Jüdische Soldaten in der deutschen Wehrmacht
Während seines Heimaturlaubs 1943 besuchte der Wehrmachtssoldat Joachim Cohen seinen jüdischen Vater - im KZ Sachsenhausen. In einem aufwühlenden Gespräch versuchte der Panzeroffizier, seinem Vater Mut zuzusprechen, dass er aus seiner Haft freikomme, sobald der Krieg zu Ende ist. Dass die Nazis den Kampfeinsatz des Vaters im Ersten Weltkrieg so gar nicht honorierten, machte dem ehemaligen Leutnant, der für Deutschland gekämpft hatte, besonders zu schaffen.
Seine Geschichte gehört zu den dramatischsten der Soldaten jüdischer Abstammung, denen der amerikanische Historiker Bryan Mark Rigg seine umfassende Studie über "Hitlers jüdische Soldaten" widmet. Auch wenn der reißerische Titel täuscht - die meisten dieser Wehrmachtssoldaten waren keine bekennenden Juden -, bietet das Buch doch einen Einblick in eine Tragödie, stellt den verbrecherischen Wahnsinn der NS-Rassentheorie bloß und überwindet die Täter-Opfer-Dichotomie, die die Auseinandersetzung mit dem Thema Holocaust prägt.
Inspiriert von Agnieszka Hollands Film "Hitlerjunge Salomon" führte der Student Rigg zwischen 1994 und 1997 rund 430 Interviews mit diesen Soldaten, die teilweise mit dem Ritterkreuz ausgezeichnet wurden, während ihre Eltern den Judenstern tragen mussten. In den folgenden Jahren untersuchte er weitere 1.200 Fälle. Um die Rassenpolitik des Nationalsozialismus begreifbar zu machen, erklärt er ihre unmenschliche Terminologie.
Für Hitler war das Judentum keine Religion, sondern eine "Rasse", die er "ausrotten" wollte. Als "Halbjuden" deklarierten die Nazis Deutsche, die zwei jüdische Großeltern hatten. "Vierteljude" war, wer einen jüdischen Großelternteil hatte. Beide Gruppen galten als "Mischlinge" und wurden weniger verfolgt als "Volljuden". Hitlers Besessenheit mit dem Thema "jüdisches Blut" mag erklären, warum er jahrelang persönlich Fotos und Dokumente Tausender "Mischlinge" studierte, um Ausnahmegenehmigungen für sie auszustellen und ihnen - gänzlich subjektiv - "Deutschblütigkeitserklärungen" zukommen zu lassen.
Dank solcher Genehmigungen konnten sie in seiner Armee dienen und teilweise sogar in Spitzenpositionen aufsteigen wie etwa der General der Luftwaffe Erhard Milch, den Hitler zum "Arier" erklärte. Milchs deutsche Mutter hatte versichert, dass ihr jüdischer Gatte nicht der Vater ihrer sechs Kinder sei. Hitler glaubte ihr.
Rigg zeigt welche zentrale Rolle der Armeedienst bei der Assimilation der Juden in der deutschen Gesellschaft bis 1933 spielte. Er macht auch deutlich, was die "Mischlinge" in Hitlers Armee drängte - Patriotismus und Angst, außerhalb der Armee noch stärker gefährdet zu sein, oder Opportunismus. Trotz der zahlreichen Fotos, der ausführlichen Anmerkungen und des Namensregisters wird nicht recht deutlich, wer der typische "jüdische" Wehrmachtssoldat war. Fest steht, dass die meisten für Rabbiner zwar als Juden galten, sie sich selbst aber nicht als Juden begriffen. Ein Titel wie "Hitlers Mischlinge in Uniform" klingt natürlich weniger sensationell.
Bryan Mark Rigg
Hitlers Jüdische Soldaten,
Ferdinand Schöningh Verlag, Paderborn 2004;,
439 S., 38,- Euro