Umstrittene Empfehlung hochrangiger Kommission zu NS-Raubkunst
Umstritten sind die Umstände, unter denen der Besitzerwechsel der kostbaren Kunstwerke zustande kam. Auf der einen Seite hat die Familie die Bilder aus freiem Willen verkauft. Auf der anderen Seite hätte sie die Bilder nicht zu veräußern brauchen, wenn sie nicht aus Deutschland hätte fliehen müssen. Die Gründe für ihre wirtschaftliche Notlage waren eindeutig Verfolgung und Exil. Aber genügt diese Zwangslage, um den Erwerb der Bilder durch das NS-Regime als illegal zu klassifizieren und die Rückgabe an die ursprünglichen Besitzer beziehungsweise deren Erben zu verfügen? Ja, meinte im Januar die Beratende Kommission für die Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogener Kulturgüter. Das hochrangig besetzte Gremium, in dem unter anderem Altbundespräsident Richard von Weizsäcker, die Juristin Jutta Limbach und die ehemalige Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth sitzen, soll Streitfälle zwischen der Bundesregierung und anderen öffentlichen Institutionen der Bundesrepublik sowie ehemaligen Eigentümern der Kunstwerke oder deren Erben schlichten. Die Rückgabeforderung der Erben des Kunstsammlerpaars Julius und Clara Freund, dem die vier beanstandeten Bilder gehörten, war der erste Fall, mit dem die im Juli 2003 eingesetzte Kommission befasst worden war - sie tritt nur zusammen, wenn sie von beiden streitenden Parteien angerufen wird, und sie kann nur Empfehlungen aussprechen.
Und gleich mit ihrer ersten Empfehlung hat sie in Fachkreisen für Wirbel gesorgt. Es war ein Fall in der Grauzone. Ein schwieriger Fall, der anders gelagert war als die vielen, die eindeutig zu beurteilen sind.
Etwa, wenn sich NS-Größen, Museen und private Kunstankäufer ohne jegliche Entschädigung am Eigentum jüdischer Kunstsammler bedienten, die fliehen mussten oder verhaftet und deportiert wurden. In der NS-Zeit wurde Kunstraub in größtem Maßstab betrieben. Und nur zu gern füllten deutsche Museen, Bibliotheken und Archive ihre Bestände mit den auf diese Weise beschafften Kunstwerken, Büchern und Objekten auf. Bereits unmittelbar nach Ende des Zweiten Weltkriegs begann die Rückgabe der zwangsenteigneten oder schlicht geraubten Kunstwerke und Kulturgüter an die rechtmäßigen Eigentümer oder deren Nachfahren - ein Prozess, den die Alliierten begannen und der seit der Gründung der Bundesrepublik bis heute anhält. Doch erst seit wenigen Jahren ist der Umgang mit der NS-Raubkunst in die öffentliche Wahrnehmung geraten.
Das liegt unter anderem daran, dass in vielen Fällen die Umstände, unter denen Kunstwerke in der Zeit zwischen 1933 und 1945 ihre Besitzer wechselten, verwickelt und schwer nachvollziehbar erscheinen - ein Thema für Anwälte, Kunsthistoriker und jetzt auch für die Beratende Kommission. Im Streitfall Freund waren vor allem die Umstände umstritten, unter denen die Sammlung aufgelöst wurde. Bereits Ende 1933 hatte Julius Freund seine Sammlung aus Deutschland in die Schweiz gebracht - für eine Ausstellung, wie Harald König vom Bundesamt zur Regelung offener Vermögensfragen recherchiert hat. Er vertrat vor der Kommission die Position der Bundesregierung, wonach zwischen Verfolgung und Verkauf kein direkter Zusammenhang bestanden habe. Freund habe seine Sammlung nach 1933 in der Schweiz belassen und selbst in Italien gelebt. 1939 emigrierte er mit seiner Frau nach England. Nach dem Tod von Julius Freund 1941 habe die Witwe Clara Freund die Sammlung in der Schweiz versteigern lassen. Mit den Erlösen habe Gisèle Freund, die Tochter des Sammlerpaars und später weltberühmte Fotografin, ihrer Mutter ein Haus gekauft und ein Auskommen im Exil geschaffen.
Weil sich der Verkauf der Bilder aus einer Zwangslage heraus ergeben habe, empfiehlt die Kommission jetzt deren Rückgabe an die Erbengemeinschaft. Für diese Zwangslage sei die Verfolgung verantwortlich, der die jüdische Familie in Deutschland ausgesetzt war, so die Argumentation. Derzeit wird seitens der Bundesregierung geprüft, was mit den Bildern geschehen soll, die sich derzeit in vier verschiedenen deutschen Museen befinden. Sie waren nach Kriegsende von den Alliierten sichergestellt worden und, da sie zunächst nicht zugeordnet werden konnten, an den Bund gegeben, der sie als Leihgabe an die Museen weiterreichte.
Die Empfehlung der Kommission basiert in erster Linie auf moralischen Erwägungen. Das könnte indes weitreichende Folgen haben, wie sich Gegner und Befürworter der Empfehlung einig sind. "Früher gab es eine Unterscheidung zwischen Raubgut, das den jüdischen Sammlern in Deutschland entzogen wurde, und Fluchtgut, wobei Kulturgüter gemeint waren, die die jüdischen Sammler selbst noch ins sichere Ausland bringen konnte", erklärt Michael Franz, der Leiter der Koordinierungsstelle für Kulturgutverluste in Magdeburg, die vom Bund und den Ländern eingerichtet wurde und gemeldete Such- und Funddaten über Raub- und Beutekunst registriert. "In der Empfehlung wird diese Unterscheidung jetzt nicht mehr gemacht." So habe in der Schweiz für Flüchtlinge keine Freiheit geherrscht, und die Einkäufer von Kunstwerken hätten auf die Emigranten Druck ausgeübt.
Dass die Spielräume für die Rückgabe jetzt aus moralischen Gründen ausgeweitet würden, sieht Harald König indes kritisch. Wer durch das NS-Regime verfolgt wurde und deshalb im In- oder Ausland in wirtschaftliche Not geriet, sei im Rahmen der Wiedergutmachung durch Rentenzahlungen entschädigt worden. Hier drohe eine Ungleichbehandlung, weil durch die Rückgabe von Kunstwerken eine "doppelte Entschädigung" geleistet würde, meint König. Auch die Kunsthistorikerin Anja Heuß, die den Transfer von Kunstwerken und Kulturgütern in der NS-Zeit in und über die Schweiz untersucht hat, reibt sich an der Empfehlung der Kommission. Sie befürchtet eine Welle von Rückgabeforderungen etwa gegen Schweizer Kunstmuseen, die während der NS-Zeit viele Werke bei entsprechenden Auktionen angekauft hätten. Das wäre bislang durch die Unterscheidung von Raubgut und Fluchtgut gedeckt gewesen. Doch auch deutsche Museen würden ihre Bemühungen, die Herkunft von fraglichen Kunstwerken in ihren eigenen Beständen zu ermitteln, kaum steigern, wenn ihnen schon im Zweifelsfall der Verlust der Werke drohe.
Doch wie interessiert haben sich deutsche Museen, Bibliotheken und Archive bislang überhaupt gezeigt, die Geschichte ihrer Sammlungszugänge nach 1933 zu erforschen und gegebenenfalls Konsequenzen aus unsauberen Provenienzen zu ziehen? Seit der Washingtoner Konferenz über Holocaust-Vermögen 1998 und einer darauf aufbauenden Erklärung von Bund, Ländern und Kommunen 1999 ist die Auffindung und Rückgabe von NS-Raubgut auf der kulturpolitischen Agenda ganz nach oben gerückt.
Bei der Umsetzung der hehren Absichten haben die betroffenen Einrichtungen sehr unterschiedliche Wege eingeschlagen. Während eine kleine Anzahl von Museen und Bibliotheken eigene Stellen für die Erforschung der Sammlungsbestände geschaffen haben, verweist die Mehrzahl auf die fehlenden Mittel. "Eine bloße Frage der Prioritäten", meint Uta Haug, die in der Hamburger Kunsthalle Provenienzforschung betreibt und dort derzeit die Herkunft von rund 800 Gemälden überprüft. Auch ihr Job ist indes befristet.
Als zentrales Hilfsmittel für das Suchen von geraubten oder auf andere Weise entzogenen Kunstwerken dient die Internet-Datenbank lostart.de, die von der Koordinierungsstelle in Magdeburg betrieben wird. Sie umfasst derzeit rund 80.000 Such- und Fundmeldungen. Dort finden sich ebenso Einträge von Museen, die Objekte aus ihren Beständen mit fraglicher Herkunft gemeldet haben, wie Suchanzeigen von ehemaligen Sammlern oder deren Erben.
So imposant diese Datenfülle anmutet - die Zahl der Einrichtungen, die ihre Bestände entsprechend erforscht haben, ist noch immer vergleichsweise gering. "In den vergangenen fünf Jahren wurden nach Prüfung durch mehr als 150 Einrichtungen über 3.500 Kulturgüter ermittelt, bei denen ein NS-verfolgungsbedingter Entzug nicht ausgeschlossen werden kann. Über 160 Gemälde, Zeichnungen und Grafiken und mehr als 1.000 Bücher konnten identifiziert und an die Berechtigten zurückgegeben werden", heißt es in einem neuen Appell, mit dem Bund, Länder und Gemeinden im Januar an die Öffentlichkeit gingen. Wer nach fünf Jahren eine eigene Erklärung öffentlich erneut, wird dafür gute Gründe haben.