Kulturaustausch als Politik
Die anhaltende Debatte über Zukunftsperspektiven der transatlantischen Beziehungen konzentriert sich auf militärisch-machtpolitische und wirtschaftliche Fragen. Dabei wird die Kulturpolitik eher vernachlässigt. Dies ist umso bedauerlicher, als sich auf diesem Gebiet Möglichkeiten zur Stabilisierung im europäisch-amerikanischen Verhältnis bieten. Der von Karl-Heinz Füssl vorgelegte Rückblick auf das 20. Jahrhundert macht dies deutlich.
Der an der TU Berlin lehrende Autor skizziert ein-leitend die "Prägekraft" deutsch-amerikanischer Bil-dungsbegegnungen vor dem Ersten Weltkrieg. Hier stand der Transfer deutscher Kultur in die USA zu-nächst im Vordergrund. Der Kriegsbeginn markierte dann den Übergang zu einer tiefen kulturpolitischen Entfremdung, die lange anhielt.
Noch während des Zweiten Weltkrieges wurde in Washington überlegt, wie das besiegte Deutschland dauerhaft als demokratischer Staat in die westliche Staatengemeinschaft reintegriert werden konnte. Diese Planungen, an denen deutsche Emigranten beteiligt waren, sind in ihren kulturpolitischen Dimensionen mit den Schlagworten Reeducation und Reorientation charakterisiert.
Auf der Basis umfangreicher Archivforschungen analysiert Füssl die globale kulturpolitische Offensive der USA, die in Westdeutschland ihren Schwerpunkt hatte. Im Zentrum der Untersuchung steht der unmittelbar nach Kriegsende begonnene Austausch von Schülern, Studenten, Hochschullehrern sowie Angestellten von Wirtschaft und öffentlichem Dienst. Für die vielfältigen Aktivitäten steht das Programm, das den Namen des Senators Fulbright trägt. Zahlreiche am Kulturaustausch der ersten Nachkriegsjahre als Schüler oder Studenten Beteiligte haben das öffentliche Lebens der Bundesrepublik später nachhaltig mitgeprägt: Kurt Biedenkopf, Klaus Schütz, Hildegard Hamm-Brücher und Karl Dietrich Bracher sind typische Beispiele.
Die Wirkungen der deutsch-amerikanischen Aus-tauschaktivitäten haben amerikanische Diplomaten durch umfangreiche Meinungsumfragen evaluiert. Besonders beeindruckend ist der Befund, dass die Hälfte der Westdeutschen im Jahre 1952 die Austauschteilnehmer als wichtigste Quelle für Informationen über die USA angaben. "In der öffentlichen Meinung, besonders aber bei den Funktionseliten, herrschte die Ansicht vor, der Kulturaustausch bedeute für die Gesellschaft der Bundesrepublik einen Gewinn", so fasst Füssl prägnant zusammen.
Die von Füssl empirisch belegte Bedeutung von Multiplikatoren für den transatlantischen Dialog schließt selbstverständlich auch die Personengruppe ein, die von Berufs wegen berichtet. In diesem Kon-text stehen die Impressionen der Journalistin Andrea Böhm, die seit Anfang der 90er-Jahre in den USA tätig ist. Bereits der Untertitel macht deutlich, dass man Amerika nicht von seiner Ostküste aus und schon gar nicht aus europäischer Fernsicht wirklich begreifen kann. Man muss neben den Metropolen auch das ländliche Amerika und die kleinen Städte aufsuchen.
Das hat die Autorin getan und dabei nichts dem Zufall überlassen, denn jeder der acht besuchten Orte birgt für die amerikanische Gesellschaft typische Elemente. Geschickt werden historischer Rückblick, die Lage vor Ort und große Politik miteinander verknüpft: Soziale Folgen des industriellen Wandels, praktizierte Religiosität, Ölgeschäfte in Texas, die Ungerechtigkeit der jüngsten Steuersenkungen, die wirtschaftliche Lage ethnischer Minderheiten und die sich weiter öffnende Schere der Einkommen sind einige Beispiele.
Wichtig sind die mentalen Folgen des 11. Septembers 2001, die aus der Distanz allzu leicht unterschätzt werden. Hier sieht die Autorin die "große Frage", vor der das Land stehe. "Sollte es an der Illusion festhalten, die eigene Unangreifbarkeit wiederherstellen zu können, und sich damit zwangsläufig weiter isolieren? Oder die eigene Verwundbarkeit eingestehen und gemein werden mit dem Rest der Welt?" Die Antwort ist für Europa von elementarer Bedeutung.
Der von Andrea Böhm vorgelegte Reisebericht ist nicht zuletzt deshalb so überzeugend, weil die Auto-rin kritische Distanz und konstruktives Interesse zu verbinden weiß. "Amerika kann uns begeistern und uns zutiefst empören", so die Autorin im Vorwort. Dieses Leitmotiv spiegelt sich in dem gut lesbaren Buch, das jedem zu empfehlen ist, der sich über die gegenwärtige Befindlichkeit der amerikanischen Gesellschaft informieren möchte.
Zudem zeigene beide Publikationen auf sehr unterschiedliche Weise die große Bedeutung von Multiplikatoren für Rezeption und Interpretation amerikanischer Politik diesseits des Atlantiks. Gerade in politisch turbulenten Zeiten hat der breit gefächerte Kulturaustausch eine wichtige Stabilisierungsfunktion. Die Erfolgsstory der amerikanischen Deutschlandpolitik der Nachkriegszeit belegt dies besonders eindrucksvoll.
Karl-Heinz Füssl
Deutsch-amerikanischer Kulturaustausch im 20. Jahrhundert. Bildung - Wissenschaft - Politik.
Campus Verlag, Frankfurt 2004; 325 S., 37,90 Euro
Andrea Böhm
Die Amerikaner.
Reise durch ein unbekanntes Imperium.
Herder Verlag, Freiburg/Br. 2004; 205 S., 19,80 Euro
Der Autor ist Hochschullehrer für Neuere Geschichte an der Universität Gießen.