativen Schritte eingeleitet, um allen in ihrem Lande lebenden Staatsangehörigen eines EU-Landes das aktive und passive Wahlrecht zu gewährleisten. Vor allem die zehn neuen Mitgliedstaaten mussten zu diesem Zweck die entsprechende EU-Richtlinie in ihr nationales Recht übertragen und die erforderlichen administrativen Vorkehrungen treffen. Denn mit dem Beitritt der neuen Mitgliedstaaten kommen 965.000 Wähler hinzu, die sich offiziell in einem anderen EU-Land aufhalten. So sind etwa allein in der Bundesrepublik Deutschland 412.000 neue EU-Bürger wahlberechtigt; in Österreich sind dies 150.000 ; allerdings kann jeder EU-Bürger entscheiden, ob er in seinem Herkunfts- oder in seinem Gastland wählen will.
Die sechsten direkten Wahlen zum Europäischen Parlament finden zwischen Donnerstag dem 10. und Sonntag dem 13. Juni 2004 in den 25 Mitgliedstaaten statt. Im Vereinigten Königreich und in den Niederlanden wird am 10. Juni gewählt, in Irland am 11., in der Tschechischen Republik am 11. und 12., in Malta und Litauen am 12. und in allen anderen Ländern am Sonntag, dem 13. Juni. Die nationalen Behörden müssen strikt darauf achten, dass die Ergebnisse in den Ländern mit den frühen Wahlterminen nicht vor Sonntagabend, dem 13. Juni, bekannt werden. Eigentlich soll mit der Auszählung in allen Ländern erst dann begonnen werden, wenn das letzte Wahllokal in der EU geschlossen hat. In den meisten EU-Ländern wird aufgrund von Wahllisten nach einem Verhältniswahlrecht gewählt.
Nur in Nordirland, Malta und der Irischen Republik gibt es bei der EP-Wahl eine Mehrheitswahl.
In 20 Ländern stellen sich die Parteien mit nationalen Listen zur Wahl, also das ganze Land kann als ein Wahlkreis angesehen werden; in England, Frankreich, Polen, Belgien und Irland gibt es Wahlkreise, in denen aber auch, mit Ausnahme von Irland, nach dem Verhältniswahlrecht gewählt wird.
In zehn von den 25 Ländern gibt es eine Mindest-Prozentzahl an Wählerstimmen als Voraussetzung für einen Sitz im Europäischen Parlament. In Griechenland sind dies drei Prozent, in Österreich und Schweden vier, in Tschechien, Frankreich, Deutschland, Ungarn, Litauen, Polen und der Slowakei fünf Prozent.
In den meisten EU-Mitgliedstaaten findet die Europawahl zur Halbzeit der Wahlen zum nationalen Parlament statt. Die Europawahl gilt nach wie vor als eine weniger bedeutende Wahl als die Wahlen zur Formierung einer nationalen Regierung. Dies bedeutet, dass ein Teil der Wähler sich anders verhält als bei nationalen Wahlen. Es ist also durchaus möglich, dass in etlichen Ländern der jeweiligen Regierung ein Denkzettel verpasst wird. In den neuen Mitgliedstaaten dürfte dieses Verhaltensmuster nicht unbedingt gelten.
Der Präsident des Europäischen Parlaments, Pat Cox, hat Mitte April in Brüssel eine wissenschaftlich fundierte Berechnung der politischen Aufteilung der Mandate im künftigen Europäischen Parlament präsentiert. Die Studie wurde auf Initiative der Beratungsfirma Burson-Marsteller von den Professoren Simon Hicks von der London School of Economics und Dr. Michael Marsh vom Trinity College Dublin erstellt; sie trägt den Titel "Predicting the Future: The Next European Parliament".
Die Ergebnisse der Studie in Kürze:
Der Erfolg der Liberalen wird allerdings vor allem davon abhängen, ob die FDP in Deutschland mehr als fünf Prozent erreicht. In der Studie werden der FDP neun Prozent und damit neun Sitze vorausgesagt.
Was die Vorausberechnungen des Wahlergebnisses für die anderen deutschen Parteien angeht, so gibt die Studie der CDU und CSU zusammen 48 Prozent oder 48 von den insgesamt 99 deutschen Sitzen im EP. Die SPD würde danach 25 Prozent oder 26 Sitze erreichen und die Grünen zehn Prozent und zehn Sitze. Für die PDS werden jeweils fünf vorausgesagt.